Die Geschichte vom Zweibaum

Es war einmal zu Zeiten der „Villa Schaf“, da ergab es sich, dass ich aus meinem Betonpalast ins grüne Umland Nordend’s fahren musste. Der Weg im öffentlichen Nahverkehr führt mich über Hohenschönhausen. Das ist jene Gegend, wo ich meine Zeit als junger Vater und Familienmensch verbrachte. Am Ende der Periode zählte die Sippschaft sechs Fressfeinde. Deshalb verschlägt es die Bande in über 110 Quadratmeter Beton im landadligen Marzahnium.

Heute verbinde ich mit Hohenschönhausen nur noch den Wohnort der Frau, die mich geboren hat und mit ihr. Sie, jung und ins eigene Chaos verliebt. Chaos kann ich nicht, ist mir zu unstrukturiert, obwohl ich ja den Zufall als gestalterisches Element mag. So war es dann ganz gut, dass sich die Wege schnell wieder trennen und alles noch viel schneller vergessen war.

Bestimmt habe ich mich in meinem weltberühmten und mehrfach prämierten Blog über den Zweibaum ausgelassen. Bäume, vor allem abgestorben und solitär dastehend, haben es mir angetan. Anfänglich dachte ich, dass mein Zweibaum ein Einbaum ist. Jung an Jahren und dennoch hat er sich nicht zur ganzen Pracht entfalten können. Mitte 2016. Halbzeit in der Chemotherapie, eine Gürtelrose überstanden und ein paar Tage mehr Ruhe, weil Gandalf und sein Team Praxisurlaub macht. Ich bin mutig und in Begleitung einer lieben Freundin geht es zum vermuteten Einbaum. Es zeigt sich: Der Einbaum ist ein abgestorbener Strauch gigantischen Ausmaßes und wenn ich ihn weiterhin als Baum betrachte, dann wohl ein Baum mit zwei Stämmen, also Zweibaum.

Enttäuschung?
Enttäuschung!

Der Spaziergang zum Zweibaum war ein mutiger Schritt. So weit weg und so viel Bewegung hatte ich während der gesamten Chemotherapie bis dahin nicht. Ich rede von Laufarbeit mit den eigenen Füssen. Nach Monaten weniger kreativer Handgriffe wollte ich unbedingt wieder eine Kamera bedienen. Das hätte ich bleiben lassen sollen. Eigentlich kam kaum etwas Sinnvolles auf den Film. Zudem waren die Negative fahl wie mein Gesicht. Mein ganzer, völlig enthaarter Körper. Der Kopf ist zu der Zeit total weich und vieles läuft einfach nur mechanisch ab. Wahrscheinlich ist selbst das Bauchgefühl vom Giftcocktail benebelt.

Und dann ist da eben der Zweibaum. Im Vorbeifahren habe ich mir die Aufnahmen im Kopf vorgestellt. Kurze Brennweite, nah am Zweibaum dran und der Waldrand wandert im Bild nach hinten. Selbst die Leitungen der Stromtrasse hätte ich für mehr Weite in Kauf genommen. Die Enttäuschung war groß, als ich den Zweibaum sah. Erwartungshaltung und Pläne in meinem Kopf, das kann nicht gut gehen. In gewisser Weise brauche ich die Überraschung als Spannungsmoment, das auf mich einwirkt und von Innen heraus leitet. Mir genügt es in etwa das Umfeld zu kennen, ich registriere das Wetter und lasse die Sache einfach laufen.

Heute morgen, das Licht der stylischen IKEA-Lampe fällt auf diese Ausarbeitung meines Zweibaums. Ich denke an den Maichingener Baum, den es nur digital geknipst gibt. Ein paar mal habe ich mir vorgenommen noch einmal in diese Gegend zu fahren und eine analoge Fototour zu machen. Irgendetwas hält mich davon ab. Reisen bereitet mir neuerdings ein Unbehagen. So, als verlasse ich den sicheren Ort Betonpalast und Atelier. So, als komme ich nicht sehr weit, weil mir die Kraft ausgeht.

Diese zwei Stämme. Gefühlt sind sie symbolträchtig. Aktuell betrachtet. Damals, bei der Aufnahme nicht.

Zweigespalten ohne selbst geteilt zu sein. Eine Welt, die andere Welt. Alice im Wunderland.

Zweigespalten, weil selbst in mir die Distanz immer größer wird. Erwartung und Realität, Sein können und Sein müssen. Reden und schweigen. Pro und kontra.

Zweigespalten, so denken und handeln, das bin ich nicht. Mein Gefühl sagt, da muss ich raus. Gefühlt habe ich den Eindruck, dass mich ein gewisses Gespür für die Dinge verlassen hat. Es häufen sich Fehlentscheidungen und Entscheidungen, die richtig falsch waren. Dies dann zu korrigieren ist überraschend kompliziert bis unmöglich. Der Mensch ist nicht zum Helden geboren. Das Vertrauen sinkt und ich ziehe es vor, mich in mein Schneckenhaus zurückzuziehen. Wunden lecken, weil bis dato erprobte Mechanismen nicht mehr funktionieren. Ich muss selbst das Richtige tun.

Abwegig gedacht: Ist mein Zweibaum ein Symbol oder gar Hinweis für zweisam, nicht allein sein, gemeinsam stark? Es ist doch alles vorbei.

Der Zweibaum ist für mich aus einer anderen Sicht interessant und verdient deshalb seinen Platz in meiner Lichtbild-Ahnenreihe. Das Glas, auf dem die Fotoemulsion aufgetragen ist, stammt aus einem alten Fenster. Es ist zerkratzt und allerlei Spuren der Witterung sind zu sehen. Da das Glas bestimmt drei Millimeter stark ist, konnte ich es nicht so ohne Weiteres schneiden. Damit sind die Seiten nicht typisch gerade und artig rechteckig. Bestimmt ist der Abzug mit Pyrogallol entwickelt, mit Selen getont und vielleicht abschließend mit dem Farmerschen Abschwächer behandelt. Die Tortur lässt die Emulsion rissig werden. Hinter die entwickelte Fotoemulsion klebe ich mit Hilfe etwas Gelatine ein weisses Blatt Mixedmedia-Papier. Weiß ist eben nicht weiß. Schlußendlich zeigt sich eine dunkle Stimmung, die meinen heutigen Gedanken angemessen ist. Piktorialismus? Vielleicht, auf alle Fälle gutschlecht imperfekt umgesetzt.

Autor: makkerrony

MakkerRony ist der Maker des einzigartigen, mehrfach prämierten und weltweit unbekannten Lichtbildprophet. Er ist eine Lichtgestalt der vornehmen Zurückhaltung und des gepflegten Dilettantismus.

2 Gedanken zu „Die Geschichte vom Zweibaum“

  1. Ein schöner Beitrag😊

    Bäume haben mir es inzwischen auch sehr angetan😉.
    Wenn man bewusst mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht man so viele schöne Bäume.
    Wie du finde ich aber auch eher die abgestorbenen, alten und alleinstehenden Bäume sehr interessant.😊

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