Perspektivloses

Viele Fotografien sind perspektivlos. Ganz einfach nur deshalb, weil der Fotografierende aufrecht steht, seine Kamera im Landschaftsformat auf das Motiv hält und abdrückt. Für mich liegt damit nahe, dass Fotografierende schwere Rückenleiden haben müssen. Anders ist die starre Haltung nicht zu erklären. Beim Smartphone sieht es ein bisschen anders aus. Hier ist es das Aufrechthalten im Portraitformat des digitalen Folterinstruments. Der Irrsinn steigert sich soweit, dass das Filmen im Hochformat sich wie stinkende Hundescheiße am Schuhhacken Menschenkopf festgebissen hat. Mal sehen, wann es den ersten im Format schwenkbaren Fernseher gibt und TV-Sendungen oder Youtube-Kanäle im trendigen Hochkant gesendet werden. Zeit für mein Achselzucken, der Konflikt zwischen Vernunft und Verstand des Homo sapiens und der hohlen Birne und menschlicher Blödheit des Homo digitalis. Und es geht noch bekloppter: Wein-Influencerin auf Instagram, nackt!

Im Moment trage ich in mir ein paar Konflikte aus. Ich muss sie in mir austragen. Versuche, sie in einem Showdown zu lösen, sind gescheitert. Meine menschliche Schwäche und sie, die nicht locker lässt. Doch das was ist, es bleibt ein notwendiger Kompromiss, was das Ganze für mich auch wieder irgendwie sinnlos macht. Perspektivlos eben, wie Gefühle im Abo gemietet. So schön die wenigen Momente zusammen sind, so schwierig sind die vielen Momente allein. Ich mag es durchaus auch allein zu sein. Darin sehe ich nichts Schlechtes, verfalle in keine Depression. Nur sind jetzt die Gedanken nicht so frei, wie sie frei sein sollten. Wie sie für mich in meiner Welt frei sein müssen. Wenn sie die Tür hinter sich schliesst, bräuchte ich einen Reset, um sauber wieder in den Single-User-Betrieb zu wechseln.

Ich stelle mir Fragen nach der Wertigkeit, frage mich warum und wieso ausgerechnet ich. Eigentlich sollte das ja alles nicht sein, aus verschiedenen Gründen. Stolz? Ehre? Solch einen Quatsch habe ich auch. Da sind Steine im Weg. Groß und wohl keiner von uns will sie wirklich wegräumen. Also frage ich mich mittlerweile, ob ich nächste Schritte überhaupt wagen würde. Bei aller Euphorie komme ich zum Entschluss, dass die Steine schön brav liegen bleiben sollen und das angerichtete Chaos endlich ein Ende finden muss. Ich bin mittlerweile aus vielen Gründen nicht bereit gemeinsam weiterzugehen und weiss, dass ich den Gedanken nicht laut äußern darf. Aber ich weiss auch, warum ich es getan habe: Ich habe nicht nachgedacht, ich habe es einfach getan und nichts hat mich aufgehalten. Altersgelassenheit? Wo? Voll der Kindergarten und ausgerechnet ich gebe die Krabbelgruppe. Die Welt der Hormone, total verrückt.

Reaktion auf einen Beitrag zum Thema Angst: „Du hast doch nur Angst vor dem Sterben“. Wenn im Leben etwas gewiss ist und wogegen sich keiner wehren kann, dann ist es die Gewissheit Tod. Wie soll der Tod mir Angst machen wo ich weiss, dass er kommen wird. Mir machen all die ungewissen Dinge Angst, weil es hier absolut keine Gewissheit gibt. Was war eigentlich vor, was ist nach der Realität in der ich jetzt gerade bin? Meine neuste Erkenntnis: Ideale sterben zuerst.

Ich meine keine Angst zu haben. Nur wenn ich bei Metahasenbändigerin lese oder an _paamii und Karl Heinz denke, dann wühlt es innerlich und alles kommt wieder hoch. Der Teich ist trübe. Für mich ist die große Ungewissheit der Faktor Zeit. Zeit ist eine Unbekannte, für jeden anderen auch. Doch bei mir war der Schuss und Einschlag da. Ich möchte nicht mehr auf Zeit, Geduld und Warten setzen. Noch habe ich so viel für mich vor und was ablenkt, müde macht und zur Resignation führt, das ergibt eben keinen Sinn. Seit meinem letzten Besuch bei Gandalf dem Weißen sind es drei Wochen her und bis heute kam kein Anruf oder ein Brief. Ich sollte frohlocken. Doch es gibt keine 100% Gewissheit in der Natur. Die Natur kennt keinen Plan. Sie entwickelt sich Schritt für Schritt und fragt nicht wie der Weihnachtsmann nach gut oder böse. „… und dann kam der Mensch“ ist ziemlich negativ besetzt. Wer verrät dem Gutmensch, dass Bio auch nur industrielle Massenproduktion, damit nicht besser für Umwelt und Natur ist.

Meine Art zu knipsen, so aus der Hand und so. Ich habe heute nur für später ausprobiert, damit ich gewappnet bin, nichts sehend fotografieren zu müssen. Wenn die Kamera nicht modern genug ist und nicht selbsttätig fokussiert, dann wird es unscharf. Vielleicht auch der Bewegung wegen. Aber es wird so etwas wie Bild, selbst wenn ich es nicht sehen kann. Damit ist klar, dass die so festgehaltene Welt anders ist als das, was die Mehrheit der Menschen sieht. Liebe Masse ich kann dich beruhigen: Was du siehst ist auch nicht die Realität. Dein Kopf mit Erbsenhirn gaukelt dir die heile Welt vor. Für mich ist Malerei, ich meine das Klecksen, die Suche nach dem Einfachen, ohne dass das Ergebnis schnellschnell oder bequem aussieht. Mein Klecksen ist die Suche nach dem Punkt, eine Arbeit nicht zu früh zu beenden oder durch zu viel Klecksereien zu versauen. Es ist die Suche nach dem Moment, mit der Geliebten gemeinsam zum Höhepunkt zu kommen. Alles ist irgendwie schwierig so genau abzupassen.

Ich lese meins und deins. Wie viel du, wie viel ich. Warum nennen wir das, was uns dann verbinden soll, Liebe oder so? Wenn das eine gegen das andere aufzuwiegen ist, warum arbeiten wir daran und bilden die kleinstmögliche Menschengemeinschaft? Auf- und ausgewogen sieht es eher wie ein Zweckbündnis aus. Ich mag keine Zweckbestimmung sein. Perspektivlos. Was geschieht, wenn ich meine Strategie ändere: Ich ignoriere einfach Fragen und erzähle von etwas ganz anderem. Es wird nicht nachgehakt. Also warum dann die Frage? Das gemeinsame Leben lebt sich auseinander, dümpelt perspektivlos vor sich hin. Was mich bewegt, was mich antreibt, darüber kann ich nicht schweigen. Ich möchte dann auch mitten drin sein.

Sagt der schwarze Mann weisser Mann zu mir, wer ist dann eigentlich der Rassist? Bestimmt ich, weil ich ja Deutscher und damit rein prophylaktisch Nazi bin. Ich kann keine Lichter mehr sehen. Sie sind zu hell, sie blenden mich. Berlin ist in der Nacht so hell, dass ich kaum noch Sterne sehen kann. Fällt dieses nicht ganz unwesentliche Detail nur mir auf? Ich merke, viele verlieren die Details aus den Augen, haben erst gar keinen Blick für Details. Und dann wollen sie ganz genau bescheid wissen und mir erklären, was ich zu sehen habe. Muss ein Kunsthistoriker etwas von Kunst verstehen? Was befähigt den Kurator? Wer hat den Weitblick sorgsam zu erfassen und zu pflegen? Selbst Instagram-Gruppen halten sich einen Kurator. Reich-Ranicki war ein großer Kritiker. Nur hat er selbst jemals ein Werk verfasst, dass sich mit denen von ihm kritisierten Werken messen konnte?

Kann BEACOPP eskaliert als Spätfolge so etwas wie Asperger für Arme auslösen, die sich keinen anständigen Autismus leisten können? Dieser Cocktail hat so viel Nachwirkungen, dass ich ihm mittlerweile viel, selbst Unmögliches zutraue. Gandalf, auf mein Leben in der eigenen Blase angesprochen, meint nur, dass ich mich daran gewöhnen muss. Bleibt die Frage, ob sich das heile Umfeld an mein Einsiedler-Unwesen gewöhnt und meine Absurditäten akzeptiert.

Ich muss mich gewöhnen. Ein Unterfangen ohne Perspektive. Jede kleine Rückkehr zur Normalität, es ist ein Geschenk. Meine Worte, Phrasen und Texte lege ich gern polysem an. Niemand muss sich an der Mehrdeutigkeit stören oder gar angesprochen fühlen. Und einen Sinn, den muss perspektivloses auch nicht haben.

Autor: makkerrony

MakkerRony ist der Maker des einzigartigen, mehrfach prämierten und weltweit unbekannten Lichtbildprophet. Er ist eine Lichtgestalt der vornehmen Zurückhaltung und des gepflegten Dilettantismus.