Menschen in der Großstadt

Schon einmal – in einem der Vorgänger dieses Blogs – habe ich das Thema aufgegriffen. In der hybriden Version (analog fotografiert – digitalisiert und am Computer verarbeitet) wurden unter dem Motto Menschen in der Großstadt Fotografien veröffentlicht, die meine eigene Sicht auf den Trubel mitten in der deutschen Hauptstadt zeigen. Hektik und Orientierungslosigkeit auf der einen Seite, aber auch ruhige Momente, wo man sie eigentlich nicht vermutet. Ursprünglich Schwarzweiss angelegt, folgten auch ein paar Reihen in Farbe, wohl aber auf einem abgelaufenen Film verschossen. Am Ende war ich sehr angetan vom Ergebnis, wenn auch nicht wirklich überzeugt. Eine Weile hat es gedauert, bis ich das Wieso für mich ergründet habe.

Berlin – Meine Kindheit. Weißensee, Antonplatz, direkt über dem Kino Toni. Immer wieder dieselben Fragen, jedenfalls damals: Nein, ich konnte nicht kostenlos ins Kino gehen und nein, ich hatte keinen geheimen Ort, an dem ich heimlich auch erotische Filme gucken konnte!

Berlin – Meine Jugend. Kurzes Intermezzo in Berlin-Pankow, Vineta- und Grunowstrasse. Mehr gibt es über die Zeit nicht zu sagen.

Berlin – Erwachsener bis heute. Kinder werden geboren und ab in den (Ost)-Berliner Stadtrand, ins Neubaugebiet. Es gab Versuche wieder ins Zentrum zu ziehen, richtig ernstgemeint waren sie nicht. Die Wohnsilos sind zwar aus Beton, doch dass nach zwanzig Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden hat auch seine Vorteile.

Zieht es mich heute in die Mitte Berlins, ist mir alles zu hektisch. Oder einfach zu langsam. Touristen laufen, als hätten sie alle Zeit der Welt. Der geschäftige Berliner (weibliche Berliner eingeschlossen) hetzt, als bricht jeden Moment alles zusammen. Tramfahrer jagen Autos, die bei orange noch über eine Kreuzung fliegen. Radfahrer interessiert gar nichts, noch nicht einmal das eigene Leben. Ich werd ständig angebettelt, soll Initiativen unterstützen und die Prostituierten stehen gelangweilt am Strassenrand, erwarten ihre Hauptstoßzeit.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich liebe mein Berlin. Wenn ich anderthalb bis zwei Stunden brauche, um mit den Öffentlichen einmal quer durch die Stadt zu fahren, so etwas Gewaltiges muss man mögen. Wenn man dann noch in Gesichter schaut und denkt, das kennst du doch, das muss man mögen!

Doch was gefällt mir nicht an der hybriden Version? Die Bewegung, das pulsierende Leben, ist eingefangen. Ich bewege mich, löse in der Bewegung aus und ein Holga-Lomo-Objektivimitat sorgt zusätzlich für eine herrliche Unschärfe der sich wiederum Bewegenden. Aus der Hüfte geschossen ist kaum eine Aufnahme nach Vorschrift ins rechte Bild gerückt. Da, wo etwas Ruhe einkehrt – an heißen Tagen die Springbrunnen der Stadt – bleibe ich stehen und nur noch die Bewegung der Menschen bestimmt das Bild. Dieser Gedanke ist es nicht, der mein Missfallen hervorruft.

Mir missfällt der Kontrast, die computergestützte Ausfertigung zwischen Schwarz und Weiß, brav nach Histogramm. Berlin ist nicht Schwarz und/oder Weiß, Berlin ist viel dazwischen. Ich habe kein klares, scharfes und kontrastoptimiertes Bild dieser Stadt. Historisches, gibt es. Modernes auch. Geschäftshäuser und Geschäftigkeit genauso wie erstaunlich stille Zonen. Der verarmte Berliner Landadel ist in jedem Stadtteil zu finden, genauso wie die erfolgreichen Möchtegerns.

All der Lärm der Großstadt, die ständige Bewegtheit, dazwischen das Bespaßungsprogramm für Touristen: Wird das alles abgeschaltet, ergibt sich wohl ein uninteressantes, ein viel zu ruhiges Nichts. Das was das lebendige Berlin ausmacht, möchte ich im Stil des Restbildes* darstellen. Flach, flau und farbig. Eben so, wie ein Schwarzweiß-Bild der Massenmeinung nicht sein soll. Kein Vorbeihuschen mit den Augen, weil es der harte Kontrast und unsere schnelle Auffassungsgabe zulässt. Das Auge muss suchen, quasi im Gegensatz zum Leben der Großstadt, worin die Details liegen.

Durch diese Art der Ausarbeitung verklärt sich der Inhalt Serie: Ein Hauch moderner Vintage-Look, Sanftmut, Weichheit, mangelnde Präzision, kaum ein Bezug zum Realismus. Die hybriden Varianten sind für mich Nadelstiche, sie zeigen das Berlin, was schmerzt und um jeden Preis auffallen will. Die Überarbeitungen, die in den nächsten Tagen folgen werden, nehmen mir den Schmerz, machen selbst die Unannehmlichkeiten attraktiv. Und genau darin soll die Provokation liegen: Verklären, wie wir uns so vieles verklären, bis es uns endlich angenehm erscheint!

* Restbild: Durch die (Schwefel-)Zusätze im Entwickler entsteht neben dem Silberbild auch ein sogenanntes farbiges Restbild. Normalerweise wird es vom metallischen Silber überdeckt und ist erst durch Bleichen sichtbar. Insbesondere Pyrogallol-Entwickler entwickeln solch farbige Restbilder, die sogar zur kompletten Tonung führen können. Das Tonen des schwarzweißen Silberbildes mit einem Selentoner kann das Restbild verstärken. Ausgangsbasis für meine Arbeiten zu dieser Reihe bildet ein gezielt länger entwickeltes, nicht kräftig genug belichtetes Positiv. Dieses wird in einem kräftigen Selentoner getaucht (maximal eine Minute) und nach dem Wässern soweit gebleicht, dass die Farbigkeit des Randbereichs erkennbar ist. Anschließend kommt der Abzug nach dem Zwischenwässern kurz in einen Schwefeltoner. Die Schwarzweiss-Partien schlagen in einen flachen Brauton um. Das Positiv wird abschließend noch einmal fixiert. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich in einem Beitrag etwas ausführlicher auf das Thema Restbild eingehen.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.