‚Für ihren Puls sind sie noch ziemlich lebendig!‘. Ich habe den schwarzen Humor auf der Krebsstation des Virchow-Klinikum geliebt. Nicht diese dröge Tristesse auf der HNO-Station des Unfallkrankenhaus in Berlin-Marzahn. Wenn man schon Krebs hat, dann soll man trotzdem lachen können. Über sich selbst und das, was da in seinem eigenen Körper steckt.
Laut Lehrbuch soll der Lith-Entwickler als Arbeitslösung keine lange Standzeit haben. Nun habe ich bereits von meinem derzeit gängigen Ansatz erzählt: 500 ml alter Liht-Entwickler + 200 ml Wasser + 10 ml Teil A und 8 ml Teil B. Mit diesem Ansatz entstanden die letzten Arbeiten, überwiegend Aufnahmen von Friedhöfen und Frauen-Akt. Um die Farbigkeit noch etwas zu betonen, greife ich als zweites Bad zu Moersch LITH Omega. Beim Lith-Entwickler selbst variiere ich zwischen Moersch SE5 LITH und Rollei Superlith. Mein Papier ist wie gehabt Fomatone MG Classic in der PE- und Barytvariante.
Am Montag hatte ich die letzte Lithsession, Ansatz siehe oben. Am darauffolgenden Samstag wollte ich es wissen: Die 500 ml alter Lith einfach in die Schale gekippt und den Ansatz NICHT wie gewohnt fit gespritzt. Der Abzug (13 x 18 cm) wurde mit ca. 200 lxs (Luxsekunde) für Schwarz im Abzug belichtet. Nach fünf Minuten Entwicklung in dem – eigentlich laut Lehrmeinung – toten Lith-Entwickler steht das Bild und wandert anschließend für ca. eine Minute in Moersch LITH omega. Da ich auf die PE-Variante des Fomatone belichtet habe, ist der Abzug – wie gewollt – grobkörnig.
Nachdem das, was in den schlauen Werken als nicht möglich beschrieben ist, doch möglich ist, frage ich mich woran es liegt. Habe ich eine geheimnisvolle Supersuppe gebraut oder einfach nur Glück gehabt? Oder stimmt irgendetwas an der Theorie nicht? Ich hatte ja bereits angemerkt, dass man über die Agitation des Abzugs in der Laborschale sehr wohl die Entwicklung beeinflussen kann. Abzüge während des Lithens in der Nähe des Umgebungssauerstoffs entwickeln schneller als tief eingetauchte Prints. Bei (alters)schwachen Lith-Entwickler hilft eine etwas längere Belichtung.
Es sind Erfahrungswerte teilweise wider den Lehrbüchern. Und deshalb komme ich wieder zum Anfang zurück. Zur Aussage des Pflegers, der den täglichen Check durchführt und wonach der Pulsmesser mich für mausetot erklärt hat. Mir entgleitet ein Lächeln und ich beende schon nach zwei Abzügen meine samstägliche Ateliersession. Ich muss über beides, die Geschichte mit dem Pulsmesser und den langläufigen Aussagen zur Lebenserwartung des Lith-Entwicklerbads nachdenken.