Mein schönstes Ferienerlebnis

Darf es heute so etwas überhaupt noch geben? Ich meine, dass der Pädagoge bzw. sein weibliches Pendant die Schüler per Aufsatz aushorcht, wo und wie Lasse-Maria und Birthe-Knut die sechs Wochen Ferien verbracht hat? Bestimmt ist das Vorgehen der Bildungspersönlichkeit datenschutzrechtlich kritisch zu bewerten, es sei denn, die vorsorglich alleinerziehenden Erzeugereinheiten haben der verbalen Befragung schriftlich zugestimmt. Ja, diese Überlegungen lassen mich an diesem System zweifeln: Wir jagen Stasi’s, machen beim kleinsten Furz auf tierisch Datenschutz und wenn es um unsere ‚Sicherheit‘ und das liebe Geld geht, ist der gesättigte deutsche Wutbürger gläsern wie noch nie zuvor. Es sind die Prioritäten, die wir setzen, die Überbewertung des Nichts und die totale Gutgläubigkeit in den wirklich entscheidenen, jedoch mehr zu hinterfragenden Dingen.

Genug der Gedanken um die geistigen Resultate des Bequem-Menschen, der gern und alles auf andere schiebt und abwälzt. Der nie Zeit hat, vor allem für die Dinge, die dem Leben einen Rahmen und Sinn geben. Zweiundzwanzig Tage ‚Ichsein‘ sind vorbei. Ich wollte ‚Fatima‘ frönen und bin fast gar nicht dazu gekommen. Irgendetwas trieb mich immer aus mein Kingsize-Bett, leider waren es weniger die Gänge ins Atelier und das Kunstmachen als viel mehr der Wunsch anderer nach meiner Einer. Und doch war die Zeit kreativ, für mich entspannt und weitestgehend frei von der mich umgebenden Digital-, Licht- und Lärmverschmutzung. Nun ist Schluß mit lustig, bis Weihnachten, wenn nichts dazwischen kommt. Damit sei auch nunmehr das künstlerisch anspruchsvolle Auge vom diesjährigen Sommerloch im Lichtbildprophet, den Classics Digital, befreit.

Pflichttermine
Erst ‚Gandalf‘, dann der neue ‚Harry Potter‘. Seit ‚Sauron‘ vergebe ich an die Weisskittel & Co. ein Alias. Das macht die Sache angesichts meines gespaltenen Verhältnis zur Ärzteschaft etwas angenehmer. ‚Gandalf‘ verkündet gute Werte, lediglich die Niere liegt am oberen Ende der Richtschnur. Aber es ist kein Grund zur Panik. Die Stimmung ist so gut, dass wir zum PET/CT Standpunkte austauschen und das weitere Vorgehen ausdiskutieren. Wenn es Anhaltspunkt gibt, dann lege ich mich in die Röhre. Doch solange als ‚gut‘ ist und ich keine ‚Dicke Dinger‘ ertasten kann, erspare ich mir die Prozedur. Ich spreche meine Fatigue an, die mittlerweile den Codename ‚Fatima‘ bekommen hat. ‚Gandalf‘ schweigt. Beim Brennen der Haut und den Nervenschmerzen als Folge der Gürtelrose hat er sich wenigstens zu einem ‚Das tut mir Leid Junge, dass wird nicht mehr weggehen‘ hinreissen lassen. Nächster Tag, jetzt ist der neue Haus-Doc ‚Harry Potter‘ dran. ‚Warum sind sie bei uns?‘ war seine Frage. Bevor mir ein ‚Weil sie es wollen‘ entglitt reagierte er ‚Ach ja, Auswertung Blutbild/Urin‘. Auch hier alles OK, jedenfalls für die Dinge, auf die ich getestet wurde. Herz und Lunge abhorchen, Haut nach schwarzen Flecken visuell abgescannt und er ist fertig. Dafür habe ich trotz Termins 45 Minuten warten dürfen. Langsam taste ich mich bei ihm an das Thema ‚Fatima‘ heran. Ich treffe wieder auf ärztliches Schweigen.

Fotografische Höhlenmalereien
Durch das Lichtbildpoet-Projekt fallen mir ein paar unbelichtete abgelaufene Negativ-Fotoplatten auf Glasträger zu. Idealerweise sind die meisten im 9 x 12 cm-Format. Eigentlich eine willkommene Gelegenheit, die Linhof und ein weiblich-menschliches Modell zu vereinen. Dummerweise fehlt es am Letzteren. Alle potentiellen Opfer haben plötzlich soooooooooooooo viel zu tun und sind vorsorglich auf Tauchstation gegangen. Also nehme ich historische Glasplatten- oder gedruckte Negative und übertrage diese auf die alten unbelichteten Fotoplatten aus Glas. Zum Entwickeln der Glasplatten entscheide ich mich für eine fette Lith-Arbeitslösung, 2 Minuten Entwicklungszeit in einer lichtdichten Sanitätskasten-Duroplastdose erweisen sich für ’normale‘ Positive auf Glasplatten als gut. Für die Lith-Rückentwicklung auf diesen Glasplatten dürfen es drei bis vier Minuten sein. Ach ja: Dank der Dickschicht-Fotoplatten sehe ich endlich den Effekt der sich runzelnden Gelatineschicht. Und überhaupt sind diese Platten derart empfindlich, dass es Spaß macht damit an Darstellungseffekten zu arbeiten. Hinter die entwickelte Emulsion befestige ich einen glänzenden Bogen dickes Fotopapier und fertig sind neue Fotografischen Höhlenmalereien auf 9×12 cm Foto-Glasplatte, die irgendwann hier ausgestellt werden. Hin und wieder versagt eine betagte und unbelichtete Fotoplatte ihren Dienst, dass Ergebnis ergänzt die Sammlung meiner Aleatogramme.

Fotodepressionismus und Orte der Ewigkeit
Für die Arbeiten an den Fotografischen Höhlenmalereien auf den überlagerten Glasnegativen habe ich den MakkerRony-Selbstbaubelichter aussortiert. Vorübergehend versteht sich. Nachdem alle 9×12 cm-Platten aufgebraucht sind, hole ich das Projektions-Meisterwerkzeug des Fotografischen Depressionismus wieder hervor und belichtete vorzugsweise auf altem, ebenfalls abgelaufenen, ORWO-Fotopapier. In Lith Printing-Technik versteht sich. Auf Facebook wage ich es in zwei Dunkelkammer-Gruppen Einlass zu verlangen. Der wird gewährt und ich werde sofort auf den Unsinn dieses Unterfangens aufmerksam gemacht: Ein Genie macht ‚Light Prints auf altem ORWO Fotopapier‘. Irgendwer macht hier auf Massenverdummung, denn alles in der Fotografie ist ein ‚Druck des Lichts‘. Doch der Lith Print basiert auf dem Einsatz eines Lithografieentwicklers. Mir steht der Sinn nach öffentlicher Belehrung, aus Bescheidenheit verzichte ich, de-abonniere nur die Gruppe und bleibe schweigendes Schein-Mitglied. Ich bin mit der Kamera unterwegs, vorzugsweise mit der Lomo LCA, und beknipse die Jüdischen Friedhöfe in Weissensee, an der Heerstrasse und in Potsdam. Ich mag diese Orte, weit mehr als die anderen menschlichen Orte der Ruhe und Stille. Diese Friedhöfe sind ‚Orte der Ewigkeit‘, was vielleicht mit einer gewissen Sehnsucht in mir verbunden ist. Um nicht in die Ecke des latenten Depressionisten geschoben zu werden, toure ich mit der Kamera auch durch Berlins Stadtmitte und im Tierpark. Bewegung tut gut.

Was sonst noch so geschah
Ich habe beschlossen, menschliche Seriosität und künstlerischen Größenwahn zum bescheidenen Individualismus zu kombinieren. Wie ich darauf komme? Einfach nur lesen, was andere – geglaubt – große Meister der Fotografie und Kunst allgemein von sich absondern. Ich meine nicht den Bildermüll, daran habe ich mich – fast – schon gewöhnt. Es ist die Sache mit dem Blick und dem sehr weit verbreiteten Glauben an die Technik. Es fällt mir schwer in dem Zusammenhang zu schweigen. Alles schön, alles perfekt, alles quietsche bunt, billig schnell zusammengematscht und so zuckersüß. Das mag den einen oder anderen Bauchpinseln, schaue ich in das nächste Profi-Profil-Portfolio begegne ich derselben Langweile. Wie langweilig ist das! Wenn das Leben wirklich so ist, dann würde ich mich mit einem nassen Strick erschießen, wollen. Mit bitterbösen Humor kommt man gegen den ‚Alles schön‘-Wahn nicht an, wohl weil den Jüngern einfach nur das Auge und die eigene Fantasie fehlt. Aber warum soll ich mich rechtfertigen: Was ich tue tue ich, nicht weil ich muss, sondern weil ich es kann! Weil ich mit Geduld und über Jahrzehnte daran gearbeitet habe.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.