Bitte die Taschen zugehalten

Soziale Kontakte via Internet? Ich wäre geneigt zu sagen ‚Nein Danke!‘. Mir fällt da sofort – ich nenne sie mal so – Zündie ein. Wie wir uns im weltweiten Netz über den Weg gelaufen sind, das kann ich gar nicht mehr sagen. An den mir aufgetischten Lebensweg denke ich noch heute mit schrecken. Es war so ein Mix aus Tausendundeine Nacht und die Märchen der Gebrüder Grimm.

Es begann mit ihrer Lehre. Irgendetwas mit Grafikdesign, so jedenfalls ihre Aussage. Dem Stil ihres grafischen Outputs nach handelte es sich eher um eine Siebziger Jahre-Retro-Vintage-Kiste in Eigenregie. Natürlich wurde sie in der Agentur gemobbt und konnte deshalb die Lehre nicht beenden. Jetzt sitzt sie zu Hause sich den Hintern breit und wartet auf das großartige Angebot, das sie mit ihrer Qualifikation verdient hat.

Zündie war verliebt. In einen ganz coolen Boy. Alle Beziehungen vorher, die wollten nur das eine, der Typ dagegen nicht. In Bildern habe ich mir den Angebeteten und sie angeschaut: Sorry, der Typ ist ein feuchter Traum von Zündie. Die angebliche Webseite von ihm sah eher nach zusammengeklauten Inhalt eines Homosexuellen aus. Männer mit heterosexuellem Hintergrund wählen nicht solche Farben. Egal. Zündie und er wollten sich ein paar Mal treffen, doch dann geschahen immer abenteuerliche Geschichten, einschließlich Haue von irgendwelchen Unbekannten.

Irgendwann habe ich ihr gesagt, dass ich ihre ganze Tour einschließlich der abenteuerlichen Stories für reine Erfindung halte. Es gibt weder den Typen, noch die Ausbildung und so weiter. Alles ist von vorn bis hinten zusammengelogen. Ihre Empörung war gespielt groß. Mir wurde umgehend die Freundschaft gekündigt und nicht mehr mit mir gesprochen.

Nach Monaten tauchte sie wieder auf: Sie ist so verliebt und schwanger. Ihren Freund kennt sie erst seit ein paar Wochen, er ist auch nicht der Vater des Kindes. Aber dieser neue Freund, der nicht aus Berlin kommt, wird den Vater für den anderen mimen. Weil man sich so dolle liebt halt. Mir fiel die Kinnlade aus dem Gesicht. Die Webseite des vormaligen Verehrten existierte nicht mehr, alle Verweise wurden getilgt.

Da stand sie nun vor mir. Wirklich schwanger. Anbei der aktuelle Freund, nur nicht der Vater des Kindes. Immer wieder war dieses Kind von Frau bemüht zu betonen, wie sehr man sich liebt und dass das Kind mit dem aktuellen Freund einen tollen Vater hat. Diese Euphorie und Freude teilte Freund nicht ganz. Man sah ihm das Unangenehme der Situation an. Mein Verweis auf den Superboy quittierte sie kurz und forsch: Darüber reden wir nicht!

Später schrieb ich ihr, dass sie ihren Freund mit dem fremden Kind ziemlich unter Druck setzt. Es kam eine Phase des Schweigens. Irgendwann war das Kind da, der Freund weg und sie alleine. Nicht mehr in Berlin, sondern zur Mutti gezogen. Ich kann doch mal vorbeikommen, das süße Kind fotografieren und bei ihr übernachten. Jetzt verfalle ich in Schockstarre und schweige.

Zündie hat mich noch eine Weile verfolgt. Ich merkte es, wenn sie ihre Handynummer gewechselt hat und ich über den Nummernwechsel informiert wurde. Oder mir gedroht wurde, aus dem Adressbuch entfernt zu werden. Dann soll sie es tun, es wird meine Lebensqualität nicht merklich beeinflussen. Irgendwann änderte sich ihr Nachname, kam noch ein Kind zur Welt und sie arbeitet im Kaufmannsladen an der Kasse.

Hat die Geschichte eine Pointe, eine Moral, einen Lerneffekt? Das Leben schreibt dann und wann Stilblüten. Doch wenn die Sache zu stinken beginnt, dann werde ich vorsichtig und riskiere gerne geblockt zu werden. Zwischen einer Lebensgeschichte und einem Märchen mit fingiertem Happyend des Erzählers liegen Welten. Wenn sich Hauptakteur Mensch nicht wie selbiger verhält, eher auf obercool oder ganzganzdurchtrieben macht, dann bevorzuge ich den Abstand. Niemand ist zum Held geboren, lebt und stirbt wie ein solcher. In jeder Lebensgeschichte muss es für mich menscheln. Alles andere ist Gepose, ein Zeichen sozialer Einsamkeit und Betrug an sich selbst.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.