Lückenhaft

Vor ein paar Tagen schreibt Ni Bombo in ihrem Blog über unsere diesjährige Fototour. Wir hatten über die Jahre ein paar Fototouren unternommen. Nur ist bei mir irgendwie die Chronologie der einzelnen Ereignisse auf der Strecke geblieben, was ich in meinem Beitrag Lückenhaft zum Ausdruck bringe … wenn man denn weiss, dass ich die Leere um meine Erinnerungen in dem Bildtitel aufgreife.

Ich versuche einmal zu rekonstruieren: Irgendwann war es für mich so etwas wie eine Tradition, am ersten Geburttag loszuziehen und die Zeit allein verbringen. Insofern das Vakuum mich nicht täuscht, fing es am 18. Geburtstag an. Die Frau, die mich geboren hat, bekam mal wieder einen Flitz und setzte eine angeblich geplante Geburtstagsfeier ab. Wahrscheinlich habe ich damals gegen ihre Norm verstoßen und musste bestraft werden. Wenigstens gab es keine Prügel und mir blieb der obligatorische Erdbeerkuchen erspart. Also ging ich ins Kino Tivoli und begehe dort feierlich meine Volljährigkeit.

Großer Zeitsprung

In den letzten … etwa zehn … Jahren schnappe ich mir eine Kamera und ziehe einfach dorthin los, wonach mir der Sinn steht. Berlin oder Potsdam, Hauptsache ich muss keine lieblosen Geschenke entgegennehmen und mich strahlemannmäßig darüber freuen. Oder Erdbeerkuchen essen, weil ich den ja so mag. Nein, ich mag ihn nicht! Meine Hassliebe zum ersten Geburttag liegt wohl darin begründet, dass es zu DDR-Zeiten Anfang Juli die Jahresabschlusszeugnisse gab, die Frau, die mich geboren hat, den Einstein in mir erwartete und somit nie mit meinem Zeugnis zufrieden war. Damit viel natürlich meine Geburtstagsfeier aus, aber es gab Erdbeerkuchen. Freilanderdbeeren sind Anfang Juli noch Saisonware und waren damit im Handeln oder im Garten verfügbar.

Nächster großer Zeitsprung

Irgendwann war Ni Bombo bei einer Tour dabei. Es gab weitere Touren, doch ich kann (möchte) sie nicht nach meinen Erinnerungen rekonstruieren. Es sind Lücken in meinem digitalen Bildarchiv und Handarbeiten, was ein schlechtes Zeichen ist. Gelegentlich gab es zwischen uns kleine Differenzen. Blöderweise neige ich in solchen Fällen zum – zeitlich-befristeten – Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende zu erleben. Da sich in unserem Fall ohnehin die Interessenlagen und Lebenswege auseinander dividierten, habe ich wohl aus einem gewissen Gnatz erst spät angefangen, ihre Aufnahmen in analoge Handarbeiten umzumünzen. Dann kam das Jahr 2016. Unsere Tour fiel aus, aber wir schafften es an einem anderen Tag wenigstens bis Alt-Marzahn. Ich hatte gerade eine schwere Gürtelrose hinter mich gebracht, die ich mir passend zur Halbzeit der Chemotherapie eingefangen habe.

Waren dann ganze drei Jahre Ruhe? Entfernt mag ich mich daran erinnern, dass wir den Plänterwald in unser Tourprogramm aufnehmen wollten. Es blieb bei der Absicht.

Neuer Versuch 2020. Potsdam, alternativ Jüdischer Friedhof Weissensee. Anfang Juli entscheiden wir uns für Letztgenannten. Auch wenn wir uns beide nach so langer Zeit freuen, wieder etwas gemeinsam zu unternehmen, bahnt sich eine kleine Katastrophe an. Nicht zwischen uns, da bleibt es an diesem Tag friedlich. Es geht eher um unser Ausflugsziel: Natürlich kann ich mich noch gut an meine eigenen ersten Schritte auf dem Boden des jüdischen Friedhofs erinnern. Bis dahin kannte ich nur die „normalen“ Friedhöfe, die kaum jemand freiwillig und erst recht nicht zum Fotografieren aufsucht. Ich „liebe“ den preussischen Ordnungssinn und die Klebchen der Friedhofswärter, wonach der Grabstein umzustürzen droht. Im jüdischen Friedhof ist alles nicht nur ein kleines bisschen anders. Mich hat es bei meinem ersten Besuch auch sehr ergriffen und ich war beim ersten Mal mehr mit dem Lesen als mit dem Knipsen beschäftigt. Besonders beeindruckend wie bedrückend: Am Anfang habe ich den Sinn der Felder kleiner Grabsteine nicht verstanden. Die eingravierten Jahreszahlen verrieten jedoch, dass hier Kinder begraben sind.

Trotz eingelegtem Film wird auf der 2020er Fototour nicht einmal der Auslöser betätigt. Wissend um den ersten Eindruck und Hilfestellung zu leisten, habe ich vorsorglich keine eigene Kamera dabei. Wir nehmen uns vor, irgendwann einen zweiten Versuch zu wagen. Für uns überraschend schnell verabreden wir uns zu Anfang September. Diesmal soll es etwas werden. Und es wird auch geknipst. Ich nutze die Gelegenheit und schieße mit meiner Lomo ohne den Sucher zu benutzen aus der Bewegung ein paar Schnappschüsse von Ni Bombo. Nach der langen Zeit ist es richtig schön mal wieder unterwegs zu sein und sich in Ruhe und Abgeschiedenheit dem gemeinsamen Hobby hinzugeben.

Autor: Lichtbildprophet

Er ist kein Fotograf und doch malt er seine Bilder mit Licht, bringt sie in seiner Dunkelkammer eigenhändig zu Papier. Er ist kein Maler und doch zeichnet er seine Bilder mit Farben auf alles, was seine Imagination tragen kann.

2 Gedanken zu „Lückenhaft“

  1. @ ZweifelnHochZwei: Du bist nicht die Erste, die beim ersten Besuch so überwältigt ist. Gerne können wir uns wieder auf den Weg machen … wann, ich lass mich überraschen. Frag einfach, wenn sich ein Zeitfenster bei dir auftut 🤓

  2. Danke😊, ich fand unseren ersten Besuch und auch unsere Fototour sehr schön, es hat viel Spaß gemacht, war aber auch sehr überwältigend und es war schön endlich mal wieder in Ruhe zu knipsen und ich freue mich auf weitere Fototouren, von mir aus auch gerne wieder zum jüdischen Friedhof und ich hoffe es vergehen keine Jahre bis dahin.

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