Positiv mit Pyrogallol (Teil I)

Vorwort
Wie wollen wir die Zukunft meistern, wenn wir die Vergangenheit nicht verstehen? Die Gefahr Wissen so zu vergessen, dass es uns für immer verlorengeht, ist groß Dank der menschlichen Bequemlichkeit und Überheblichkeit. Und es kam bereits oft genug vor: Wir halten die alten Ägypter für irgendwelche Primitivlinge und wundern uns dennoch, wie es ihnen gelang große Pyramiden zu bauen. Heute wird spekuliert, wie der Bau gewesen sein könnte. Was ich darüber einst in der Schule gelernt habe, ist heute zum Teil widerlegt. Es ist die latente Arroganz der jeweiligen Jetztzeit, die altes Wissen verkümmern lässt und stattdessen Halbwissen bejubelt. Dieses elitäre Gehabe und Richten über die Vergangenheit stinkt mich gewaltig an.

Beim Lesen im Ederschen Schrifttum finde ich Dinge und vor allem Details, die heute so nicht mehr erwähnt werden. So fand ich Aussagen zur Solarisation und ihrer Verbildlichung. Für mich bemerkenswert ist, dass Dr. J. M. Eder keinen Unterschied zwischen der Solarisation allein auf Grundlage des Lichtes und der Solarisation mit Entwicklerunterstützung macht. Damit muss die Pseudo-Solarisation als Begriff eine Erfindung der Neuzeit sein. Vielleicht war es so: Irgendjemand ’solarisierte‘ ohne Entwickler nur mit Sonnenlicht und wollte sich von denen, die dabei mit Entwicklern arbeiteten, abheben. Beim Versuch, die Beschreibung aus den ‚Ausführliche Handbücher der Photographie‘ nachzuvollziehen, stellten sich für mich ein paar Probleme ein. Es wollte nicht so funktionieren wie beschrieben.

Um 1900 – hier erschienen besagte Werke – war die Fotografie etwa ein halbes Jahrhundert alt.
Für Pedanten: Allgemein wird das Jahr 1839 (Daguerre stellt der Öffentlichkeit seine Daguerreotypie vor) als Geburtsjahr angesehen.

Zwar war um 1900 das Negativ-Positivverfahren nach Talbot bekannt, doch es fand in dem Sinne noch nicht die Anwendung wie zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg. Vieles befand sich zu der Zeit (um 1900) noch im experimentellen Charakter. Man spricht – ohne zu beleidigen – bei den Anhängern der Fotografie von Dilettanten, von blutigen Anfängern. Nach der darwinschen Evolutionstheorie folgt erst noch die Entwicklung zu den heutigen Super-Halbgöttern der Fotografie. Doch einige Dinge sind auch heute noch nicht vollständig – damit meine ich wissenschaftlich – geklärt und gängige Theorien fußen auf Annahmen und Mutmaßungen.

Was nun die Umsetzung der Ederschen Beschreibungen angeht, war mein großer Denkfehler die Fotochemie. Historisch war Hydrochinon und Metol bekannt, doch der Topkandidat beim Entwickeln der Negative war Pyrogallol. Das Erschaffen von Positiven überlies man zur damaligen Zeit den heutigen Edeldruckverfahren (zum Beispiel Albuminverfahren). Bei dem genannten Druckverfahren sind Schwarz-Braun-Kombinationen im Bild möglich. Farbiges Schwarzweiß war – der Mode wegen – gewollt. Im Vergleich zur Herstellung von Positiven nach heutigem Muster fehlten noch ein paar technische Voraussetzungen bzw. waren die Kosten für deren Anschaffung extrem hoch. Erst die Industrialisierung der Fotografie durch Kodak und später Agfa schafft Masse für die Massen.

Wenn also Eder von fetten Entwickleransätzen redet, dann meint er Pyrogallol?!? Und um daran zu kommen, gibt es heute ein kleines Problem. Das Zeug ist nicht sonderlich gesund (welche Fotochemikalie ist das schon) und Pyrogallol ist hier in Europa quasi in Vergessenheit geraten. Die fotochemische Großindustrie – oder das, was von ihr noch übrig geblieben ist – hat kein Interesse an dieser Entwicklersubstanz. Im Vergleich zu Hydrochinon und Metol ist der Pyrogallol-Entwickler definitiv ein rasch aufgebender Einmalentwickler.

Wenn auch kein reiner Pyrogallol-Entwickler, so gibt es heute wohl nur einen Entwickler, der Pyrogallol (in Spuren?) enthält: Bergger’s PMK. Er ist ein ausgewiesener Negativentwickler. An die Positiventwicklung denkt – aus Gründen – kein Hersteller, dabei sollte Pyrogallol als ‚färbender Entwickler‘ prädestiniert für ‚bunte‘ Schwarzweiß-Abzüge sein.

Dem geschwindigkeitsverwöhnten und auf Reproduzierbarkeit getrimmten Modernmenschen, sei er der Analogfotografie zugetan, kann man Pyrogallol nicht als einzelne Entwicklersubstanz an die Hand geben. Warum, mehr dazu im zweiten Teil. Also wird heute Metol mit in die Entwicklerlösung hineingetan, werden Konservierungsmittel zugegeben und die Mixtur in zwei separaten Flaschen bereitgestellt. Für erste Versuche entscheide ich mich – zunächst noch an meine Gesundheit denkend – den Pyrogallol-Ersatz Tanol auf Brenzcatechin-Basis von Moersch zu verwenden.

Fortsetzung folgt

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.