Memento mori

Gedenke des Todes, gemahne mich der Vergänglichkeit! Nichts ist so beständig, dass es für ewig ist.

Erste Zeilen voller Pathos, ein Geschwulst an Worten des Bildungsbürgers. Der sensible Leser wird meinen, ich befände mich in einer Lebenskrise, bedarf zumindest seiner, wenn nicht sogar professioneller Hilfe. Dem Gleichgültigen, der vielleicht das eine oder andere öffentliche Traktat von mir gelesen hat, wird nicht umhinkommen, sich zur Äußerung hinreißen lassen, dass ich mal wieder übertreibe.

Dieses Memento mori, das Gedenken des Todes, ist weitaus banaler gedacht als es vermuten lässt: Betrachte ich die eigene Entwicklung anhand der Ergebnisse meiner kreativen Arbeit, zäsiere diesen Prozess kritisch, müssen eigene Epochen einen tragischen Tod sterben. Nicht auszuschließen ist, dass ich manch Dinge verleugne, selbst wenn man mir versichert, dass das keineswegs angebracht ist.

Meine eigenen Epochen stehen nicht nur für die Art, wie ich Fotografien erarbeitet und interpretiert habe. Sie sind meist mit Personen verbunden, die eine gewisse – fördernde Rolle – gespielt haben. Im konkreten Moment fällt mir ein Name ein, erscheint er eigentlich immer wieder im Gedenken. Sein letzter Satz zu mir war, vor weit über zehn Jahren beim Durchblättern aktueller Fotografien ausgesprochen, dass das ich bin und er nicht mehr zu mir sagen könne. Seither haben wir uns nie wieder gesehen. Memento mori.

Ich hatte damals wohl geahnt, dass dieser Satz der Tod einer Männerfreundschaft ist. Nachfolgende Versuche, erfolgreich Kontakt aufzunehmen, glichen dem Gang zum Friedhof, dem Selbstgespräch mit einem Stück Marmor auf einem Quadratmeter Erde. Vielleicht habe ich in dem Moment meine Liebe zu Friedhöfen entwickelt. Jedoch, es gibt eine Einschränkung: Einen fotografischen Bezug zu frischen Gräbern, deren Tragik, Schmerz und vielleicht auch Wut noch so naheliegt, kann ich nicht herstellen. Vielleicht liegt es daran, dass ich vor ein paar Jahren einer Grabstelle gegenüberstand, in der ein Kind lag. Unmengen bunte Blumen und Plüschtiere lähmten mich.

Faktotum Zeit, ein Yin und Yang, die gute Seele, welche mit einiger Geduld viel Erschaffen mag. Und dennoch ein sonderbarer Kauz ist, weil sie mir ständig fehlt. Fehlende Zeit wird als Synonym der Moderne betrachtet. Wie schon so oft, sieht sich der Mensch – auch ich – allein im Hier und Jetzt. Das Vergangene muss anders, viel ruhiger gewesen zu sein. Kann ich mich doch daran erinnern, dass Zeit ewig gebraucht hat, um zu vergehen. Was für ein ideales Beispiel des Selbstbetrugs. Damals wie im Heute hat der Tag 24 Stunden, jede Stunde 60 Minuten und jeder Tag dauerte 86.400 Sekunden.

Damals, also ohne Internet, hätte ich einen Taschenrechner bemüht, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Das Wissen, wie viele Sekunden ein Tag hat, betrachte ich als nutzlos, da es sich bei Kenntnis der allgemeinen Zusammenhänge aus Sekunden pro Minute, Minuten pro Stunde und Stunden pro Tag schnell berechnen lässt. Heute gebe ich die Phrase Sekunden pro Tag in eine Suchmachine ein und erhalte ungefähr eine Dreiviertelmillion Ergebnisse. Der erste Suchtreffer, wohl wegen seiner Banalität ausnahmsweise kein Werbelink, liefert das richtige Ergebnis aus einem Frage-Antwort-Forum.

Besagte Frage ist klar und deutlich umrissen: Wie viele Sekunden hat ein Tag! Schon die erste Antwort ist richtig. Dennoch folgen 16 weitere Antworten, immer mit demselben Ergebnis. Um zu beweisen, dass das Wissen der – mittlerweile – redundant Antwortenden weitaus größer ist, schießen einige über das erfragte Ziel (Sekunden pro Tag) hinaus. Nicht Gegenstand der Frage, werden die Sekunden pro Woche, Monat und so weiter zum Besten gegeben.

Die Geißel des Menschen ist das Trolltum, das Besserwissen um jeden Preis und die daraus resultierende Redundanz. Selbstverständlich sind alle Antworten korrekt, lassen sich der Wahrheit zu ordnen. Die Wirklichkeit, bezogen auf die ursprüngliche Frage sieht jedoch anders aus: Es gibt die mathematisch korrekte Antwort, gespickt mit dem Versagen einiger Antwortenden, mehr darstellen zu müssen. Die Realität, also ohne die subjektiven Charakterschwächen des Menschen, bedarf keiner weiteren Antwort, da bereits die erste einen korrekten Volltreffer landet.

Das Internet ist die Wurzel des Übels, dass in meinen Augen Zeit ein Faktotum ist? Ohne Zweifel – also in Wahrheit – ist Internet eine Potenzierglied. In Wirklichkeit muss ich den geringen Nutzen – das belegbare Wissen – aus der Redundanz extrahieren, um in der Realität zu erhalten, welches zum Beispiel entsprechend der naturwissenschaftlichen Grundlagen belegt ist. Die Crux an dem Fakt ist: Es bedarf eines gewissen Grundwissens, um nicht im Redundanzmoloch Internet jämmerlich zu ersticken.

Also war früher, ohne Internet, alles besser? Mein Faktotum hat mich gelehrt zurück zu schauen und Jenen zuzuhören, die – wie ich heute – Einblick ins jeweilige Hier und Jetzt geben. Also in die Vergangenheit. Literarisch ausformuliert, könnte man vom Essay sprechen. Wer zum Schritt der Rückschau, quasi einem Zeitsprung, bereit ist, wird sehr schnell feststellen, dass es viele Parallelen zum Jetzt gibt, dass Probleme von damals bis heute überlebt haben. Möchte ich etwas, was auch immer damit gemeint ist, erzielen oder bewirken, muss ich den Kern ergründen, die Realität aus der Wahrheit herauslösen. Die Realität, der belegbare Fakt, ist solange vom Memento mori ausgenommen, bis deren Basis wissenschaftlich widerlegt wurde.

Blicke ich heute zurück, waren wohl zwei persönliche Momente ausschlaggebend dafür, meine Kreativität mit Hilfe der Fotografie auszuleben. Der erste Moment waren die abendlichen Stunden in der Dunkelkammer eines Freundes. Dieses Spiel mit dem Licht, den Negativen, das Vergrößern, die Belichtung und das Entwickeln weckten in mir eine Faszination für das schwarzweiße Bild. Dann war da das Abwedeln, das magische Dämpfen des Lichtes, das Rühren mit den Händen in dem Etwas, was man eigentlich nur über reflektierende Oberflächen sieht. Auch wenn diese Phase – umzugsbedingt – nur wenige Monate anhielt, so erinnere ich mich noch heute daran. Dasselbe gilt – am Rande bemerkt – für die wenigen Erinnerungen an meinen Vater. Eine davon ist der Blick durch eine zweiäugige Spiegelreflexkamera, das Seitenverkehrte und mein verzweifelter Versuch, spiegelverkehrt zu denken. Damit habe ich noch heute so meine Probleme.

Der zweite Moment ist die bereits erwähnte Freundschaft, deren Sterben ich bis heute bereue. Wenn ich ehrlich zu mir bin: Trotz der Reue und selbst wenn er – der Freund – wieder auferstehen würde, die Magie des Damals ist hoffnungslos verloren. Woran liegt es? Die letzten Male vor dem Tod der Freundschaft, die wir miteinander gesprochen haben, führte er unter Alkoholeinfluss. Seine soziale Situation war auch mehr als bescheiden. Seit einem Unfall saß er im Rollstuhl, seine Oma lebte mit ihm in einem Haushalt, finanzierte so die Wohnung im Erdgeschoss quer. Als sie starb, vergrößerte sich sein ohnehin latent vorhandenes finanzielles Problem. Er fotografiere auf Film, ich dagegen digital. Wir fotografierten gemeinsam und dennoch getrennt. Was mich im Nachhinein noch heute am meisten an dieser Kollaboration fasziniert: Ich kann mich seinerseits an keine Monologe über Technik, Regelwerke oder dergleichen erinnern. Alles drehte sich um das Sehen, in Position bringen und Auslösen.

Als Kind und Jugendlicher habe ich gerne gemalt – war kreativ. Mit Lineal und Stift, also eher technische Zeichnungen, genauso gern auch Freihand. Am Zeichnen mag ich die Freiheit, Dinge abseits der Naturwissenschaften und ihrer Gesetze entstehen zu lassen. Diese Freiheit fand ich genauso im 3D, sei es in Landschaftsgeneratoren oder 3D-Modellern. Eine zeitlang hielt ich an dem Glauben fest, in meinem zweiten Leben zeichnen und malen zu wollen. Heute rede ich mich davon – wissentlich – mit meiner Grobmotorik und einer schweren Hand frei.

Unternehme ich den Versuch, den Sinneswandel mit Fakten zu belegen, über die Wahrheit der Realität näher zu kommen, stelle ich für mich fest, dass 3D zwar jede Menge Mausarbeit, jedoch entscheidend weniger Handarbeit bedeutet. Am Ende steht ein Ergebnis, welches meist als 2D-Bild endet. Erst die 3D-Drucktechnik hat es mir erlaubt, Gegenstände herzustellen und nachträglich zu bearbeiten. Allerdings lassen sich auf diesem Weg keine komplexen Landschaften, stattdessen nur Auszüge in Form irgendwelcher Objekte erzeugen.

Das, was ich schaffe, soll einen hohen Anteil Handarbeit enthalten. Ich möchte mit Techniken und Technologien jonglieren, Prozesse beherrschen, die eine innere Idee zu etwas Gegenständlichem machen. Diesen Ansatz stelle ich voran, um ihn mit den nächsten Worten zu relativieren. Denn es zieht sich durch die Historie des Menschen, dass er Technik und Technologien beherrschen will und kann, was jedoch zu einer steten Steigerung in Sachen Präzision führt. Der Wahrheit verpflichtet, sieht er das Ideal im realistischen Abbild. Der Mensch lernt mit jedem Pinselzug den er macht und sucht sein Heil beinahe ausschließlich darin, den zweiten Strich absolut perfekt auszuführen.

Nur wenige Künstler wagen den Versuch, Falsches derart optimal zu perfektionieren, dass es die Masse als schön empfindet. Das in meinen Augen beste Beispiel ist da Vinci’s Mona Lisa. Unumstritten sind die darin vorkommenden Fehler, die in ihrer Gesamtheit beim geneigten Betrachter ein Wechselbad der Emotionen auslöst. Es scheint so, als sind wir für Fehler empfänglich, können Fehlern bis zu einem gewissen Grad sogar Sympathien abringen.

Mein persönlicher – fotografischer – Favorit ist Miroslav Tichy. In meinen Augen verbindet er Handwerk (vom Kamerabau bis hin zur Ausarbeitung seiner Aufnahmen) mit einer ungeahnten Präzision des Imperfekten. Wer jemals ernsthaft mit allen Formen der Unschärfe experimentiert hat, der weiß, wie schwer es ist, in dieser Form der Interpretation eines Sujets zu agieren.

Ohne Zweifel unterlag Tichy einigen Zwängen, sah sich selbst nicht als den Großen Meister. Das ist in meinen Augen irrelevant. Jeder Künstler sollte bescheiden sein, sich nur als lebender Handlanger einer imaginären Vision sehen, die mit dem Werk spricht. Tichy’s Arbeiten sprechen für sich. Es gibt keinen Zwang, sich an irgendein Format zu halten, dem wiederum die Liebe zum Rahmen gegenübersteht. Er schafft Bilder, um sie – weil auf dem Boden seines Zimmer liegend – wieder zu zerstören. Wenn nicht der Künstler, wer sonst hat ein Recht sein Schaffen so zu beeinflussen, dass der Verfall bis hin zum Tod Gegenstand des Werkes wird.

Das Gegenstück zu Tichy spiegelt sich für mich im Wabi-Sabi wieder. Wilhelm Gundert hat sich an eine Beschreibung dessen gemacht, was in unseren Augen ein Stück typisch japanisch ist. Einige Mutige gehen sogar soweit, Wabi-Sabi zu europäisieren, ohne sich selbst im Inneren darauf einzulassen. Solch Intentionen können nur als Karikatur, als Versuch, lieblos einen neuen Trend zu setzen, verstanden werden.

Für eine kurze Zeit hatte ich Kontakt zu einem Rigger, der Großes in Sachen Bondage und Fotografie vor hatte. Ich wurde vorgewarnt, dass ihm die Worte schneller entgleiten als er darüber nachdenkt. Immer wenn ich für Fotoserien in ein mir unbekanntes Sujet wechsle, nehme ich mir die Zeit, mir alles – auch ohne Kamera – anzuschauen. Die Szene soll sich an mich gewöhnen und ich möchte Eindrücke sowie typische Verhaltensmuster erfassen.

Rigger trinken Rotwein, hören Tango, verwenden nur ganz spezielle Seile und dürfen nicht kniend auf dem Boden fotografiert werden. So jedenfalls wollte man sich mir gegenüber präsentieren. Doch ich sah, je nach Bunny, Unterschiede in den Riten. Es stand nicht so sehr das Bondage – die Kunst der Fesselung und Einschränkung – im Vordergrund. Unter dem Deckmantel der Kunst und des angeblich ausgeübten Lebensstils ging es besagtem Rigger um reine sexuelle Befriedigung mit paarungswilligen Bunnies. Memento mori dem Versuch, Bondage und künstlerische Fotografie zu verbinden.

Das ich keine Probleme mit Nacktheit habe, sieht man wohl an meinen Arbeiten. Menschen nackt zu fotografieren und welchen Anfeindungen man sich damit aussetzt, würde allein ein Essay füllen. Solch Wortführer, denen schnell Begriffe wie Pornografie entfallen, sind – auf die Realität bezogen – das Opfer ihrer eigenen Fantasie. Denn der Betrachter ist letztlich derjenige, der die Gedanken denkt, eher weniger der Fotograf. Wohl peinlich von der Nacktheit berührt, muss der Betrachter entsprechende Arbeiten um den Willen seiner eigenen Unschuld verdammen.

Doch warum zeigt der Mensch in Bildern und Skulpturen Nacktheit, gar hin bis zu Szenen sexueller Handlungen? Ohne Zweifel: Ein Großteil zum Stimulus und der eigenen Befriedigung! Nacktheit zeigt uns aber auch den Kern ohne jene Schale, die wir uns jeden Tag anlegen, nicht nur weil uns ohne Fell kalt sein würde. Kleidung war schon immer Status, egal ob man der entsprechenden Kaste angehört oder nicht. Es wird verdeckt, kaschiert, so als sind wir uns selbst peinlich. Selbst im Tod wollen wir in einem Leichentuch eingewickelt sein.

Derart versteckt entwickelt sich im Kopf ein Ideal, das nur wenige Menschen in sich vereinen und zudem in der Summe Durchschnitt ist. Dieser Durchschnitt zur Norm erhoben, ist die Masse derart paralysiert, schämt sich für ihr eigenes Wesen. Was spricht dagegen, weibliche Züge statt knabenhaftes Size Zero darzustellen? Die Vollkommenheit des Menschen ist für mich die schwangere Frau, die stillende Mutter. Hier zeigt der Mensch sein natürliches Wesen, seine reale Profession, Bestandsschutz und Arterhaltung. Im Glauben, alles zu beherrschen und kontrollieren zu können, geht in unserem Bewusstsein unter, dass wir ein Teil der Natur sind. Die Geburt ist der Grund, an das sich daraus bedingende Endeerinnert zu werden. Eben Memento mori.

Das Leben hinterlässt seine Spuren. Es hinterlässt schöne Spuren, genauso wie jene, die mahnend sind. Ein erfülltes Leben bedeutet nicht, in Harmonie gelebt zu haben. Arbeit, Geburten, Krankheit; alles zeichnet unseren Körper. Alles ist es Wert, gezeigt zu werden, es ist ein Teil von uns. Diese Nebensächlichkeiten gehören zum Menschsein und es ist ein Frevel, sie mittels Retusche gänzlich vom Körper zu verbannen.

Den Menschen unbekleidet zu fotografieren, wird mit allerlei Halbwahrheiten assoziiert. Mir ist es bisher noch nicht untergekommen, während der Aufnahmen an Sex zu denken. Vielmehr drehen sich die Gedanken um die Frage, in welche Richtung ich das spätere Bild bringen möchte. Dabei geht es nicht um Feinheiten, eher um das Prinzip. So ist es dann auch gut möglich, dass mir Feinheiten wie Tattoo’s oder Piercing’s erst im Nachhinein bewusst werden, selbst wenn ich sie erfasst und in die Aufnahme eingebaut habe.

Ich bin dahingehend geprägt, der Technik und Technologie nicht die Aufmerksamkeit zu schenken, wie es eine Vielzahl anderer Fotografen und Lichtbildner tun. Ich habe es lernen müssen, dem Zufall und den Fehlern Raum in meinen Bildern einzuräumen. Diese Denkweise und vor allem mein Empfinden, genauso zu denken, lässt sich auf ein Ereignis als Initialzündung zurückführen. Ehe ich mein Handeln und Werkeln darauf eingestellt habe, hat es etwa fünf Jahre gedauert.

Zu behaupten, ich würde ausschließlich intuitiv arbeiten, ist gelogen. Über kurz oder lang muss ich mich mit den Naturgesetzen, der Technik und Technologie auseinandersetzen. Dabei folge ich dem Ansatz, ein Prinzip zu verstehen und es dann, im geeigneten Moment, anzuwenden. Nicht alles muss im Gehirn Platz finden, ich muss lediglich wissen, wo ich Details nachlesen kann.

Insbesondere was das Wissen um die fotografischen Regeln zur Bildgestaltung angeht, hat sich für mich der Ausflug in die Historie bewährt. All die weisen Sprüche sind Epochen entlehnt, welche die Fotografie durchlaufen und damit auch geprägt hat. Empirisches Wissen spielt eine große Rolle, nur wird es zu oft mit Fakten vermischt, die einfach nicht zusammengehören. Ebenfalls kritisch zu bewerten ist das Fehlen der Grenzen, innerhalb das gewonnene Wissen seine Gültigkeit besitzt. Und so verbringe ich oft Zeit damit, besagte Grenzen zu suchen, möchte ich Arbeiten eben nicht mit Standardprozessen zum Gegenstand machen.

Die Abkehr von der Maxime des Standardprozesses, so lässt sich mein Tun beschreiben. Es ist keine Rebellion gegen das Normale. Vielmehr ist es so, dass ich im Normal nicht die Sprache finde, Bilder zu erstellen. Es wird vergessen, dass Standards Normen zur Austauschbarkeit sind, der eigentliche Zweck auch non-konform erzielbar ist.

Man mag es billige Effekthascherei nennen, sind Arbeiten vignettiert, unscharf, körnig oder nicht frei von Störungen. Die Überzeichnung, das bewusste Zuspitzen von Fehlern gehört zu mir, stellt so etwas wie eine Handschrift dar. Die Art und Weise ist das Ergebnis meines Lebens, der Erlebten, des Widerfahrenen. Ich kann nicht so tun, als würde es meine Vergangenheit nicht geben. Das wäre Selbstbetrug.

Dieses Momentum, der Impuls, der meine Entwicklung auslöst, war da. Vom Zweifel getragen am Intellekt des Menschen, Verzweiflung und die schmerzliche Erfahrung über die Universalität der Fehlbarkeit. Das muss sich, reflektiere ich Erlebtes, irgendwo widerspiegeln. Der Versuch, mich in ein Schneckenhaus zurückzuziehen, ist gescheitert. Ich kann mich nicht für den verbleibenden Rest der Tage von der Welt ausschließen. Wohl oder übel bin ich ein x-milliardstel Teil des Systems Erde. Ich habe beschlossen weiter mitzuspielen, obwohl ich lieber für mich allein sein möchte.

Die Digitalfotografie war für mich, trotz meiner Kenntnisse mit Photoshop & Co., kein Sprachrohr mehr. Es liegt an deren Realität: Planarität der gefilterten Fotodioden im Nanometerbereich, mathematisches Errechnen eines Etwas, das sich Digitalbild nennt. Im Laufe der Zeit langweilte mich die unbegrenzte Schärfe und das Streben nach höchster Perfektion immer weiter an. Mittlerweile kann ich Digitalbildern, inklusive meiner besten Eigenen, nichts mehr abgewinnen. Die Symmetrie der Matrix aus lichtempfindlichen Punkten überlagert das ursprüngliche Motiv, beisst sich fest.

Diese Worte bedeuten nicht Verdammnis, das Geißeln einer – digitalen – Plage. Ich akzeptiere diese Form der Fotografie als Technologie, nur bedarf es mir zu vieler Klimmzüge, um den digital aufgezeichneten Bildern ihre Charakterlosigkeit zu nehmen. Technische Perfektion und gute Algorithmen versus meiner Wahrnehmung. So wie ich das Betrachten lernen musste, kann es gut sein, dass meine Wahrnehmung dazulernt, sich folglich ändert. Es wäre ein Memento mori auf das, was mich heute als Lichtbildner zufrieden stellt.

Verfasst September 2015

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.