Während ich mich daran mache, die letzten Aufnahmen mit Britta durchzusehen, bittet “HasiDeluxe” via Skype um Kontakt mit mir. Ich kenne kein “HasiDeluxe”! Allein die Neugierde, wer hinter dem Alias steckt, lässt mich die Anfrage bestätigen.
“Hi Grosser. Hier ist Sanny. Wie gehts? Fleissig beim schreiben und fotografieren? :)”
Moment!
Die Begrüßungsformel “Hi Grosser” benutze ich bei meinem Busenkumpel Mike. Der wird doch nicht beschlossen haben, sich als Frau auszugeben oder gar umzuwandeln. Und dann sage ich “Hi Grosser” zu ihm und nicht umgekehrt. Immerhin habe ich seit vier Wochen nichts mehr von ihm gehört. Da kann einiges passieren. Gesetzt den Fall, er tauschte seine Kronjuwelen gegen eine Sparbüchse, dann würde er sich garantiert nicht “HasiDeluxe” oder “Sanny” nennen.
Vorsichtig taste ich mich an die Erkundung der mir noch Unbekannten heran.
“Hi Sanny.
Danke der Nachfrage. Mir gehts gut und ich bearbeite gerade ein paar Fotos. Ansonsten liegt nichts weiter an. Keine Artikel, kein Buch … einfach nur ausspannen und Ideen sammeln.
Wie gehts dir?”
Normalerweise kommuniziere ich in Kleinschrift. Das gilt für E-Mails, Twitter und Skype. Um mein Gegenüber nicht sofort mit meinen Macken zu konfrontieren und eine Lese-Schreib-Schwäche vorzutäuschen, achte ich vorerst auf eine möglichst klassische Deutschschreibweise.
“Ooch mir gehts nicht so gut. Hab mein Studium fertig, nen neuen Job und bin solo *heul*”
Studium fertig? Dann kann es nur DIE Sanny sein. Sie wollte für ihren Freund einen Fotokalender haben. Das fiel ihr ca. eine Woche vor Weihnachten ein und wollte deshalb mit mir sofort ins Fotostudio gehen. Den Zahn musste ich ihr ziehen. Der Stichtag mit der Garantie, den Kalender noch pünktlich unter den Weihnachtsbaum vorzufinden, war längst abgelaufen. Ebenso versuchte ich ihr klar zu machen, dass wir dreizehn verschiedene Motive brauchen. Alles andere wäre langweilig, selbst wenn der Freund sie abgöttisch liebt.
Gott sei Dank hatte der Freund Ende Januar Geburtstag. So entstand unser Plan, ihm anlässlich dieses Ereignisses den besagten Fotokalender zu überreichen. Also verbrachte ich mit Sanny den Neujahrstag im Studio.
“gratuliere.
nun hast du dein diplom in der tasche … und nen job auch. was will man in der heutigen zeit mehr.
das mit deinem freund und das du wieder solo bist tut mir … :(“
Ich ging zur vollständigen Kleinschreibung über. Sanny kennt meine Marotten.
“Danke für dein Mitgefühl. Es war ein neuer Freund. Nicht der von damals mit dem Kalender. Mit dem war kurz danach Schluss.”
Sanny hatte mir damals ein Foto von ihm gezeigt. Er war stämmig, südländischer Typ und bestimmt Mitte Dreißig. Sanny war Anfang Zwanzig, als ich sie kennenlernte. Beide wohnten zusammen in seiner Wohnung und er hat ihr ein Auto gekauft.
Bezüglich dieser Konstellation war mein erster Gedanke: Junge Frau sucht erfahrenen Mann, der ihr während des Studium gewisse Sicherheiten und Komfort bietet! Ist der Abschluss geschafft, hat man sich auseinandergelebt und der arme Kerl wird in den Wind geschossen.
“als wir uns das letzte mal gesehen haben, sprachst du ja schon davon dass es stress gibt”
“Seine Familie hat mich nie akzeptiert. Erst war alles so schön, sie hatten mich wie eine Tochter aufgenommen. Aber dann gab es auf einmal nur Stress.”
“vielleicht hat dich die familie zu sehr als tochter und nicht als freundin ihres sohns gesehen. ich könnte mir vorstellen, dass das zu problemen führt”
Ich habe noch einen anderen Gedanken im Hinterkopf, den ich aber nicht ausspreche. Nur vom Foto her war mir ihr Ex unsympathisch. Typ Macker, der garantiert etwas dagegen hatte, dass seine Freundin von einem Mann fotografiert wurde. Und das Ganze teilweise auch noch nackt.
Bis heute hatte ich verdammtes Glück. Meine Modelle wissen wo ich wohne, arbeite und haben zumindest meine Handynummer. Ich warte auf den Tag, bis ein eifersüchtiger Ehemann, Freund oder Geliebter wutschnaubend vor meiner Wohnungstür steht und mir Prügel anbietet. Vielleicht stand ihr Ex damals kurz davor. Jedenfalls sah er so aus.
“Damals war es mir egal. Ich hatte Tim kennengelernt und bin dann zu ihm.”
“oh, das ging ja schnell”
“Na denkst du ich wollte zu meinen Eltern zurück?”
Sanny geht in Sachen Beziehung und Sicherung des eigenen Lebensstandard ziemlich pragmatisch vor. Ihr Aussehen macht es ihr auch leicht. Lange blonde Haare, eine sportliche Figur, schöne straffe Brüste mit wunderschönen Brustwarzen und ein knackiger Po. Ihre Nase ist zwar kein klassisches Stupsnäschen, hat aber etwas erotisches. Genau wie ihr Mund. Lange nach dem Shooting, beim Perfektionieren ihres Körpers mittels Photoshop, fielen mir diese Details erst auf. So geht es mir aber (fast) immer …
Um nicht irgendetwas Dummes zu schreiben, lenke ich unsere Konversation in Richtung Sanny’s neuen Job.
“und wo bist du jetzt jobmäßig gelandet?”
“Ich bin bei einer Online-Agentur und kümmere mich um Aufträge und Werbung und so”
“hattest du nicht was mit design und so studiert? wolltest du nicht was mit fotografie machen?”
“Ja. Aber es ist hier in Berlin ziemlich schwierig was zu finden. Nach dem Studium hab ich für eine Anlageberatung gearbeitet und war ständig unterwegs. Den neuen Job werd ich aber auch nicht lange machen. Ich bin schwanger!”
“*bauklötzerstaun*”
“Ja, leider. War nicht geplant. Ein Unfall”
Meine Mutter hat irgendwann mal zu mir gesagt, dass ich ein Unfallkind sei und sie sonst nie mein Vater geheiratet hätte. Diesen Umstand habe ich in meiner ganzen Kindheit spüren dürfen. Insofern trifft mich der „Unfall“ wirklich ins Herz. Alles andere, was Sanny mir gerade schreibt, lässt mich emotional unberührt.
“du hast geschrieben, dass du single bist?! da scheint ja wirklich was schief gelaufen zu sein”
“Es gibt keinen Vater. Jedenfalls nicht wirklich *heul*”
“also an die nummer mit der jungfrau maria und so glaub ich nicht. du etwa?”
“Ich weiss nicht, wer der Vater ist. Es kommen mehrere in Frage” beichtet Sanny.
“ups”
“Und ich kenne sie noch nicht mal. Ich weiß nur ihren Vornamen. Jetzt denkst du sicherlich, ich bin ne Schlampe”
“ich denke gerade gar nichts … bin eher geschockt und sprachlos”
“Hatte mich damals gerade von Wolfgang getrennt. Ich fühlte mich allein und irgendwie wollte ich wissen, ob ich für Männer noch attraktiv bin. Da hab ich die beiden Typen kennengelernt und da ist es eben passiert. Es war nur Sex”
“sorry, wenn ich jetzt frei schnauze schreibe
wenn du dich von mehreren typen durchvögeln lässt, dann sollte verhütung erst recht ein thema sein
AIDS, tripper, sackratten
du weisst doch nicht, was die vorher schon alles durchgenommen haben”
Für einen Moment herrscht Ruhe.
“Wir hatten vorher geduscht und kein Ficken ausgemacht. Dann ist es aber doch passiert und sie meinten, daß sie aufpassen *schlurz*”
“das hast du geglaubt? also das ist ziemlich naiv
mit duschen wäschst du keine krankheiten ab
und auf die aufpassen-nummer fallen nur kleine mädchen rein
glückstropfen können auch sperma enthalten”
Ich fühle mich wie Doktor Sommer, der gerade eine verzweifelte Bravo-Leserin über die Risiken und Nebenwirkungen der Halbwahrheiten des Lebens belehrt.
“Ich weiß. Es war aber so geil, daß ich nicht mehr klar denken konnte”
“hast du dich untersuchen lassen
wegen AIDS meine ich”
“Ja, alles OK. Es ist nix”
“wenigstens eine gute nachricht!
und nun?”
“Danach hatte ich Wolfgang kennengelernt. Er war auch älter, aber ein ganz anderer Typ. Hab nicht mitbekommen, daß ich schwanger bin und dachte dann, daß er der Vater ist. Er hat schon zwei Kinder.”
“und?”
“Er hat sich vor ein paar Jahren sterilisieren lassen. Das habe ich aber auch erst danach erfahren”
Ich werde schriftlich laut: “BINGO”
“Wann hast du denn Zeit? Wir können uns mal treffen und in Ruhe quatschen. Du kannst so gut zuhören und hast soviel Verständnis”
Sorry Sanny, wenn ich mir deine Beichte durchlese, dann ist die beste Verhütungsmethode für mich nicht deinen Weg zu kreuzen. Ohne Zweifel könnte mich dein Körper schwach werden lassen. Im Hinterkopf geistert jedoch immer der Gedanke, dass du nur einen Versorger und Aushilfsvater suchst. Nichts gegen hemmungsloses Rudelbumsen und selbstgeklöppelten Nachwuchs, aber du bist mir zu abgebrüht.
“lass uns die tage nochmal via skype quatschen
die nächste woche ist schon alles voll bei mir
danach könnte es klappen”
Ich habe gerade schamlos gelogen!
Ich werde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Kontakt löschen und vier Wochen kein Skype nutzen!
“OK Danke
Ich drück dich *kiss*”
Auch wenn der Kuss virtuell und damit nicht ansteckend ist, gehe ich mir erst einmal mein Gesicht waschen. Danach tue ich es wie gedacht. Zwei Mausklicks später ist Sanny zumindest in Skype Geschichte für mich!