Nimm doch irgendeine App statt dich in der Dunkelkammer zu quälen

Wenn ich höre, für was – womöglich noch beim besten Willen – keine Zeit ist und wenn ich sehe, für was die angeblich so knappe Zeit verschwendet wird, dann zweifle ich an der Vernunft. Auch an meiner eigenen. Ich kannte das Standardprozedere in der Dunkelkammer und entschied mich deshalb für die digitale Fotografie. Schließlich gibt es ja hier auch eine digitale Dunkelkammer. Da kann ich doch alles und noch viel mehr machen. Und dann das Smartphone, durch Apps wie Hipstamatic zur iPhoneography erkoren.

Das digitale Zeug mag nicht stinken, ist aber nicht mehr gesund. Klar kann ich mit Fingertipps und Mausklick Grenzen der Bildmanipulation überschreiten. Doch das wache Auge bekommt sehr schnell mit, wie wenig Spielraum und wie varianten-arm all die kühlen Programme und Zusatzmodule sind. Letztendlich erkennt das geübte Auge sehr schnell, welcher Pixelprinz am Nachahmen analoger Effekte beteiligt ist. Und: Keine App oder Abo-Programm kann die Schärfe und Präzision der digitalen Fotografie aufbrechen. Allein die Simulation des analogen Korn stellt ein großes Problem dar.

Wann ist es mir jemals gelungen, einen identischen analogen Abzug zu erschaffen? OK, bei meiner Strategie der Bildwerdung ist das nicht schwer. Doch dann und wann greife ich auf einen Standardprozess zurück und es will dennoch nicht glücken. Es sind so viele Faktoren, die alle ihren Einfluß nehmen. Eine gute, handgemachte Semmel darf nicht aussehen wie all die anderen handgemachten Semmeln. Erst durch die Abweichungen wird jedes Stück zu etwas besonderem. Wie kann es also sein, dass der auf seine Individualität bedachte Mensch bei seiner ‚Kunst‘ auf Gleichmacher wie eben Hipstamatic setzt?

Was mich letztlich bewegt hat, den Weg vom Digitalen zurück in die analoge Welt zu suchen, war die maßlose Übertreibung der Digitalen. Farben schlagen Inhalte tot, es geht immer noch die Kelle mehr Effekt bis hin zur Perversion, die die Achtzigjährige mit Porzellanhaut verjüngt. Ich nehme mich vom Retuschewahn nicht aus und schäme mich heute dafür. Heute legt das Korn einen Teppich über Pickel, Falten und all die anderen Zeichen des Lebens. Ohnehin bin ich nicht sehr verliebt in meine Arbeiten. Ich bin stolz auf das eine oder andere Werk, doch damit ist es der Liebe genug.

Warum also Fotografie inklusive Handabzüge und keine digitalen Werke in Online-Gemeinschaften Gleichgesinnter? Die digitale Schiene ist auf Optimum und hohe Wiederholbarkeitsrate ausgelegt. Da kann und darf es keine Ausreißer geben. Das Ideal ist in meinen Augen langweilig und hat mittlerweile jeden Bezug zur Realität verloren. Ich bin von Fehlern und Imperfektion umgeben. Ich selbst zeige kein Zeichen der Perfektion oder grenzenlosen Wiederholbarkeit. Vieles im Leben bewegt sich abseits des idealen Wegs. Ich möchte die Vielfalt und Fehlbarkeit zum Gegenstand meiner Bilder machen. Und das geht, ich habe es probiert, mit keiner App. Dafür aber in der Dunkelkammer, auch wenn es mehr Zeit kostet. Die gebe ich für das einzigartige Ergebnis gerne.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.