Was für ein eigenartiger Tag. Ich meine Dinge der aktuellen Situation gerecht geplant, mir die Zustimmung eingeholt und schließlich verkündet zu haben. Da kommt ein Vollhonk daher und meint, dass ich es nicht im „offiziellen Rahmen“ tat. Ich versuche ihm geduldig darzulegen wieso, weshalb und warum es jetzt anders ist. Doch der Spacko hatte wohl Probleme beim morgendlichen Stuhlgang. Zum ersten Mal in meiner „Karriere“ weigere ich mich mit ihm weiter über das Thema zu unterhalten. 90% der (anderen) Betroffenen haben verstanden, wie es in der jetzigen angespannten Lage weitergeht. Über eine Woche hinaus mag ich nicht mehr planen. Irgendwann muss sich das Individuum auch mal der Mehrheit beugen, selbst wenn das im Auge des diskussionsfreudigen Gutmenschen Diktatur bedeutet.
Ein paar Stunden später steht der nächste maskierte Mensch im Büro. Nicht als freundliche Geste sondern als Anweisung maskiere ich mich zurück. Ich weiss, dass der Besucher sich im Umfeld einer positiven Corona-Infektion bewegt. Dies teilt er mir nun offiziell und persönlichst mit. Ich frage ihn, weshalb er überhaupt hier sei, solange die Sache nicht geklärt ist. Wir sind soweit vorbereitet flexibel aus der Distanz auf solch eine Situation zu reagieren und wollen so vermeiden, unnötiges Risiko in den verbleibenden Jahrgang zu bringen. Eine Ausrede folgt der nächsten: „Hätte, würde, müsste … und jetzt ist es sowieso zu spät, wo ich in ihrem Büro stehe“. Ist das Blödheit, purer Vorsatz oder beliebte Suche nach Aufmerksamkeit? Aber bitte nicht auf Kosten meiner Gesundheit!
Innerlich schreie ich wie ein kleines Kind nach meiner Hobbithöhle. Andere Zeitgenossen bekommen es gebacken und nehmen sich freiwillig die zwei … drei Tage aus dem Verkehr, bis ein Testergebnis vorliegt. Und wenn sich die Situation beruhigt hat, wird an einer Lösung im Interesse des Betroffenen gearbeitet. Doch dann gibt es eben die Menschen, deren einziges Lebensziel darin besteht, das Leben der anderen Menschen unnötig schwer zu machen. Wenig später steht derjenige wieder in der Tür, pandemiegerecht vermaskiert, entschuldigt sich für sein Verhalten und zieht endlich ab.
Abends liege ich auf der Wohnlandschaft und versuche innerlich, dass der Tag endlich an mir abperlt. Es läuft eine Dokumentation über eine holländische Wünsche-Ambulanz. Gleich fällt mir ein ähnlicher Bericht über ein deutsches Pendant ein. Heute, beim Schauen des Berichts, wie damals bin ich ergriffen. Den letzten Wunsch erfüllen. Mir fällt sofort Onkobitch/Metahasenbändigerin ein. Schwer gezeichnet besucht sie noch einmal das Meer und verstirbt kurz danach. In dem Bericht ist zu hören, dass die Sterbenskranken sogar während ihrer Fahrt die letzte Reise antreten. Gesetzt den Fall, ich wäre in der Situation und man würde mir einen Wunsch erfüllen wollen: Was würde ich mir wünschen?
Lästig Spam von Aktion Mensch. Soziale Projekte und Inklusion, Millionen Gewinn und etwas Glück. Warum auch immer schießt mir in den Kopf: Kinder dürfen wie eine ungeschmierte Kettensäge egal wie laut schreien, mir verwehrt man das Recht auf lautstarke Vergeltung und zurückzubrüllen. Zurück zum Thema. Zweimal hatte ich riesiges Glück und ich möchte deshalb meinen Schutzengel nicht weiter herausfordern. Also versuche ich bestimmte Risiken zu vermeiden, ohne gleich in Panik und Hysterie zu verfallen. Daraus einen Wunsch zu zimmern, den ohnehin niemand erfüllen kann, es wäre vergebene Liebesmüh.
Ich mag mittlerweile keine Wünsche mehr. Geschweige denn Träume. Sie sind wie der Glaube an Gott und einen seiner Ableger. Wünsche und Träume klingen vielleicht wie ein schöner Gedanke, aber darin liegt für mich keine Erfüllung. Ohne ein Ziel sind Wünsche nutzlos. Damit Wünsche oder Träume Realität werden können, müssen ein paar Dinge aufeinander fallen. Eben dieser wohlwollende Moment des sonst so launischen Zufalls. Deshalb bin ich mittlerweile nicht traurig, wenn sich ein schöner warme Gedanke nicht erfüllt. Dann ist es eben so. Schlimmer ist eher folgendes: Der Zufall ist so gnädig und lässt nicht vorstellbare Dinge zu. Der Traumwunsch findet ein vorzeitiges Ende und eine nie wiederkehrende Chance ist vertan. In der verspielten Chance, warum auch immer es dazu kam, liegt die eigentliche Tragik der Wünsche und Träume. Der Gedanke, er bewegt.
In dem Beitrag fällt der Begriff „austherapiert“. Ein unmögliches Wort für Feierabend, Ende, Schluss, Aus und nichts geht mehr. Beim Tierarzt dächte man spätestens jetzt über das Einschläfern und Erlösen nach. Ein unmögliches Wort wie meine persönliche Hasskappe „Lebensqualität“, was soviel bedeutet wie „seh zu, dass du damit klar kommst“. Solche Tarnworte dienen nur dem Verschleiern einer unangenehmen Wahrheit. Vielleicht ist das der Spruch für unser grosses Finale: „Damit meine Lebensqualität steigt müssen wir uns austherapieren“. Das macht die Tragik um eine verspielte Chance weder angenehmer noch erträglicher. Doch es ist so, denn im Inneren hat der Abschied schon längst seine Feuer gelegt.
Ich wüsste nicht, was ich an meinem Ende noch unbedingt erleben oder sehen möchte. Stand heute: Nichts. Ruhe und der freie Blick in die Sterne. Ich habe viel zu selten in den Himmel geschaut. Bis dahin ist hoffentlich noch viel Zeit und vielleicht fällt mir noch etwas Geistreiches ein. Die Zeit, auch wenn es die letzte ist, sie soll nicht verschwendet sein.