Zerberstung

Gedanken zum Entstehen einer Arbeit

Vor 365 Tagen, als vor einem Jahr, war viel Achterbahn angesagt. In der Folgezeit sind Dinge geschehen, die einfach passiert sind. Jedenfalls für mich und das, ohne über ein einziges Detail nachzudenken. Und doch zog sich alles wie ein zäher kalter Kaugummi in Zeitlupe in die Länge. Quälend langsam zog sich, was bis in jeden Krumen zerlegt und beredet werden musste. Was für ein Drama und ein explosives Gemisch aus Plan, Angst und Liebe. In der Zeit entstanden ein paar für mich verstörende Arbeiten, die wiederum Aussenstehende ziemlich interessant fanden. Und so kam es vor, dass die Farbe noch garnicht richtig trocken ist und ich das Bild bereits los war. Auf der anderen Seite halte ich auf Wunsch Arbeiten zurück, worin eine besondere Bedeutung für die Zeit gesehen wird, die mich mittlerweile viel eher belastet.

Zwischenzeitlich dachte ich, auf wundersame Weise meine Blase verlassen zu haben. Erst zeitweise, offener Vollzug sozusagen. Dann fühlte ich nichts mehr, so als sei ich urplötzlich entlassen. In den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass sich nichts geändert hat. Meine Blase hat lediglich einen mobilen Filmvorführer engagiert und für Tamtam in der Blase gesorgt. Das hat mich vom eigentlichen Problem abgelenkt: Egal was da in mir drin geschieht, ich muss damit alleine klar kommen. Oder ich warte, bis da die eine Hoffnung sich erfüllt oder platzt, doch wann das ist, ist völlig offen. Anfänglich war es „mein Gekleckse“, was jedoch dafür reichte, Bilderrahmen mit aufgezogenem Kitsch ins Atelier vorbeizubringen und mir zum Übermalen zu geben. Inklusive der Wünsche nach Farbe und mehr Ruhe in der Arbeit. Ich upcycle Kitsch und mache zeitgenössische Kunst daraus. Fairerweise gab es auch die Frage nach dem Geld, wenigstens für die Farben & Co.. Nun denn, ich entwickle einen Gedanken und beginne.

Fast wie vor einem Jahr entwickelt sich parallel zu den Arbeiten ein menschliches Störfeuer, was mehr und mehr Einfluss auf die Arbeit nimmt. Mehrfach ist da die Linie erreicht, an der ich mich frage, einen Schritt weiterzugehen oder jetzt aufzuhören. Hier geht es um „Kunst“, da muss ich verschwenderisch sein und auch den einen Schritt weitergehen. Hier kann und muss ich überschwänglich und über die Maßen euphorisch sein. Geht es schief, beginne ich wieder von vorn. Ganz einfach und ohne irgendeinen inneren Schmerz. Der menschliche Aspekt, er ist nicht so einfach zu handhaben. Irgendwie ist das mühsame Zusammenfügen der bereits zerlegten Puzzleteile mit ein paar dämlichen Worten in noch mehr Einzelteile zerstört. So, als soll es wirklich nicht mehr darum gehen irgendetwas zu retten, weil die Bankrotterklärung bereits unterschrieben im Schubfach liegt. Es wäre ein Plan und Pläne waren bisher immer wichtig. Ohne Plan kein Fortkommen. Nur diesmal bin ich mir wieder meiner Blase bewusst und sie leistet gute Arbeit, ganze Arbeit. Die Blase, sie lässt mich emotional leerlaufen und mich spüren, dass sie noch immer ist.

Es geht soweit, dass ich alleinsein möchte und währenddessen kein Schmerz aufkommt, dass ich in der Hobbithöhle allein bin. Das Indiz, das Signal innerer Aufruhr, es ist weg. Worte haben ihre Bedeutung verloren, erregen noch nicht einmal Zorn anstelle des Gefühls einer Verbundenheit. Lese ich im Schlusskapitel eines Liebesromans, in dem es nur noch um den Abschied geht? Wo jede Spannung und jedes Knistern auf Masse liegt? Wo sich der emphatische Leser fragt, wann das Trauerspiel endlich vorbei ist? Ungeduldig überblättert er die nächsten Seiten und liest nur noch die drei Seiten, die das erlösende Ende beschreiben. In dieser innerlichen Verfassung entscheide ich mich die Leinwand vom Rahmen zu reissen. Ich habe mich völlig verzettelt und muss von vorn beginnen. Es treibt mich die Ungeduld. Heute muss etwas entstehen, wenigstens die Basis. Nicht zu unruhig und doch so detailiert, dass das Auge immer wieder etwas findet, was absolut neu in dem Bild hinzugekommen scheint. Die Ungeduld ergreift Besitz von mir, ich streiche und lasse fliessen, bis kein Fleck der Sperrholzplatte mehr Weiss zeigt. Noch ein wenig Effekthascherei und fertig. Für heute. Morgen ist auch ein Tag und erst an ihm sehe ich, was die Zerstörung und ein Neubeginn voller Ungeduld gebracht hat.

Zerberstung!

Je länger ich drauf blicke, umso mehr sehe ich die Zerstörung. In den Farben und Effekten beinahe ikonenhaft zelebriert, so als müsste es so sein. Hier und da ein paar kleine Ergänzungen und es kommt kein Wunsch in mir auf, daran noch etwas zu ändern. Es ist etwas unwiderruflich kaputt gegangen. Im Reden, Planen, Warten, Enttäuschung und Ungeduld. Alles liegt darin, driftet unendlich beschleunigt auseinander. Der Weltraum, die unendliche Weite. Was für einen Besen bräuchte ich, um alles zusammen auf ein Kehrblech zu fegen und dann noch einen weiteren Versuch für einen neuen kleinen Urknall zu wagen? Das Wissen von heute, es ist so trügerich. Woher nimmt das Bessermachen und die nächste Chance seine Nahrung? Luft und Liebe? Wohl deshalb ist Letztgenannte aufgebraucht. Stand dem heutigen Wissen um diese eine unerfüllte Erwartung, hätte das letzte Jahr einen anderen Verlauf nehmen müssen. Dann gäbe es wohl Zerberstung nicht oder wäre nicht so friedlich farbig. Es gäbe viele Fragen, offene vor allen Dingen, doch nicht jede Frage musste wirklich gestellt oder gar beantwortet werden. Denn von Anfang an hat die Zeit getötet, immer hiess es warten. Insbesondere allein warten. Wenn ich warte vergesse ich und was vergessen ist, kommt selten von allein zurück. Ist zu weit weg und gar verschwunden im immer grösser werdenden Kosmos einer geborstenen Welt.

Erinnerungen, wie sieht es mit Erinnerungen aus? Christiane F., ihre Geschichte kenne ich als Hörspiel. Radio und so. Radio war damals nicht so laut wie heute und ich habe die im Radio gespielte Musik auf Kassetten gezogen. Jedenfalls diese „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ habe ich als Hörspiel verschlungen. Hörpspiel? Heute sagt man vielleicht Podcast oder so? Also nicht selber lesen sondern vorlesen lassen, weil nicht so anstrengend. Ich hätte gerne das Buch gelesen, doch ich habe auf der falschen Seite der Mauer gelebt. Deshalb ging es nicht anders. Und heute? Ich streame die „Neu-Verfilmung“ als Serie auf Amazon Prime. Heute wird aus allem eine Serie gemacht. Irgendwie toll und zugleich auch nervig. Ich habe keine Gedanken mehr an früher, an dieses Hörspiel, obwohl ich ziemlich ergriffen war. Alles weggefiltert. In einer unendlichen Weite des Universum verschwunden. Wenn ich diese Serie heute sehe, dann kommen ein paar Fetzen wieder hoch. Doch es ist nicht viel. Christiane F. etwas modern aufgebürstet im alten Look. Wer kam auf die Idee?

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.

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