Zwei mal drei Traktat – Bildgestaltung (III)

Jeder nimmt für sich in Anspruch, die Realität zu kennen und absolut unreflektiert – somit ganz objektiv – darzustellen. Jedenfalls behaupten das die Analog- und Digitalfotografen jeweils von sich. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Es gibt also so etwas wie den neutral-objektiven Lichtpinsel, der hyperrealistische Bilder zeichnen kann. Und über diese Fähigkeit verfügt nur der, der die objektivste Technik und das größte fotografische Wissen sein Eigen nennt! Flieht ihr Narren …

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Sind sie nicht der Versuch die sogenannte Realität einzufangen, sollen Fotografien gar mehr als tausend Worte sagen. Glücklicherweise werden nur wenige Fotografen und Lichtbildkünstler diesem Anspruch gerecht. So sind die wenigen Bilder der wahren tausend Worte in unserer lauten Welt gut zu ertragen. Alles andere ist bedeutungsloser Massenmurks oder der gewalttätige Versuch, sich als Eyecatcher ins Auge zu brennen. Anders formuliert: Wenn die Mehrzahl der Fotografen in derselben Form Liebhaber sind wie sie fotografieren, dann tun mir ihre Liebespartner wirklich Leid.

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Der Realitätswahn in der Fotografie ist ein Überbleibsel des Richtungsstreits zwischen der Malerei und Fotografie zu Zeiten der Gangbarmachung der Fotografie. Damals war die Lochblende und einfache optische Systeme der technische Stand der Dinge. Und genau jene Lochblende wurde in Teilen der Malerei benutzt, um möglichst realistische Abbilder zu schaffen. Jene – modernen – Teile wurden eben wegen der Zuhilfenahme eines technischen Hilfsmittels abgelehnt. Just in diesem Moment wird ein fotochemisches Verfahren entwickelt, welches sich derselben technischen Hilfsmittel bedient und der malenden Hand des Künstlers nicht mehr benötigt. Die Katastrophe für Jahrzehnte ist vorprogrammiert!

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Aus den Dilettanten und Autodidakten der Anfangstage unserer Fotografie wurden große Meister einer Epoche, die zum Teil stil- und regelprägend bis in die heutige Zeit sind. Dazu gehören so banale Regeln wie das scharfe beziehungsweise unscharfe Freistellen des Motivs. Erst mit dem Kombinieren der Lochblende mit der Linse beziehungsweise Linsensysteme sind solch richtungsweisende Epochen möglich. Man muss bedenken, dass die ideale Lochblende keinen Unschärfebereich kennt. Auf der anderen Seite gab es, der Malerei sei Dank, hinreichend genug Regeln, die man ohne Uminterpretation auf die Fotografie übertragen durfte.

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Wer meint, die Fotografie bilde die Realität ab, der irrt. Es ist hinreichend bekannt, dass optische Systeme über Abbildungsfehler verfügen. Zwar werden diese weitestgehend eliminiert, doch liegt gerade in dieser Fehlerverrechnung eine Form der Interpretation. Des Weiteren darf nicht vergessen werden, dass das dreidimensionale Gebilde Sujet durch den fotografischen Prozess in ein zweidimensionales Abbild heruntergerechnet wird. Dazu gesellen sich Interpretationen der Dynamik sowie des Legens der Belichtung. In der Regel bestimmt der Fotograf, wie diese Umrechnung zu erfolgen hat. Im einfachen und bequemen Fall übernimmt eine Belichtungsautomatik sowie der Autofokus die Aufgabe. Es ist unerheblich wie das Bild entsteht: Von einer Realität zu reden ist törricht und dumm.

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Wird in einer Fotografie nicht die Realität abgebildet, so könnte es sich doch um die Wirklichkeit handeln. Immerhin ist es mit ihr möglich, dass ein Teil dem subjektiven Einfluss unterliegt. Wäre der Mensch ein Vernunftswesen und nicht allein auf sein eigenes Wohl bedacht, könnte ich von einer gewissen Objektivität in seiner Beurteilung ausgehen. Stattdessen wird die Wirklichkeit derart zwischen Realität und Wahrheit positioniert, dass eine klare Linie zwischen der eigenen Subjektivität und dem Maximum der Objektivität zu ziehen ist. Doch selbst diese Gerade widerfährt einer Krümmung, entspricht die Objektivität nicht dem subjektiv geprägtem Willen des Fotografen.

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Es bleibt also festzuhalten, dass jede Fotografie nur eine Wahrheit abbildet, die innerhalb der Grenzen des Fotografen als Künstler oder einer Belichtungsautomatik in der Kamera liegt. Alles unterliegt einem Interpretationsspielraum, der durch die Weitsicht und Variantenvielfalt der beteiligten Protagonisten bestimmt wird. Ein Beispiel: Solange der Belichtungsmesser auf Mittleres Grau ausgelegt ist, wird die automatische Belichtung eine vage Annahme der realen Lichtsverhältnisse sein, selbst wenn zusätzliche Algorithmen in der Kamera den Fehler minimieren sollen. Jeder Schritt von der Idee zum Bild unterliegt der Interpretation des Auszugs einer zeitlich fortschreitenden Realität und ist schon vor dem Betätigen des Auslösers überlebt.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.