‚Ich wünsche dir einen schönen Urlaub. Und wo geht’s hin? Fährst du weg?‘
Warum muss man im Urlaub immer wegfahren? Also ich habe das Gefühl, dass es gar nicht anders geht als Urlaub und wegfahren. Warum? Ist der Deutsche so reisegeil? Muss er, nach den gescheiterten Großmachtfantasien, unbedingt die Welt für sich erobern? Wie ein räudiger Rüde Stamm für Stamm das Bein heben? Natürlich würde ich auch gern auf Tour gehen. Erst Neuseeland, dann Japan. Doch das ganze Programm in nicht einmal drei Wochen? Ich möchte keine Entdeckungsreise im Schnelldurchlauf. Es soll Zeit sein, Land und Leute zu entdecken. Mit der Kamera versteht sich.
Nein, ich fahre nicht weg. Die Herren Doktoren haben geladen, meine Rentner wollen bespaßt werden und, das ist am Wichtigsten, ich möchte meiner Fatigue nach Herzenslust frönen. Zugegeben, es wird wohl mindestens eine Woche dauern bis ich so runtergefahren bin, dass das Ermüdungssyndrom als Folge der Chemo-Therapie vollends zuschlagen kann. Ich möchte mich die nächsten Tage nicht jeden Morgen kräftigst in den Hintern treten, an die leidige Pflichterfüllung und Erwartungshaltung meiner Mitmenschen denken müssen.
Die nächsten drei Wochen möchte ich einfach mein Leben vor mich her plätschern lassen. Nicht weil ich muss, sondern weil ich es kann. Ein paar Dinge möchte ich schon tun, weil ich sie gerne mal in der Woche unternehmen möchte. Und dann gibt es eben diese Pflichttermine, nur diesmal nicht nach Feierabend hetzend absolviert. Das muss sein, gehört für mich zum Urlaub und zu einer aktiven Erholung dazu. Wenn in mir der Künstler den inneren Schweinehund besiegt, dann trabe ich in zehn Minuten ins Atelier. Meldet sich sogar eine zeigefreudige schöne Frau zur Barfuß-Fotografie, ich lobpreiste den Herren. Aber da wird wohl nichts draus: Mein aktueller fotografischer Stil ist nicht so massentauglich. Das verschreckt die holde Weiblichkeit und ihre Problemzonen. OK, es gab eine Anfrage, doch ich habe keinen Bock auf ein Spontan-Shooting in Paris, wo mir die Umstände doch etwas merkwürdig daherkommen.
Ich möchte mich nicht mit Zugverspätungen herumärgern, über ausgefallene Flüge noch mehr graue Haare bekommen oder irgendwo im Ausland deutsches Essen essen müssen. Eimer saufen – Nein Danke! Party machen ohne Ende? Im Job habe ich jeden Arbeitstag Party genug und werde dafür semi-fürstlich bezahlt. Und wenn mir das zu wenig ist, dann soll mein kleiner lauter Nachbar die Nacht durchzocken und mit seiner tiefen Stimme animalisch rumbrüllen. Ich werfe dann Konfetti dazu. Der tollen Stimmung wegen. Sorry, solch Lebenszeitverschwendung als auch das Tolerieren anderer Bequemlichkeit und Ego-Trips kann ich nicht.
So blöd es auch klingt: Ich sehne mich nach dem Gefühl während der Krebstherapie zurück. Jeder Tag war ein kleiner Kampf, dass es mir in den nächsten Stunden gut geht. Mit viel innerer Ruhe und Gelassenheit streife ich das von mir ab, was mir nicht gut tut. Jeden Morgen bin ich dankbar, dass ich schlafen und wieder aufwachen konnte. Ich lasse mich treiben und habe doch irgendwo einen Rhythmus. Ich ignoriere das Laute. Ich ignoriere die, die keine Zeit haben und an mir vorbeirennen. Ich lasse die ziehen die meinen, morgen sei auch noch ein Tag, obwohl sie in Wochen, Monaten oder Jahren denken. Was ich heute kann ‚erledigen möchte‘, dass tue ich. Für mich und die, die daran Interesse haben. Ich möchte diese drei Wochen für mich einfach nur zufrieden sein.
Ich bin dann mal (im) Urlaub! Und als Beweis, dass ich anders kann, wenn ich denn wollte und sogar digital muss, bespaße ich den Besucher die nächsten drei Wochen mit digitalen Shooting-Classics. Nicht weil ich muss, weil ich es eben kann.