Auf ein Guss

Ich habe nachgeschaut: Es sind mittlerweile fünf Jahre vergangen, dass ich mich mit ‚flüssiger Fotoemulsion‘ auseinandersetzen durfte. Die Fotoemulsion Rollei RBM 3 sollte auf Glas gebracht werden, um anschließend selbstgemachte Glasnegativ als Zwischenmaske zu verwenden. Und so fing ich für mich an viele alte Bücher aus den Anfängen der Fotografie zu lesen. Glas war für Jahrzehnte das Trägermaterial und die damals üblichen Jahrbücher (diese Art der Wissensanhäufung fehlt der gebildeten ‚maker-Szene‘ absolut) sind voll von Handlungsbeschreibungen. Doch der moderne Mikrotechnologe schleudert lieber, statt auf einen rückwärts gewandten Lichtbild-Dilettanten zu hören. Da man heute nicht schreien und brüllen, die Leute nicht lautstark beleidigen oder gar zur Gewalt neigen darf, wurde wegen chronischer Schleuderitis und den damit ausbleibenden Erfolg das Projekt ergebnislos eingestellt. Doch bevor das wertvolle Gut etc. vernichtet wird, lagere ich die Zutaten in meinem Kühlschrank ein. Ein kleiner Dornröschenschlaf setzt ein.

Nicht ganz! Immer wieder erinnere ich mich an die ‚flüssige Fotoemulsion‘ und denke über den Ablauf in der Dunkelkammer nach. Rollei (macodirekt) gibt mit einem PDF zu seinem ‚Black Magic-Baukasten‘ einen guten Handlungsstrang, der sich aber teilweise mit den alten Literaturquellen beißt. Und: Alles ist darauf ausgerichtet, dass kommerziell käufliche Fotopapier auf anderen Trägern nachzuäffen. Ich verspreche mir von der ‚flüssigen Fotoemulsion‘ ein Gestaltungsmittel abseits der typischen Bildwiedergabe. Der surreale Aspekt, die Perfektion der Unbeständigkeit ist doch mein Ziel. Ginge es mir um Struktur, Streifen oder Wischeffekte, ich griff auf normales Fotopapier zurück und entwickle mit Pinsel, Bürste oder Rolle. Der Mainstream liefert online größtenteils das ‚Normal‘ ab, was mich wiederum von der Umsetzung abschreckt. Ich möchte über das Hantieren und Gießen der ‚Flüssigen Fotoemulsion‘ surreale Gedankenbilder mit einem visuellen Freiraum ohne das ‚fotorealistische‘ Vorsagen (m)einer Absicht schaffen. Keine Einheitssoße und Darstellungen, die auf anderem Weg bequem realisierbar sind. Das ist eine Ode an die Technologie des Gießens einer ‚Flüssigen Fotoemulsion‘, die ich nicht anstimmen möchte.

Ich schreibe ‚Flüssige Fotoemulsion‘.

Der wahre Könner spricht hier von der Suspension. Suspension heißt Festkörper – Flüssigkeitsgemisch. Selbst die Emulsion auf dem Träger tituliert als Suspension und tut dies in Foren gern und lautstark kund. Die Emulsion ist ja nun mal ein Flüssigkeit – Flüssigkeitsgemisch. Vielleicht ist Emulsion einfach dem Umstand zu verdanken, dass die drei tragenden Substanzen flüssig miteinander vermengt werden. Dabei kommt es zwar zur Fällung der lichtempfindlichen Silberverbindung, doch es handelt sich erst einmal nur um ‚Nanokristalle‘. Um auf die gewünschte Empfindlichkeit zu kommen, müssen die Kleinen brav in den Kindergarten gehen und wachsen. Erst dann werden sie auf einen Träger gegossen. Deswegen die Emulsion zur Suspension zu machen ist was für die Ganzganzschlauen unter den Halbwissenden. Ich rede von der Fotoemulsion, kurz Emulsion und streiche das Flüssige. Die Suspension überlasse ich denen, die zum Lachen in den Keller gehen.

Weiter im Text: Abgesehen von der häufig anzutreffenden Realität in den wenigen Bildbeispielen des Internets, möchte ich mich zunächst nicht mit der Haftung der Fotoemulsion auf einem Bildträger auseinandersetzen: Soll es eine Vorbehandlung mit spezieller Fotogelatine sein, genügt nicht einfache Gelatine, da nur ein feinster Film benötigt und sie auf Glas ohnehin fast wieder abgetragen werden kann oder muss es Acryllack sein, wie hier und da beschrieben. Der Emulsionslift auf transparente Medien legt im Kopf den Schalter um: Meine ‚Rentner‚ haben mir viele verschiedene Sorten Inkjet-Druckpapier mitgebracht. Schon lange nutze ich keine Tintenausdrucke mehr und so liegt das Papier unnütz im Atelier herum. Doch als Träger für Beschichtungen mit einer Fotoemulsion sollte das Papier geeignet sein. Immerhin muss die ‚beschichtete‘ Seite des Druckerpapiers die feinen Tintentröpfchen auffangen und sollte das Zerfließen derselben verhindern. Unter den Voraussetzungen ist es dann eigentlich nur noch eine Frage des Willens, die Dose RBM 3 aus dem Kühlschrank zu holen, das Tintenstrahl-Druckpapier rauszukramen und den Spiritus vom Schrank zu holen.

Das Beschichten des Trägers bereitet mir Kopfzerbrechen. Ich sehe Könner, die die Fotoemulsion kämmen, lese vom Gießen und Hantieren mit Pinsel, alles metallfrei versteht sich. Gesetzt ist der Kunststoff-Spatel zum Portionieren der Fotoemulsion. Sie ist mittlerweile ein weißer Wackelpudding in einer schwarzen Kunststoffdose. Mit dem Plastikspachtel möchte ich die Fotoemulsion stark strukturiert verstreichen. Ein flacher Schaumpinsel ist für die sanfte Gangart zuständig. Alles Hantieren erfolgt unter Rotlicht, wobei ich schon versuche, diese Arbeiten so kurz wie möglich zu halten. Ich darf das farbige ‚Sicherheitslicht‘ nicht so ernst nehmen. Die Dauer der Belichtung macht es auch im Rot.

Die Brösel der Fotoemulsion kommen in ein braunes Schraubglas (100 ml), der Inhalt wird mit Spiritus (vergällter Alkohol) aufgegossen und das Glas dann wieder zugeschraubt. Im Becken lasse ich ein paar Zentimeter warmes Leitungswasser ein. In einer Keramiktasse kommt ebenfalls warmes Leitungswasser, etwa ein Drittel der möglichen Füllhöhe. Darin stelle ich das verschraubte Glas mit Emulsionsbrösel und Spiritus. Tasse und Inhalt kommt wiederum ins Waschbecken. Ich arbeite nicht mit dem Thermometer und starre ständig darauf, irgendwie zwischen 40 und 45°C zu liegen. Reine Gelatine verflüssigt sich ab 50°C, so die Theorie und in alten Kochbüchern wird mit 55°C interagiert. Und ich weiss, dass die Silberhalogenide die thermischen Weicheier der Fotoemulsion sind. Warmwasser aus der Fernwärme wird mit 60°C als optimal angesehen. Ich gehe davon aus, dass das Warmwasser real darunterliegt. Des Weiteren kühlt die noch kalte Fotoemulsion (ca. 10°C Kühlschranktemperatur) und der Spiritus (ca. 20°C Raumtemperatur) die Wassertemperatur in der Tasse runter.

Etwa alle dreißig Sekunden hole das braune Glas aus der Tasse und schüttle es kurz durch. Hier ist der ‚viele‘ Spiritus vom Vorteil: Es bilden sich kaum Blasen in der Fotoemulsion. Das gilt nachher auch für das Gießen: Mit Blasen wie in den Influencer-Videos kann ich wahrlich nicht dienen. Die Zugabe des Spiritus soll noch weitere Aufgaben erfüllen. Ich möchte die Fotoemulsion dünnflüssig halten, was eine ‚dickere‘ Schicht beim Gießen zulässt. Verdampft der hohe Anteil Alkohol und entweicht mit der Zeit auch das Wasser, ergibt sich eine dünne Emulsionsschicht. Der Spiritus soll Oberflächenspannungen nehmen und durch das Verdunsten der Fotoemulsion Energie entziehen, was zum Absenken der Temperatur führt. Der Nachteil: Das Atelier müffelt wie eine Eckkneipe und während einer Beschichtungssession (ca. 30 bis 40 Minuten) ändert die flüssige Emulsion durch den leicht flüchtigen Alkohol ihre Fließeigenschaft. Doch als kampferprobter Lith-Entwickler findet sich eine persönliche Guss-Strategie.

Um ein Gefühl für die Beschichtung zu bekommen, tausche ich vor dem ersten Versuch kurzfristig das Inkjet-Druckpapier gegen braunes (unbeschichtetes) Kraftpapier (ca. 170 Gramm pro Quadratmeter). Kraftpapier hat eine hohe Festigkeit, sollte folglich den chemischen Prozess ohne Zerfallserscheinungen überstehen können. Warum der Wechsel? Ich sage nur weiße flüssige Emulsion auf weißem Papier! Auf braunem Papier kann ich beim ersten Guss nachvollziehen, wie sich die Schichtdicke der Fotoemulsion später auf die Belichtung, Entwicklung und Fixierung auswirkt. Ich finde es an der Stelle noch einmal wichtig zu erwähnen, sich stets die Phasenzustände der Gelatine vor Augen zu führen: Wärme (ab 35°C und mehr) macht sie flüssig, Kälte lässt sie wieder fest werden (erstarren). Das bedeutet: Beim Gießen und verteilen der Emulsion hilft ‚Wärme‘, zum Erstarren geht man auf 20°C oder weiter zurück. Ist das Bildmedium saugfähig, porös und stumpf, dann nutzt diese Regel wenig. Hier wird normalerweise eine Vermittlerschicht, neudeutsch Primer, benötigt.

Mein Kraftpapier-Bogen (18 x 24 cm), er erweist sich als mäßig saugfähig, lege ich auf eine ein Millimeter dicke Kunststoffplatte. Ich gieße mittig die flüssige Emulsion aufs Papier, bis etwa 5 cm im Durchmesser erreicht sind. Nun nehme ich ein Kunststoffspachtel und probiere mich im Verteilen. Dank des braunen Untergrunds sehe ich, wie dick die Emulsion aufgetragen ist. Leider wellt sich das Kraftpapier etwas, was zu kleinen Nestern führt. Der Arbeitstisch muss nicht gerade ausgerichtet sein. Die Kunststoffplatte ist dünn genug, dass ich sie wellen und verformen kann, um ein unkontrolliertes Abfließen der Fotoemulsion zu verhindern. Das spart teures Grundmaterial!

Ich hatte überlegt, den ‚Guß-Arbeitsplatz‘ zu heizen. Immerhin föhnen einige Video-Vorturner ihren Aufbau, bevor sie ans heilige Werk gehen. Wenn man zügig arbeitet und nicht in Grabenkämpfe mit Blasen verfallen muss, bleibt genug Zeit zum ordentlichen Verteilen der Fotoemulsion. Egal wie man es anstellt. Die Zufuhr von Wärme hat den Vorteil, dass man die Fotoemulsion wieder verflüssigt bekommt. Besagten Föhn halte ich für kritisch, strahlt der Heizwendel doch im satten Rot auf die Emulsion. Es bedarf der Eier, den Guss und das Verteilen zügig hinzubekommen, ein Vorheizen und Warmhalten verschlimmbessert nur die Situation.

Ist die Emulsion verteilt, lege ich das Blatt auf meine Steinplatte. Diese Steinplatte nutze ich als Unterlage zum Ausquetschen, zum Beispiel der Barytabzüge. Die Platte ist kühl (Zimmertemperatur) und entzieht zusätzlich zum verdampfenden Alkohol Wärme. Und so stockt nach etwa 30 bis 60 Sekunden die Fließfähigkeit der Emulsion. Ist der Spiritusanteil in der flüssigen Emulsion noch hoch, entsteht eine glatte Oberfläche. Je niedriger der Spiritusanteil, umso welliger wird die Oberfläche und können Oberflächenspannungen zu ‚Löchern‘ führen. Die im schrägen Rotlicht sichtbaren Wellen sind nicht tragisch. Durch das Trocknen und entweichen des Wassers schrumpft die Schichtdicke der Emulsion. Gelegentliche Löcher sind ärgerlich, passen aber gut zu meiner kreativen Intention.

Zum Trocknen unter Lichtausschluß verwende ich alte Fotokartons, die ich vorher mit Pauspapier auslege. Bleibt es an der Rückseite des beschichteten Bogens kleben, löst sich das Transparentpapier beim fotochemischen Prozess wieder ab. Beim Inkjet-Druckpapier habe ich es mir angewöhnt, vor dem Gießen die Papierbögen mit warmen Wasser abzuspülen. Gut ist Tintenstrahl-Druckerpapier, welches sich bei Nässe leicht klebrig anfühlt. Hier sollte (Betonung liegt auf sollte) es keine Haftungsprobleme geben. Zudem mindert das kurze Wässern mögliche Oberflächenspannung.

Apropos Fotochemie: Für mich kam zu keinem Zeitpunkt in Frage, die selbst beschichteten Bildträger mit einem ’normalen‘ Papierentwickler zu entwickeln. Putzig finde ich gut(schlecht) gemeinte Ratschläge, die restliche Emulsion auf Papier zu gießen und damit eine Belichtungsreihe aufzunehmen. Ich bewundere das Genie, das seinen Bildträger Steinplatte genauso wie den Papierstreifen beschichten kann. Nur unter denselben technologischen Bedingungen macht die Belichtungsreihe Sinn. Alles andere ist Kaffeesatz lesen. Dann lieber gleich mit Mut an das Belichten und einem Lithentwickler in die Entwicklung gegangen.

Meine Erfahrung: Brauche ich bei meinem alten ORWO-Fotopapier ca. 20 Sekunden Belichtungszeit, benötige ich mit dem gleichen Negativ und dieselben Belichter-Einstellungen etwa dieselbe Zeit, +/- 1 Lichtwert in Abhängigkeit des Trägers und der Dicke der Fotoemulsion. ‚Schnell‘ und ‚empfindlich‘ in der Produktbeschreibung sind eben auch nur relative Beschreibungen. Ansonsten erinnert mich der Umgang mit dem selbst beschichteten Papier an die fotografischen Dickschichtmaterialien a la uralte Glasnegative etc.. Selbst beim Durchtrocknen bedarf es mehr Geduld als mit ‚modernen‘ Materialien. Ich gebe einem Guss eine Woche Zeit durchzutrocknen.

Eigentlich müsste das Bild abschließend noch versiegelt werden, liegt doch die silberhaltige Schicht frei. Möchte ich diese speziellen Handarbeiten nicht zu schnell dem Zerfall preisgeben, muss ich mir etwas einfallen lassen. Zum Beispiel eine quick & dirty-Variante: Für mein Skizzenbuch habe ich es mit einer heiß laminierten Version probiert. Es funktioniert, kommt mir aber zu synthetisch und sehr glänzend herüber. Flüssiglaminat? Ich weiss es nicht, weil mir die Erfahrungen fehlen. Zudem weigere ich mich, jetzt noch mit einem Pinsel oder einer Rolle auf der sensationell dilettantisch anmutenden Oberfläche des selbstgemachten Handabzuges zu arbeiten.

Gedanklich favorisiere ich eine letzte klare Gelatineschicht. Allein der Machbarkeit wegen mit Speisegelatine. Es gibt so viele Ausgangsstoffe für den Oberbegriff Gelatine. Das Durchwälzen der Literatur ist ein Mix aus Spaß und purer Verzweiflung. Müsste ich ‚essbare‘ Gelatine nicht ‚härten‘, auch ‚gerben‘ genannt? Mir fällt mein Pyrogallol-Experiment ein und ich stoße auch während der Recherche auf Hinweise zu Pyrogallol und seiner härtenden Wirkung auf die Fotoemulsion. Gedanken an Formaldehyd zur Härtung verwerfe ich aus dem Stand. Eine andere Quelle nennt Aceton. Das habe ich noch vom Bildtransfer-Versuch im Atelier. Bis auf den Spritzer RBM 5 habe ich nichts zum Härten der Emulsion unternommen. Warum auch? Ich liebe diese Risse, sie machen den Abzug lebendig.

Möchte ich also wirklich härten? Müsste es nicht ein Flexibilisieren des spröden Schichtaufbau sein? Ein für mich schnell greifbares Mittel wäre Glycerol. In Abhängigkeit des Wassergehalts in der Gelatine und der Umgebungstemperatur ändern sich damit aber die Eigenschaften und damit auch die Haltbarkeit der Unikate. Am Ende müsste doch noch gewachst werden? Egal wie es weitergeht, je individueller und einzigartiger die Abzüge werden, umso aufwändiger ist es für mich sie herzustellen. In meinen nunmehr zwanzig Jahren Fotografie leben habe ich lernen dürfen: Ich kann viel Zeit und Aufwand in die Aufnahme stecken, doch die meiste Zeit geht immer für die Ausarbeitung des Lichtbildes drauf.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.