Bleib aufmerksam

Ein Geburtstagständchen in zwei Akten

Erster Akt
Der Luftschloss-Architekt verrenoviert die Schleifspur einer nackten Schnecke.
Das Edelweiß ist ohne einen einzigen Schritt dem Dunkelkammer-Bewohner zugewandert.
Zähneknirschend bietet eine Beißschiene mit Haftcreme den perfekten Halt der Zahnradbahn am Berg.
Intim im Team. Ist der Orgasmus einer Hure in Ausübung ihrer Tätigkeit ein Arbeitsunfall?
Die Schmuddelwetter-Regenjacke schützt nicht vor schlüpfrigen Witzen reifer Herren in Abendgarderobe.
Wenn die Zeit wirklich stehen bliebe, halten dann aus Solidarität alle Uhren das Fortkommen der Zeiger an?
Ein Uhrzeiger macht noch keine Zeit.
Ich ziehe die Spur im weichen Sand dem harten Stein in meinem Schuh vor.
Eine Spur, die aus der Zukunft in die Vergangenheit führt, ohne das Heute gesehen zu haben.
Ersetzt die Leiche im Keller die Taube mit der Axt oder den Zimmermann auf dem Dach?
„Wie bin ich da nur hereingeraten?“ fragte ich mich beim Malen eines endlosen Labyrinths in Lebensgröße.
Was geschieht mit Antworten, die unaufgefordert Fragen stellen?
Der Leerlauf kann nicht laufen.

Im nächsten Jahr, dem Jahr der Mimose, nehme ich nur noch Rücksicht auf euch alle, ohne dass ihr Rücksicht auf mich nehmen müsst.
Phasenweise dachte ich, nicht meinem Alter gerecht zu handeln. Doch es geht noch besser. Also schlimmer besser meine ich.
Wer hat in der Nacht Moral und Wertevorstellung um ein paar Jahrhunderte zurückgespult?
Einmal Klischeedenken ordentlich verschlagwortet und in beschriftete Kisten sortiert. Bitte.
Wir haben gemeinsam gesucht und jeder hat etwas anderes gefunden.
Der Gutmensch straft, weil klüger, als Präventation und nicht aus Rache oder Vergeltung.

Zweiter Akt
Der selbsternannte Klügere übt Rache und Vergeltung.

Ich komme gerade vom Kostümverleih. Der Weg war umsonst, denn grad sind alle Sünderleibchen aus. Die werden wohl immer gebraucht, selbst wenn nicht Fasching ist. Schade. Das Gewand hätte mir aktuell so gut gestanden. Irgendwie erheitert es mich, rein aus Gründen des Sarkasmus versteht sich, in meinem Leben noch einmal derart viele Klischees bedienen zu dürfen. Und: Das Umfeld steigt gekonnt darauf ein und zerfetzt sich das Schandmaul. Herrlich! Wenn ich Hautbräunungscreme benutze und mir einen Regenbogen auf meinen Arsch hab tätowieren lassen, dann bin ich ein guter, vielseitiger und weltoffener Mensch! Jetzt stört nur noch, dass ich in Deutschland geboren bin, was mich irgendwie von Hause aus zum Permanent-Nazi macht.

Ich bin ein Verräter und das ist gut so.

Ich sollte immer die Wahrheit sagen. Im Alter kam die Erkenntnis, dass es viele Wahrheiten gibt. Der Sozialismus siegt. Eine alternative Wahrheit, die sich so nicht bewiesen hat. Die eine große wahre Liebe. Was für ein Blödsinn der Seelen-Pyromantiker. Lieben und ehren. Nee, nee. Man muss sich vom ersten Tag richtig zoffen. Denn erst im Streit lernst du das Wesen, was du glaubst zu lieben, richtig kennen. So ein Streit bis zur Selbstzerfleischung fördert verborgene Talente und offenbart die ganze Schlechtigkeit des ach so geliebten Wesen zutage. Und glaube bitte nicht, dass der Mensch sich freiwillig ändert. Ohne einen äußeren Tritt in den Arsch bewegt sich nichts. Jetzt muss man abwägen: Locker in der Hüfte bleiben und hoffen, dass die Talente ohne weitere Übung einfach vergessen werden oder lieber doch das Weite suchen und nach einem neuen Weibchen/Männchen/Diverschen Ausschau halten.

Wurde das Jahr der mediumreifen Hohlbirne oder so ausgerufen?

Im ersten Moment ärgere ich mich über die mir entgegengebrachte Dummheit. Sie ist zwar irgendwie logisch und eine Reaktion auf mein Tun, auf der anderen Seite ist die Argumentation wider besseren Wissen und völlig neben der Spur. So bin ich zum Beispiel frei und kein Besitz des Lebenspartners, soll aber Bericht über mein Tun ablegen. Im Voraus und im Nachhinein. Wenn ich die halbe Wahrheit in sozialen Medien teile, ist das Geteilte dann nur noch ein Viertel wahr? Mich erinnerte alles an ein Domina-Studio. Strafe als Belohnung und irgendwie ist jeder, ja selbst die Domse, damit zufrieden. Ich kann über die letzten anderhalb Jahre nur staunen. Was zwischendurch nicht möglich war, fast zum Bruch geführt hat, ist heute zum Greifen nah. Mit diesem Ausblick bin ich sogar geduldig und lasse Provokationen über mich ergehen, weil ich über deren Endlichkeit weiß. Der Druck ist nicht im Kessel, er kommt von außen und hat eher dazu geführt, das wir dichter zusammengerückt wurden. Das Phänomen habe ich einfach unterschätzt und darüber bin ich wiederum sehr froh.

Ich bin gespannt und schau mal, was das nächste Jahr bringt.

Bonus Akt
Absolut gratis und völlig umsonst!

Ihr denkt, wir feiern hier wilde Sexorgien? Wir liegen vollgefressen auf dem Boden und lieben uns nur mit den Augen.
Mein Gekleckse und meine Texte reifen mehr und mehr zum Chaos heran. Scheinbar zusammenhangslos und doch irgendwie vereint. Ich würde gern auch so fotografieren wie ich kleckse und texte.
Nicht jedes Opfer ist ein Opfer.
Ich zeige rein prophylaktisch Reue.
Tag für Tag erlebe ich die Grenzen der Freiheit.
Mimose, dein Reich komme, dein Wille geschehe.
Uns bleiben noch tausende Strassen durch die wir gemeinsam gehen können.
Lade ich meine Daten in die Cloud, sind sie dann im Himmel?
Wo es auch hingeht, frag dich nicht was bleibt.
Ich bin noch weit davon entfernt meinen Weg gefunden zu haben.
Dann warst du da! Für immer da.
Ich schäme mich, aber nicht für das was ihr denkt.
Wenn ich das Immergrün-Angebot von 123tv sehe frage ich mich, was häßlich-bunten Kunststoff so wertvoll und damit teuer macht?
In jedem Mann schlummert ein Sensibelchen. Modell Extra Large.
Der Zufall hat ein Recht auf Diversität.
Dein Chaos ist nicht mein Chaos.
Gibt es den guten demokratischen Führer? Wenn ja, könnte ich ihn mit „Heil mein Führer“ grüßen oder wäre das zu übertrieben?
Zumindest die Werbung kann es: Eine Ladegerät, das mit Lichtgeschwindigkeit Akkus lädt.
In jedem Gedanken lauert für den Gedankenlosen die Gefahr.
Ich bin es gewohnt, meine Geburtstage auch mal allein zu verbringen: Zeugnisausgabe, Fussballmeisterschaften, Urlaubsreisen, in Ungnade gefallen … es gibt so viele wahrlich wichtige Gründe.
Anatomisch betrachtet scheint der Mensch völlig ungeeignet, sich an seine eigene Nase fassen zu können.
Lässt sich die Feigheit des Einen glaubhaft in eine angeblich durch mich ausgeübte seelische Grausamkeit umwidmen?
Der Gutmensch ist eine Mischung aus Friede, Freude, Eierkuchen, blond, blauäugig und kleiner Diktator.
Das böse Rotkäppchen und der liebe Wolf.
Wer Liebe sät wird Harmonie ernten.
Von mir aus können wir eine Probephase getrost überspringen.
Kann ich mir zur Sicherheit ein Stück Weg einstecken?
Lass uns schmutzig Liebe machen und dabei jeden Verstand vermissen.
Mit viel Donner in den Augen dämmert es mir in den Ohren.
Was geschieht mit Frühblühern die den Lenz verschlafen?
Widerspenstige Pferde im gesäumten Zaumzeug, gebunden an einem ausschlagenden Baum.
Des Löwen Zahn aus dessen Maul macht noch keine Butterblume.
Ich ummantle die Braut und unterstelle sie meiner Obhut.
Ein Mann der sagen muss, er sei das Beste was einer Frau widerfahren ist, der ist nicht der Mann für den er sich hält.
Das Zweierlei-Maß: Die weibliche Brust, unbedeckt, ist im sonst so toleranten, weltoffenen wie auch vielseitigen Berlin grob ungehörig. Grob ungehörig ist die gespielte Scheinheiligkeit einer zutiefst spießigen Stadt.

Epilog
Uns ist die Neugier abhanden gekommen. Ich meine die Neugier an dem Menschen mir gegenüber. Was denkt oder was fühlt der Andere? Wir nehmen uns kaum noch Zeit füreinander, wenn es keinen Vorteil bringt. Der Mensch gegenüber, er ist Mittel zum Zweck, er ist Besitz, er ist mein Feind statt ein Freund. Warum lernt der Mensch seine Ketten lieben?

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.

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