Die neue Unsachlichkeit

“Sie gehen mit ihren privaten Dingen ziemlich offen und öffentlich um!”

Wenn nach den üblichen Begrüßungsfloskeln ein wichtiges Gespräch genau so beginnt, dann habe ich eigentlich schon verloren. Dabei hätte ich vorgewarnt sein müssen. Schon mein niedergeschriebener Dreiteiler, in dem ich absichtlich meinen Foto-Rucksack auf einer S-Bahn-Station stehen lasse, wurde stellenweise für bare Münze genommen.

Ist heute wirklich nichts unmöglich? Was ist heute möglich? Woran kann ich zwischen gut und böse, wahr oder falsch, klug oder doof unterscheiden? Die Fragen bewegen mich seit langem und vor allem immer dann, wenn sich ein Held als graduiertes Arschloch und größter Feigling entpuppt.

Nach Bombendrohungen, missglückten wie erfolgreichen Attentaten bin ich heute mit solchen fiktiven Geschichten a la “Einsamer Rucksack” vorsichtiger geworden. Auch wenn ich meinen Wecker hasse, so habe ich keine Lust eines Morgens von aggressionsbereiten Sondereinsatz-PolizistenInnen geweckt zu werden. Ließ die wildgewordene Horde mit sich im Vorfeld reden, würden wir zuerst gemeinsam einen Kaffee nehmen, ich dürfte meine Morgentoilette erledigen und meine ärztlich angeordneten Pillen einwerfen. Danach dürfen sie mich gerne als potentiellen Übertäter mitnehmen.

HALT! STOP! Ich nehm den Mund mal wieder ganz schön voll!

Ich bin kein Ganzganzschlimmer, vor dem die Welt unbedingt geschützt werden muss. Genauso wenig raube ich vor lauter Frust jungen Frauen ihre Handtasche oder klaue alten Omas ihren Rollator. Auch fasse ich keinen Frauen mir nichts dir nicht an den Po. Ich bin so schüchtern, dass ich noch nicht einmal meinen eigenen Hintern berühre. Was soll also die ganze Aufregung?

“Es steht bei ihnen so im Blog.”

Die Tatsache kann und will ich nicht leugnen. Sehr oft sind solche Statements mit Aussagen gekoppelt, um die ich mir wirklich Sorgen mache. Im Fall des “Hintern grabschen” war es der Jugend-Medien-Staatsvertrag. Vielen Off- und Onlinern war aus meiner Sicht gar nicht bewusst, was ihnen bei einer Ratifizierung durch die einzelnen Bundesländer gedroht hätte. Nicht nur das Deutschlands Alleingang ein Schritt ins digitale Mittelalter bedeutet, wäre es gleichzeitig ein Schritt in Richtung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft gewesen. Darüber darf ich mich als halbwegs aktiver Internetnutzer nicht auf meine Weise äußern?

Willkommen in der neuen deutschen Unsachlichkeit!

Die Zeiten, dass der große Pharao zum Besten gibt: “So sei es geschrieben und als Recht verkündet” sind vorbei. Dachte ich bisher zumindest. Ich bekomme vorgesetzt, welche Meinung ich zu haben habe. “Ganz Deutschland …” und jetzt geht es los: Trauert, ist entsetzt, ist wütend, jubelt, lacht aus und so weiter. Wir leben im Superlativ: Jeder Autofahrer ist ein potentieller Mörder, jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger und jeder Ego-Shooter-Spieler ein potentieller Massenmörder! Dem suggestiven Eindruck “Masse ist alles” permanent ausgesetzt sein soll ausgerechnet ich normal sein müssen?

Irgendwo müssen die Abdämpfe des Normalseins hin. Anderenfalls droht der Kessel zu bersten. Ich schaffe mir als Ventil meine eigene kleine unsachliche Welt. Genug Material ist dafür vorhanden. Tagtäglich aufgeschnappt oder selbst erlebt. Wie ein Puzzle feinsäuberlich in abertausenden Kartons abgelegt und in einer dunklen Ecke meines Lebens übereinander gestapelt. Dann und wann greife ich mir ein paar Pappschachteln, öffne sie und entnehme ihnen jene Teile, die mir wohlfeil ins Auge springen. Daraus setze ich ein neues Puzzle zusammen, in Wort, Bild oder Wort und Bild. Und wenn ein Teil nicht in das Gesamtwerk passt, dann wird es nach meinem Willen passend gemacht. Ich habe fertig!

Ich sehe keinen Sinn darin mich dafür zu rechtfertigen, auch wenn ich es hiermit tue. Es sind die unterschiedlichen Reaktionen, die mich einmal mehr zum Nachdenken bewegen. In dem Moment, wo ich an meinem neuen Puzzle arbeite, denke ich nicht daran, wie es von Außenstehenden aufgenommen wird. Ich fühle mich nur mir selbst verpflichtet. Erst danach verschwende ich einen Gedanken daran, wie es andere auffassen könnten. Feinschliff.

Manchmal kann ich nicht so dumm denken, wie es andere für mich tun. Glücklicherweise hat bereits Albert Einstein die Universalformel zur Unendlichkeit der Dummheit erfunden. Also brauche ich es nicht mehr tun. Und so nehme ich mit einem inneren Kopfschütteln zur Kenntnis, was mir zur Last gelegt wird. Um mich zukünftig vor “Missverstandenem” zu schützen, sollte ich die einzelnen Seiten meines Blogs kennzeichnen:

Sachlich richtig: () Ja () Nein () Vielleicht

Als Krebsgeborener bevorzuge ich den Weg des geringsten Widerstands, gehe Streitigkeiten lieber aus dem Weg als sie wie ein Löwe zu verteidigen. Ich sollte mich eigenverantwortlich und öffentlich als Internet-Märchen-Onkel brandmarken. Ohne zum Erbsenzähler zu mutieren, muss der Ansatz kritisch hinterfragt werden. Angeblich sollen Märchen einen wahren Ursprung haben und künstlich aufgebauscht sein. Genauso wie die großen Helden-Epen der alten Griechen. Wurde etwa schon immer in Wort und Bild gelogen, dass sich die Balken biegen?

Wenn es an dem so ist, warum rege ich mich dann über die Anmerkung so auf? Die deutsche Volksmusik trällert über eine heile Welt, die ich so noch nicht kennengelernt habe. Und trotzdem oder genau deswegen kaufen Menschen die Tonträger der seltenen Vögel, die als einzige ihrer Art den Schwanz nicht hinten tragen. Kastelruther Spatzen, Flippers, Amigos, Silbereisen, Hinterseer … allein die Namen machen mir Angst und ich wünschte mir, dass sie wenigstens ihre Texte ins Englische übertragen und ausländisch von sich geben.

Brechreiz!

Die eben von mir gemachte Äußerung ist unsachlich und respektiert nicht den Wunsch der Freunde deutscher Volksmusik nach ihrer wundersamen Welt höchster Glückseligkeit. Meine Mausmalerei war schon immer von höchster Unsachlichkeit geprägt und wird es auch weiterhin sein. Ventil und Spielwiese, wo ich in Wort und Bild so sein kann, wie ich es gern sein möchte. In dem Sinne ist das hier Gezeigte nicht auf die berühmt-berüchtigte Goldwaage zu legen. Hier bestimme ich was 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr gesendet wird. Alle Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt. Eben wie bei “Familien im Brennpunkt”, “Verdachtsfälle” oder bei “Barbara Salesch” auf der Anklagebank. Ihr wollt Fakes, ihr bekommt sie von mir!

Ein Dreifach-Omm und einmal tief durchatmen!

Hatte ich zu Beginn unseres Gesprächs einen leisen Fünkchen Hoffnung, dass man mich und mein unsachliches Talent für sich vereinnahmen möchte, gleicht es mehr und mehr einem Strafgericht. Glücklicherweise leben wir nicht im Mittelalter und ich muss deshalb nicht befürchten, auf dem Scheiterhaufen zu landen.

“Der Ketzer Kampffussel, bekannt auch unter dem Namen Mausmaler, wurde heute wegen Unsachlichkeit gegen das deutsche Volk öffentlich verbrannt. Seine letzten Worte “Herr, lass es Hirn regnen!” zeigen uns seine verabscheuungswürdige Grundhaltung und rechtfertigen das Gottes gefällige Urteil!”

Stattdessen wird nur der mahnende und strafende Zeigerfinger erhoben, was nicht anders zu erwarten war. Mich beschleicht das Gefühl, aktuell einem Wadenbeißer ausgesetzt zu sein. Er meint, klein zu sein und alle übersehen ihn. Deshalb muss er sich in mich verbeissen.

“Wie nennen sie denn das, was sie machen. Womit kann ich es vergleichen?”

Ich denke nach!

Ernsthaft!

Harald Schmidt? Ich bin kein Hypochonder und komme an seinen Intellekt nicht heran. Kurt Krömer? Nein, so doof bin ich nun auch wieder nicht. Kurt ist nicht dumm, ist für sein Neukölln sehr sozial engagiert. Berliner Original! Aber wenn ich mir seine Show reinziehe, dann bleibt das Gehirn aus. Pure Unterhaltung, ohne einen Anspruch auf Tiefgang. Das muss auch mal sein.

Wann treten mal Cindy aus Marzahn und Kurt Krömer gemeinsam auf? So als Liebespaar. Ost-West-Romanze inklusive Patchwork-Kids? Mir hat Cindy mal zwei Pflaumen geschenkt … damit ich was Frisches in meinen Händen halte. Über die sexistische Anmache einer Wuchtbrumme gegenüber einem plüschigen Mann wie mich hat sich niemand im Publikum beschwert. Im Gegenteil, alle fanden es lustig! Ich aber auch …

Rainald Grebe! Ein Mix aus Rainald Grebe und Till Eulenspiegel. Wegen Spiegel vorhalten und so.

“Grebe, Rainald Grebe. Ich will unvernünftig sein und atme einen Lutz!”

Ich schaue in ein Etwas aus Unwissenheit und Verzweiflung. Meiner selbst Willen zitiere ich nicht: “Du hast drei wunderschöne Löcher, doch eines davon quatscht mir zuviel!”.

Die logische Konsequenz könnte so oder so lauten, dass zwei kräftige Herren das Zimmer betreten, mir eine hinten zuknöpfende Jeansjacke anlegen und beruhigend auf mich einreden. Der Übermacht hilflos ausgeliefert, lass ich es über mich ergehen. Zwei Wochen Beobachtung, hinter verschlossenen Türen und Gitter außen vor den Fenstern. Keine Möglichkeit zu lüften und einen frischen Lutz zu atmen. Nur bei guter Führung und nach Rücksprache mit dem Chefarzt vom Dienst darf ich die Station in Richtung Kantine verlassen und mir ein leckeren Malztrunk genehmigen.

Die Aussicht auf Einzelhaft in einer Psychiatrischen Klinik klingt verlockend. Endlich kann ich die Ruhe und Abgeschiedenheit genießen, für die ich sonst bei einem Klosteraufenthalt zahlen müsste. So zahlt meine Krankenkasse, die neue. Die alte Krankenkasse ist vor kurzem in die Insolvenz geschickt worden, trotz oder gerade wegen dem kräftigen Zusatzbeitrag. Kundenbindung sieht anders aus, erst Recht wenn das Geld knapp ist. Das denke ich zumindest.

Imagepflege auf unterstem Niveau. Nicht ausfallend, eher pseudo-intellektuell. Zehn Stunden am Arbeitstag bin ich nüchtern sachlich, stelle mich in den ehrenvollen Dienst, unserer Jugend etwas Ingenieurwissenschaftliches beizubringen. Das erzeugt Dampf im Schädelkasten und der muss raus. Dafür greife ich auf keine Drogen zurück, genieße lediglich qualmende Genussmittel. Mich stundenlang im Fitness-Studio abzuquälen finde ich langweilig. Die Zeit kann ich anders besser nutzen. Knipsen und schreiben wonach mir gerade ist.

“Mich stört diese Scheinheiligkeit. Die Möchtegern-Coolness am Tage. Und ist es Nacht, dann die Sau rauslassen. In den Swinger-Club rennen oder sich von ner Domse an ein Brett fesseln und dann vermöbeln lassen. Rollenspiele mit Maske vor dem Gesicht, weil es darf keiner davon wissen.”

“In welchen Kreisen verkehren sie denn?”

“Ich verkehre nicht. Ich werde damit konfrontiert, beinahe täglich. Wortstark wollen wir so tolerant und freiheitlich gesinnt sein. Wenn es dann drauf ankommt … Schwanz einklemmen und hinter vorgehaltener Hand tuscheln.”

Die US-Amerikaner sind das beste Beispiel für jene Scheinheiligkeit, die ich meine. Weltpolizist, Alkohol ab 21, ein freigelegter Bauchnabel ruft die Moral-Apostel auf den Plan, aber jeder Bürger hat das Recht auf seine eigene Schusswaffe. Ich ziehe lieber den freien Bauchnabel vor! Der ist weniger gewalttätig.

Für den Moment gibt es nichts mehr für mich zu sagen. Ich möchte mir mal völlig unvoreingenommen gegenüber sitzen und mein eigenes Gequatsche wertfrei anhören. Renne ich schreiend aus dem Zimmer oder komme ich zur Einsicht, dass ich etwas zu sagen habe?

Frustrierte und dennoch erleichterte Heimfahrt. Ein persönliches Gespräch, von Angesicht zu Angesicht, Auge um Auge sagt mehr als tausend geschriebene Worte. Was gesagt ist, ist gesagt. Daran lässt sich nichts ändern. An einem Text kann ich immer wieder feilen. Zum Glück.

Meine Tram ist gerade weg. Nun muss ich zwanzig Minuten warten. Mobile Zeitungsschau statt einen Kilometer weit laufen, um nach einer Beförderungsalternative Ausschau zu halten.

Ein CDU-ler wollte Landeschef werden, hatte eine minderjährige Geliebte und ist jetzt unter Tränen darüber gestolpert. Er soll rechtskräftig verheiratet sein. Trotz Affäre. Ich muss ehrlich gestehen, dass das was ich lese kein so großer Schock für mich ist. Menschen eben, fehlbar durch und durch. Was mich an der Sache wütend macht ist, dass der gute Mann seine Geliebte abschießt, weil er auf große Landespolitik machen möchte und sie dabei hinderlich ist. Wie können beide Seiten dann noch von der großen Liebe reden?

Falten des Zornes bedecken meine Stirn! Bestimmt gucke ich wieder “grimmig” oder so. Selbst gucken darf ich nicht mehr wie ich möchte. Strahlemann mit Douglas-Grinsen – bitte ohne mich.

Was die Welt schon immer wissen wollte!

Eine der vielen Bohlen-Ex, die Naddel mit geschützten Namen, hat jahrelang eine Perücke getragen. Jetzt, ohne selbige, fängt sie ein neues Leben an! Watt? Die beiden wandelnden Silikon-Kissen hatten immer einen Fiffi auf wo der normale Mensch einen Kopf beherbergt? Darauf wäre ich nie gekommen. Wirklich! Soll sie doch ihr Pocahonta-Imitat absetzen und fortan den Echthaar-Minipli in die Kameras der Paparazzi halten. Es ist mir so was von egal.

Meine Tram rollt ein. Ich erspähe einen Sitzplatz und spurte zielstrebig auf ihn zu. Wenn ich müsste, würde ich für ihn sogar meine Ellenbogen ausfahren …

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.