Email-Spam – Digitaler Kitsch

Ich bin groß am Aufräumen. Was habe ich nicht alles dem Recycling oder der Müllverbrennungsanlage überlassen. Es muss sein. Hinter dem weggeworfenen Zeug sehe ich keinen Mehrwert für mich und die Nachwelt. Die omnipräsente Nutzlosigkeit – Denglisch: Spam!

Ich bereinige meine elektronischen Spamfilter, gehe auf eine ‚Empfohlene Filterauswahl‘ und kassiere binnen einer Stunde vier Nachrichten, die mir das Geld verdienen ohne Arbeit versprechen. Mir ist aufgefallen, dass das ‚Viel Geld mit wenig Arbeit verdienen‘ eine extrem gesuchte Google-Phrase ist.

Mich wundert es nicht. Vor vielleicht fünf bis zehn Jahren war die Roulette-Methode angesagt: Jemand hätte eine Methode entdeckt, mit der sich Online-Casinos ausnehmen ließen. Garantiert sicher und zu 100% Gratis! Da kullern beim geldgeilen Mitteleuropäer die Tränen aus den Säcken und blockieren dabei vollends die Denkleistung.

Wenn denn die ‚Methode‘ im Spielgeld-Modus auch noch funktioniert, dann ist es ganz vorbei. Es hagelt Freudentröpfchen in den Schlüppi. Man wird mutig und setzt echtes Geld ein. Doch auweia, plötzlich funktioniert die getestete Methode nicht mehr und die schwer erarbeiteten Euronen sind für immer weg.

Damals hatte ich ein paar satirische Kurzverse über die Casino-Werbung per Email zum besten gegeben. Im Ergebnis riefen mich Leute an und fragten mich, ob ich auch schlechte Erfahrungen gemacht habe. Ich konnte verneinen, weil ich meinem Verstand vertraute und sowieso kein Glücksspiel-Mensch bin. Irgendwie taten mir die ‚Opfer‘ ja Leid. Auf der anderen Seite ist Gier eine Fehlbarkeit, die der Mensch selbst kontrollieren kann, wenn er denn will.

Am besten waren jene Anrufer, die mich überzeugen wollten, dass die Methode WIRKLICH funktioniert und die das auch mathematisch beweisen können. Ich lehnte dankend ab. Es geht hier um Wahrscheinlichkeiten und um die große Unbekannte Online-Casino. Im Spaßbetrieb funktioniert das Schema, im Echtgeldbetrieb dagegen nicht. Da arbeitet man beim Online-Casino garantiert ohne irgendwelche Tricks! Und diejenigen, die diese Methode publizieren haben nix mit den referenzierten Online-Casinos nichts gemein! Im Himmel ist Jahrmarkt!

Binärer Optionshandel ist also jetzt der Goldesel, den es zu schlachten gilt. Davon habe ich auch keine Ahnung, also lasse ich die Finger von. Was mir aber auffällt: Beim Online-Casino war die Welt in gut und böse geteilt. Also die, die an diese Methode glauben und jene, deren Skepsis belohnt wurde durch die, die ihr Geld verloren haben.

Heute hacken die Aktienfutzis gegenseitig auf sich herum. Also alle gegen die Swiss Method v2. Doch im gleichen Atemzug wird das eigene Produkt als tierisch vertrauenswürdig und sicher offeriert. Selbst von Google-Anzeigen und Platzierungen in oberster Front schreckt man nicht zurück. Das ist ja so, als würde die Mafia mit ihrem Klarnamen im TV werben!

Was rege ich mich eigentlich auf? Es geht um Nutzloskram, den ich noch nicht einmal mit Scheiße bezeichnen möchte. Denn Scheiße lässt sich ausfahren und damit das Feld düngen. All das geht aber mit dem omnipräsenten Nutzlos nicht. Hohles Zeug für hohle Internetbürger, die den Sinn des Lebens im Ausführen ihrer Haarpracht, aufgeblähten Lippen oder Silikontitten sehen.

Ich möchte – möglichst – frei von diesem Nutzlos sein, dieser minderwertigen Geschmacksfreiheit sein und fahre meine Email-Filterregeln wieder hoch. Es ist wieder Ruhe eingekehrt …

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.