Fesselnde Seilschaft

Dann und wann checke ich das Internet nach ehemaligen Weggefährten ab. Also diese Kurzzeittypen, die meist mit großer Klappe vornweg sind und sich im Nachgang als Blindpese entpuppen. Solch Möchtegern gibt es einige, im Netz wahre Prinzen vor dem Herrn, im realen Leben Flachzangen aus niedrig legiertem Chinastahl.

Er war zwar so etwas wie eine kleine Onlinegröße, doch ich lernte ihn im echten Leben kennen. Und wurde vorgewarnt: Er erzählt viel wenn der Tag lang ist und wirklich Ernst nehmen darf man das Gesagte nicht. In der Tat, so kam es. Er träumte von besonderen Shooting, Bondage völlig im japanischen Stil gehalten. Ein Kalender sollte entstehen, ihn als auch mich berühmt machen.

Oh mein Gott, ich berühmt, reich und sexy? Den Gedanken habe ich mittlerweile begraben. Mehr und mehr entferne ich mich vom Geschmack der Massen, lehne das Technikgedöns der großen Meister ab und fordere auf, das Herz sprechen zu lassen. Ich musste mir aber keine ernsthaften Gedanken machen, denn seine Worte entbehrten jeder Substanz.

Dann kam der Tag, an dem er das Rollenspiel und das wahre Leben mit einer jungen Geliebten verwechselt hat. Seine Hand saß locker und er betätigte sich als Lama. Das ging dem jungen Ding zu weit. Es folgte eine Strafanzeige, ein Prozess und ein Urteil. Und ich mitten drin in diesem Gezänk, als Freund und Zeuge. Auf beides hätte ich gerne verzichtet.

Jahre später las ich die Traueranzeige. Eigentlich kann er es nur sein. Sein Name ist selten, das Alter passte auch. Ich ging der Sache nicht weiter nach. Selbst eine Traueranzeige kann postfaktisch, also gelogen sein, nur um jemand anderes unter Druck zu setzen. Auch das würde ich ihm zu trauen. Ältere Männer im Liebeswahn tun alles um sich bis auf die Klamotten zu blamieren.

Nun sah ich wieder die Traueranzeige. Ich habe Zeit und versuche alle Hinweise zu nutzen, um vielleicht doch mehr zu erfahren. Ein Frauenname, ein Ort und Facebook zeigt beide zusammen. Das Bild wurde drei Tage nach dem Todestag laut Traueranzeige hochgeladen. Einige haben es gelikt, doch über sie kann ich keine mir bekannte Verbindung zu ihm herstellen. Im Ort gibt es eine Ärztin mit demselben Namen. Zufall oder ein und dieselbe Person?

Ich lasse das Bild sprechen, lasse es auf mich wirken. Ein Schnappschuss, von einer dritten Person gemacht. Sie schaut zu ihm, freundlich lächelnd, ein Hauch von Professionalität darunter gemischt. Er wirkt krank auf mich, nicht glücklich in seiner erwidernden Mimik. Mein zweiter Gedanke ist, dass er ein Zweckbündnis eingegangen ist. Auch wenn mir dieser Gedanke im Inneren missfällt, so traue ich ihm nichts Gutes in seinem Herzen zu, wenn es keinen Nutzen für ihn hat.

Sein Profil im deutschen Hau mich-Onlinetempel existiert noch. Und ein paar Fotos sind auch Online abrufbar. Von seiner damaligen Geliebten und Seilgespielin ist nichts dabei. Sicherlich musste er die Bilder entfernen, denn Madame hat nach einem lesbischen Intermezzo ein ganzganzneues Leben inklusive Liebesheirat (mit einem Mann) begonnen. Wie kann man nur soviel Rosa in den Augen und auf der Seele liegen haben. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Vor etwa fünf Jahren scheint es keine Aktivitäten mehr zu geben. Keine neuen Bilder oder kommentierende Schleimattacken. Immerhin soll es vor ein paar Monaten einen Login gegeben haben. Ich bin böse, ich weiss. Und ich habe dabei durchaus ein schlechtes Gewissen wegen meiner Gemeinheit. Es gibt Grenzen und ich sehe sie von mir überschritten. Er war ein Maulheld, hatte nicht den Mut zu seinem Angriff auf seine Gespielin zu stehen, zog deshalb die miese Rolle des Schweigers vor Gericht durch und doch war er Mensch. Ein fehlerbehafteter Zeitgenosse wie auch ich es bin!

Ich fühle mich künstlerisch darin bestätigt das Fehlerbehaftende zum Gegenstand meiner Arbeit zu machen. Nicht auf der Höhe des Schönen und Frohsinns denken wir über das Leben nach. Erst im tiefen Tal des Schwermuts und der Melancholie werden wir uns aller Facetten des Lebens bewusst. Und genau daran muss ich erinnern. Mich selbst als auch in meinen Arbeiten.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.