Ich prostituiere mich nicht!

Schon seit Jahren habe ich einen hinreichend großen Abstand zur Fotogötter und Modelle-Szene gepflegt. In den letzten Monaten hat sich das Ganze weiter potenziert. Ich wollte keinen Gedanken an das Volk der Blender und notorischen Überflieger verschwenden. Mit diesem Abstand dann doch wieder auf Tuchfühlung zu gehen ist ein Kulturschock!

Es wird gepimpt bis der Arzt kommt. Kein Wunder, Photoshop im Fotografen-Abo ist spottbillig und diverse Automatismen erleichtern das Falten-Ex. Die Pixel der aktuellen Digitalknipsen werden scharf gegeneinander gerechnet und Objektivschwächen weggeschönt. Menschen werden zu Plastikpuppen mit Porzellangesicht. Kein Wunder, dass ich erschrecke, taucht ein Modell in Natura und mit Falten vor mir auf.

Fotografen und Modelle bringen heute E-Zine oder Webzine heraus. Gegen Geld versteht sich. Sicherlich, es handelt sich nicht um Unsummen, doch in der Summe derer, die ich interessant finde, kostet der Spaß mich ein Vermögen. Das Selbst-Modell-Fotograf(in) erblickt das Licht der Welt und vermarket sich, wie sollte es auch anders sein, selbst!

Früher habe ich diese Form der Selbstdarsteller als eine gesellschaftliche Randgruppe mit schwerer Persönlichkeitsstörung betrachtet. Denn wer exhibitionistisch veranlagt ist, der wird Webcam-Modell. Wer die Welt hasst, der fotografiert sich in allen Lebenslagen, für die Quote vorzugsweise immer nackt und nur sich selbst. Hoffnungslose Fälle knipsen ausschließlich ihre Larve mit etwas Busenansatz, das Duckface ist geboren.

Kollaborationen zwischen Fotografen und Modellen: Das garantiert Langeweile! Man beweihräuchert sich über mehrere Ausgaben seines Self-E-Zine selbst, bringt Fotostrecken mit wiederkehrenden Posen aber wechselnden Schambereichen und viel Ausstrahlung heraus. Vorzugsweise ist das Ganze dem Inzest gleich, weil niemand anderes bei diesem visuellen Dünnpfiff mitmachen will. Dafür möchte man natürlich auch Geld sehen.

Gerade am Anfang entwickeln viele Protagonisten eine bemerkenswerte Dynamik. Die Welt wird jeden Tag mehrmals darüber informiert, wie toll alles läuft und wann die nächste große Überraschung geplant ist. In wirklich – also real betrachtet – sieht die Situation doch so aus: Irgendetwas ist in der Lebensplanung gerade schief gelaufen. Nun hat man Langeweile und will sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Es beginnt die heiße Phase der Hyperaktivität. Vielleicht stellt sich auch ein kleiner Erfolg ein: Zwei bis zehn Leute kaufen das E-Zine. Oder die Stripserie im Vintage-Look.

Einige Monate später und schon sieht es wieder ganz anders aus. Die Gruppe der Fans wird stetig kleiner und in Sachen Lebensplanung zeigen sich Alternativen auf. Noch möchte man alles so laufen lassen wie bisher. Doch plötzlich, holterdiepolter, das große Schweigen! Der große Meister zuckt nicht mehr, das Modell ist weg von der Bühne. Vielleicht kommt ein kleiner Nachruf an die alte Zeit, doch jetzt wird alles anders. Zum Beispiel darf der neue Lebenspartner nichts vom virtuellen Leben wissen, oder so. Man war jung, brauchte das Geld, wusste nicht, was man tat. Holla die Waldfee.

Ich habe in den ganzen Jahren so viele Projekte kommen und gehen sehen, vor allem gehen sehen. Erlaubt man sich vorab das Urteil der potentiellen Todgeburt, dann muss ich mich verbal steinigen lassen. Insofern kommt für mich das Sterben vieler Schnapsideen nicht überraschend. Manch tolle Projektidee reicht für eine – gute – einmalige Geschichte und dann ist aber auch gut. Für langfristige Projekte braucht es mehr Schmalz im Kopf und vor allem Geduld!

Den Gipfel der Prostitution und Langeweile sehe ich im Crowdfunding des Pillepalle. Sprich: Das Modell macht sich regelmäßig nackig und fotografiert sich dabei selbst. Den Busenblitzer gibt es als (kostenfreie) Anheize, tiefe Einblicke in den Genitalbereich gibt es als Monats-Abo. Je mehr der notgeile Kunstliebhaber zahlt, umso freizügiger werden die Lichtbilder. Am Weihnachtsfest kommt der getragene Schlüppi als Kunstdruck aus dem Heimprinter zum exklusiven Sonderpreis.

Crowdfunding im Sinne des Mäzenatentum der Massen, damit habe ich kein Problem: Man gibt Geld, dass der Künstler seine Werke schaffen oder sein Leben bestreiten kann. Im Gegenzug wird man – hervorgehoben – als Geber erwähnt. Es gehört eine Portion Idealismus dazu, insbesondere dann, wenn man nicht mit Reichtümern geschlagen ist. Doch der Idealismus war schon immer eine Nische. Wichtiger ist, dass jede gegebene Münze ihren Wert verdoppeln muss, am besten noch bevor sie ausgegeben ist: Turbo-Kapitalidealismus.

Ich könnte kotzen vor Freude, schaue ich mir diese alternativen Finanzierungskonzept des Lebens an. Das Schöne an der heutigen Prostitution ist, dass der körperliche Kontakt entfällt. Das spart Desinfektionsmittel und erspart schlimme Hautkrankheiten. Die brave Hausfrau und Mutti kann, hat sie ihren Nachwuchs in die Tagesbetreuung gegeben, virtuell vögeln bis es qualmt. Abends, die Brut schläft, geht das Treiben munter weiter. Ein Schenkelklopfer der Szene: Mutti macht das wilde Luder und tut vor aller Welt so, als sei er eine kreativ-wertvolle Diva. Im Hintergrund organisiert Vati das wilde Treiben und hat seinen Spaß dabei. Also weniger mit der pseudogeilen Mutti als viel mehr die Freude über all die Deppen, die für seine nackte Alte zahlen.

Oder, oder, oder. Nichts ist so absurd, dass es nicht gedacht und virtuell für Geld ausgelebt wird. Das Traurige an der Sache ist: Wahrlich kreative Menschen ziehen sich aus dem Internet zurück, sind nur noch lokal greifbar und für Kunstinteressierte erlebbar. Für mehr reicht es nicht, weil niemand dafür Geld ausgeben mag. Für den Quickie und das schnelle eigene Wohl, dafür haben wir aber genug Kohle. Schade!

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.