Als kunstinteressiertes Überwesen weiß man, dass sich der Bildschaffende mittels Skizzen einem Werk genähert hat. Heute, im Husch-Wisch – Zeitalter der flinken Finger und kostenlosen Apps, hat man solch antiquierte Arbeitsweise nicht nötig. Das geht mit ein paar Fingertipps, noch zwei volle Silikon-Möpse zeigen, viel Filter, noch mehr Farbe und schon kriegen sich die Solosex-Praktiker nicht mehr ein. Was will ich da mit einem Skizzenbuch? Auch noch als semi-berufener Lichtbildner?
Notizen machen!
Für den Quatsch nutze ich mein Tablet. Da tippe ich hinein, was ich gleich eben wieder vergessen könnte. Vorausgesetzt, ich vergesse es nicht mir etwas Wichtiges zu notieren oder mir in der Hektik einer Dunkelkammerschlacht die Zeit fehlt, mir eine Notiz zu machen. Oder ich bin einfach zu faul zum Notizen.
Durch die Spielerei in der Dunkelkammer entstehen Abzüge, die erst noch aufgewertet werden müssen. Oder sie, die Abzüge, müssen noch eine Weile liegen, damit ich eine Beziehung dazu aufbauen kann. Manchmal fällt mir auch nichts ein, was ich mit dem temporären Schrott oder Abfall noch anstellen könnte. Im Laufe der letzten Jahre habe ich es mir angewöhnt, den Zwischenschritt-Bildern als auch mir persönlich Zeit zu geben. Das war nach der Chemo-Therapie schwer, stand ich doch unter dem Eindruck, womöglich nur noch wenig Zeit zu haben. Entsprechend verkrampft und kompliziert war meine Rückkehr in die kreative Rolle.
Egal wie viel Zeit mir bleibt, ich muss sie mir und den Bildern geben. Und wenn ich am Endpunkt feststelle, dass ich noch so Vieles ausprobieren und tun wollte, dann ist es gut. Dann bin ich nicht an Langeweile zu Grunde gegangen, sondern war stets und ständig mit mir beschäftigt. Unter dem Eindruck entstand mein Wunsch nach einem Skizzenbuch: Ich wollte Dinge ausprobieren, möchte mit der Blattgröße A4 spielen und dass das nächste Blatt über die kurze Seite zu blättern ist. Was in dem Skizzenbuch entsteht, soll nicht losgelöst als Einzelwerk stehen, es soll im Zusammenhang mit den anderen Arbeiten gesehen werden. Dann und wann habe ich einzelne Seiten auf Instagram beziehungsweise Tumblr gezeigt und war vom Feedback überrascht. Ohnehin überrascht es mich, wie auf meine Arbeiten – zumindest im Kostenlos-Bereich – reflektiert wird.
Noch vor Ende der ersten Skizzenbuchs, das Skizzenbuch Ohne Titel, habe ich mich entschieden, diese Art Medium zum Teil meiner Präsentation zu machen. Es soll ein zweites Skizzenbuch entstehen. Wagemütig habe ich bereits ’skizzen‘ auf den Deckel geschrieben. Schon schwirren mir viele Gedanken im Kopf herum. Büroklammern, in Pink und als Stern, aber auch klassisch gebogen und in Schwarzweiß. Was sind das für Assoziationen! Ich möchte über die lange Seite meine Bilder umschlagen, eben wie ein normales Heft. Abzüge unterschiedlicher Dunkelkammertechniken? Wie gerne zerreiße ich sie und setze sie neu, gemischt zusammen! Streifen und Abfälle vom Beschnitt ergeben ein neues Bild, deren Zusammenhang man nicht erkennt, den ich nur weiß.
Ich entrücke immer mehr der ’normalen‘ Welt. Ich bin – gefangen – in meinem Tunnel und das Leben lässt mich wie in einer Membran gehüllt teilnahmslos daran teilhaben. Ich bin – noch – nicht ganz raus aus dieser Welt. Noch berühren mich die Sinnlosigkeiten der Menschheit, die mit ihrer Freizeit nichts anzufangen weiß, nur noch starr nach unten blickt und lediglich der zuckende Wischfinger erahnen lässt, dass das maschinenhaft wirkende Wesen wirklich noch lebt. In der Tram zähle ich zehn Menschen. Einer schaut in der Gegend herum, ich stehe und hören zuschauend Musik. Zwei Mitmenschen lesen das klassische Papierbuch. Der Rest smartphonet. Vergisst darüber die Zeit, vielleicht auch die Station des Ausstiegs und ich habe einen Grund über das hektisch fliehende Wesen a la Mister Bean innerlich zu schmunzeln.
Ich setze dem Wahnsinn der Dummheit mein Skizzenbuch entgegen!
Ein schnödes Skizzenbuch gegen das Armutsopfer wie die ‚Alleinerziehende‘, die einsam tut und nicht allein, kein Single ist. Soll sie doch mal in meine gläserne Röhre, diese Membran um mich herum, schlüpfen und darin leben. Wirklich allein! Kein emotionaler Zugang zur Aussenwelt, keine Freude, kein Leid, keine Tränen. Lautes Lachen als Galgenhumor. Ich setze das Skizzenbuch gegen sich outende Opfer, die rein zufällig gerade ein Buch herausbringen oder es mit der x-ten Schönheits-OP einfach nur übertrieben haben. Hauptsache irgendwie irgendwo Präsenz zeigen. Sind wir nicht alle ein bisschen Opfer, werden gemobbt und gestalkt, verfolgt und vergewaltigt? Es muss ja nicht sexueller Natur sein! Hauptsache Opfer und mit Mitleid statt mit Leistung glänzen.
Das auf Distanz gehalten werden macht (selbst) kritisch und ich ziehe es vor, mit der eigenen inneren Stimme in Bildern darauf zu reagieren. Meine Worte sind die Seiten des zweiten, des eigentlichen Skizzenbuchs. Ich weiß, wofür ich mein Skizzenbuch brauche. Und das erste Skizzenbuch? Es ist weg. Einfach so weggegeben. Kleine Widmung am Ende, das war’s. Aber vorher gescannt, damit die Seiten hier gezeigt werden können.