Gestatten Unfall. Und ich mache Unfälle. Alles kam einfach so, ohne dass ich jemals gefragt wurde oder mich jemand dazu anstiften musste. Mein Vater schwängerte die Frau die mich geboren hat, weshalb sie, die Frau, ihn – damals war es so üblich – heiraten musste. Für sie, die Frau die mich geboren hat, war ich nun der Unfall. Das ist die perfekte Mischung für eine gestrenge Hiebe-statt-Liebe-Erziehung. Jahre später darauf angesprochen kann sie sich an keine ihrer Grausamkeiten erinnern. Das würde ich wohl auch nicht tun wollen. Folglich konnte ich ihre Beteuerung, dass sie mich liebt, nie wirklich glauben. Mein Bruder, ein paar Jahre später mit demselben Mann gezeugt, hatte da etwas mehr Glück. So bleibt es mir vorbehalten in einer Zeit der Berufsopfer auch ein Opfer sein zu dürfen.
Lebt sie, die Frau die mich geboren hat, eigentlich noch?
Die meisten Künstler sind sich egal welcher Stilrichtung zugewandt einig, dass Kunst Leben nachahmt. Der aleatorische Künstler nimmt den Gedanken einfach wörtlich und schlussfolgert, dass wenn Kunst das Leben imitiert, der Prozess des Kunstmachens den Prozess des Lebensmachens nachahmen muss. Wenn dem so ist, dann muss die Kunst von einem Ort kommen, der den Ort nachahmt, von dem das Leben kommt. Damit stellt sich die Frage: Woher kommt das Leben?
Es kann nur ein Unfall sein! Liefe der Prozess aus Ursuppe und Klimahysterie in geordneter Bahn, dann hätte der professionelle Perfektionist nichts zum Nörgeln und es gäbe kein Leben. Erst ein kleiner Unfall bringt – zufällig – eine Variante ins System, die so vorher nicht da war. Die selbst der Weiseste der Weisen nicht vorhersehen konnte. Das Leben muss das dunkle Loch eines universellen Hinterns sein. Ein übelriechender Urschlotz, voller Sedimente aus Jahrmillionen unzähliger Planeten, stickstoffhaltige organische Verbindungen, Aminosäure mit wichtigen probiotischen Bakterien. Und erst durch den Unfall, wie auch immer herbeigeführt, findet diese Komposition irgendwie einen Weg, sich zu entwickeln.
Krebszellen sind ein Unfall. Eine kleine entartete Zelle bringt mit ihrer Zeit das Leben zum Absturz. Die Laune der Natur, ein Unfall. So wie ich. Da ist es nur gerecht für mich auch auf diese Weise zu verunfallen. Chemo-Therapie: Der bittere Kampf bis zur letzten lebenden Krebszelle. Keine einzige darf übrig bleiben, die absolute Ausrottung halt. Hier darf und muss ich so total brutal sein ohne gleich ein Nazi zu sein. Ohne dem wäre der Unfall nicht restlos entsorgt und ein Überleben nicht möglich.
Der vermeintliche Moloch, das stinkende Etwas, die perfekte Mischung von unendlich kleinen Elementen schlummert vor sich hin und wartet auf den einen Funken. Wenn ich denn dem Unfall den Namen Funken geben möchte. Ich verbringe die meiste Zeit damit, den perfekten Rahmen und die Bedingungen für diesen Unfall, genannt Funken, zu kultivieren. Kunst ist verdammt pingelig. Zu kalt und der Schwapp Pigmente modert sacht dahin, riecht letztendlich nur noch übel. Zu warm, der Klecks wuchert über den Rand hinaus und fällt aufs Laminat. Ich schaue das Etwas fröhlich an und die gute Idee stirbt. Ich darf kein Auge zu machen, darf nicht schlafen, sonst ist der Moment für immer verloren. Euphorie über den gefallenen Tropfen gleicht der Hinrichtung bereits Gefallener. Und am Ende muss ich eine bedeutungsschwangere Erklärung liefern können, wie ich das Meisterwerk geschaffen habe und was es symbolisiert. Es ist der Moment, wo ein Gott nützlich erscheint dessen Namen ich anrufen kann, um meiner Kunst Sinn und Zweck zu geben.
Warum das alles?
Es ist nicht mehr meins aufzugeben!