Mir scheint es so, als sei dieses Jahr der Morgen dunkler als vergangenes Jahr. Hatte das vorherige Jahr überhaupt Wetter? In den Medien als auch in meinem Umfeld wird über das Wetter gemeckert. Zu warm, zu nass, zu viel Sonne, zu wenig Sonne. An das Wetter im vergangenen Jahr habe ich nur eine Erinnerung: Kräftiger Schauer, im Juli oder August. Ich saß in der Praxis und dachte, der Krankentransport wird mich heute im Kahn nach Hause bringen müssen. Wenige Minuten später war alles vorbei und der Nordosten Berlins weiß, hagelweiß. Mitten im Sommer.
Ansonsten befällt mich Traurigkeit. Ich bin beinahe endlos traurig. Es geht nicht mehr die Musik von damals, heute vor einem Jahr, zu hören. Das wohlige Gefühl, diese eigenartige Freude, sie will nicht aufkommen. Vielleicht war alles zu sehr an eine Person gebunden, die schneller als gedacht enttäuscht hat. Viele Worte, viel’Das will ich‘ und nichts dahinter. In den Gedanken von vor einem Jahr mischt sich heute Unwohlsein und Überkeit. Damals war das überhaupt kein Thema. Nur ein bisschen und wenn, dann gibt es ja Ingwer.
War vor einem Jahr Hoffnung ein großes Thema, bin ich heute wieder in der Realität angekommen. In einer neuen Realität, viel anders als in der Realität vor damals vor einem Jahr. Es ist ein Mix aus Funktionieren, mehr Wissen zur Endlichkeit und der Enttäuschung über das eigene Versagen. Seit längerer Zeit geht es nicht mehr um das große Ding. Ich habe das Ziel auf die eigene Zufriedenheit festgelegt. Doch es fehlt die kleine Flamme, der Funke und das Gas. Wenigstens kann die Enttäuschung keine Schmerzen bereiten. Es ist so, als hätte ich ein Cent-Stück verloren. Wozu braucht man heute noch dieses Geldstück.
Und doch bücke ich mich danach, hat jemand anderes es achtlos weggeworfen. Oder gar verloren. Mir fallen meine Gedanken zu dieser Bühnennummer ein: Ich sitze allein im großen Gestühl des Publikums, doch die Masse steht auf der Bühne. Jeder inszeniert sich selbst, laut und mit äußerster Inbrunst. Klagen und Jammern, Jubeln und Jauchzen, alles ist dabei. Kopfschüttelnd schau ich dem Treiben zu, das Getose macht mir Angst. Da ist eine Sehnsucht nach Stille und doch bin ich zu mir selbst laut.
Ich mag keine Fragen zum ‚Was war‘ oder ‚Sein wird‘. Weder hören noch beantworten. So oder so, ich müsste lügen. Würde ich auf die Wahrheit und nichts als die Wahrheit schwören, nach besten Wissen und Gewissen kreuzte ich meine Finger. Entweder es beginnt im Jetzt und Hier, einfach so oder wir lassen es sein. Ein besseres Angebot kann ich nicht unterbreiten. Wir reden. Über das, was man hätte tun können. Es besteht Einigkeit, über einen gewollten wie gewünschten Inhalt. Ich hake nach dem ‚Wieso nicht?‘ nach und bekomme ‚Ich war zu faul‘ zur Antwort.
Ich akzeptiere diese Antwort und wir beenden nicht nur die Unterhaltung.