Ich oute mich hier und heute als Fan von … Mist, ich habe seinen Namen vergessen!
Ich weiß, er hat bei ‚Alice im Wunderland‘ mitgespielt. Und bei diesen Piratenfilmen den Jack Sparrow oder so gemimt. Aber die Filmreihe gefällt mir nicht.
Ich meine Johnny Depp.
Dummerweise hat mir wieder die mangelhafte Merkfähigkeit des Ex-Chemobrain einen Strich durch die Rechnung gemacht, weshalb ich für einen Augenblick vergessen habe, welchen Charakterkopf ich gut finde. Als Schauspieler. Ich halte die Kombination Depp-Burton für ein sehr surreales, nahezu kongeniales Gespann der aktuellen Filmlandschaft. Es darf in unserer Zeit ruhig öfter diesen Mix aus Genie und Charakterwahnsinn geben. Bitte nichts übertrieben Tuntiges, wie Jack Sparrow. Das geht gar nicht. Nicht diese Ed Sheeran-Heuler oder Justin Bieber-Lutscher. Mann soll Mann und kein weichgespülter Schwuli sein, auch wenn es die Gutmensch-‚political correctness‘ so gerne sehen mag.
Kleine entspannte Session im Atelier. Ich probiere eine Leica R3, die ein paar Macken hat. Welche es noch sein werden, sehe ich nach dem Entwickeln der Negative. Die ‚verstellte‘ Belichtungskorrektur ist wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt. Referenziert werden die Aufnahmen mit meiner Nikon F70. Das Ende von diesem Lied: Um mit der Leica R3 weitermachen zu können, sind die zerkrümelten Lichtdichtungsreste zu entfernen und das Gehäuse neu abzudichten. Ob die Leica R3 danach zu meiner Lieblingskamera wird? Sie ist – für einen Grobmotoriker – hinreichend schwer. Ansonsten hat sie in meinen Augen keine weiteren Vorzüge, außer dass sie eben eine Leica ist. Aber sie ist keine echte Leica, sie ist der eingeläutete Anfang vom Ende der Leica-Kamera.
Die Aufnahmen laufen – ich sage mal – emotionslos. Meinerseits. Also nicht, dass schlechte Stimmung herrscht oder wir – Modell und ich – insgesamt mies drauf sind. Menschlich ist alles bestens, die Ergebnisse sprechen – für mich – für sich. Nur dieser innere Emotionspamps, total geschmacksneutral, stellt der fehlenden Euphorie ein Bein, tritt gewaltig auf die Schaumbremse. Das macht kein Spaß, ist eher zum Verzweifeln. Es geht ja nicht darum, sich nach jeder Aufnahme in den Armen zu liegen und gegenseitig zu versichern, wie toll der jeweils andere war. Genauso wenig sind Verbrüderungs- oder Verpaarungsszenen ‚aus lauter Liebe am anderen‘ gemeint. Mir ist es, nach dem aktuellen Stand der Dinge, völlig egal was eigentlich passiert. Geht die Nummer in die Hose, habe ich genug anderes hobbyistisches Zeug, womit ich Stunden allein im Atelier verbringen kann.
Für einen Moment blitzt in mir so etwas wie ein Funke Glückseligkeit auf. Da ist der Lausbub in mir kurz erwacht. Das Modell liegt, eher wie abgelegt, bäuchlings auf dem Tisch. Nur die Beine auf dem Boden bewahren Haftung wie auch unübertriebene Haltung. Beim Blick durch die Kamera stelle ich mich etwas auf. Es soll der Blick den Tick von oben sein. Nicht übertrieben, nicht beherrschend aus Sicht meiner Kamera. Ich lasse die Zimmerecke im Bild. Sie soll so etwas wie ein Ende symbolisieren, ohne ein Ende zu sein. Ein anderer Weg, nur. Die ‚Stürzenden Linien‘ der Tischbeine nehme ich für diesen Inszeniert-Schnappschuß in Kauf. Der Blick durch die Kamera wirkt surreal, entlockt mir ein Schmunzeln und zartes Glimmen an Euphorie. Das Bild könnte was werden, vor lauter Vorfreude würde ich das Modell umarmen. Sie mag nicht, nur mit denen, die das Bett mit ihr teilen. Wozu ich nicht gehöre.
Es dauert eine Weile, bis ich Zeit für die beiden Filme und den Vergrößerer finde. Nein, ich möchte nicht Rahmenfrei und mit dem Pinsel arbeiten. Letztgenannter kommt schon zum Einsatz. Ich meine, Abzüge in der Arbeitslösung badend, der Entwickler wird mit dem streifenden Pinsel in die Papieroberfläche einmassiert, bringt ein nicht übertriebenes Schwarz in den Print. Also nicht den Kontrastkollaps mit Maximalschwärze. Der Fatmann ‚Black Hole‚ steht jetzt schon ein paar Monate ungenutzt herum und irgendwie passt der Ansatz zur Belichtungszeit. Ich bin zufrieden, was schon sehr viel Emotion für mich darstellt.
Etwas wehmütig blicke ich zurück. Mir sind ein paar Dinge verloren gegangen. Woran ich mich dunkel erinnern, aber nicht mehr gefühlsmäßig in die Lage versetzen kann. Die Intuition, aus dem Bauch heraus zu entscheiden, scheint abhanden gekommen. In letzter Zeit pflastern ein paar Fehlentscheidungen meinen Weg. Ich sehe das Bild, halte den Abzug in der Hand und entscheide mich, es ganz simple um 180° zu drehen. Der einfachste Bildgestaltungstrick ever. Frisch aus dem Atelier gepostet, rein in Instagram. Irgendwie passt es. Natürlich ist es falsch herum. Genauso wie Alice im Wunderland schrumpft und wächst. Genauso wie Johhny Depp ein Hutmacher sein kann. Minimalismus. So, als sehe ich mir uralte Erotikfotos an, wo mit Stoffbahnen und Pappmaschee-Interior agiert wird. Nur eben ins 21. Jahrhundert portiert.
Bei vielen Fundstücken fällt mir auf, dass die Aufnahmen oft von rechts nach links orientiert sind. In unserem Kulturkreis ist das links nach rechts (wie wir lesen oder die BILD angucken) üblich. Das ‚Fehlverhalten‘ ist ja auch klar. Der Fotograf sieht in seiner Großformatkamera ein seitenverkehrtes Bild. Bedenkt er – wohl im Eifer des Gefechts – das nicht, habe ich am Ende – bei Regel gerechten Kontaktabzügen – ein Portrait scheinbar falscher Orientierung. Ob es damals dann auch die Klugscheißer gab, die den Halbgott der Kamera gemaßregelt haben? Oder hat man daran den berufenen Knipser vom Möchtegern-Fotografen unterschieden? Ach ja, es gab damals noch kein Internet und keine Communities besserwissender Mitmenschen. Ich vergaß.