Bald ein Jahr

Bald ist es soweit, dass ich vor einem Jahr ins Home Office verlegt wurde.
Ein Schock?
Nein, eine Befreiung!
Ich hatte mehr als ein ungutes Gefühl fremden Menschen ohne Mund-Nasenschutz sowohl auf Arbeit als auch in den Öffentlichen zu begegnen. Die krude „Es ist nur ein Grippe-Virus“-Theorie mag ich nicht ganz teilen. Nach hinten raus kann sich da deutlich mehr als bei einer Grippe entwickeln und wer möchte schon gerne ersticken. Außerdem waren es gerade drei Jahre her, dass ich nach der Chemotherapie wieder ins Berufsleben eingegliedert wurde und noch immer die Folgen dieser Therapie meinen Alltag bestimmen. Gerade während der Chemo war ich extrem auf der Hut, nur nicht mit Niesenden und Schniefenden in Kontakt zu kommen. Schon lange vor Corona habe ich es mir angewöhnt Handhygiene wieder groß zu schreiben und meine Hände auch noch zu desinfizieren. Bis auf die Gürtelrose zur Therapie-Halbzeit hat es mit der Abwehrmaßnahme ganz gut geklappt.

Dieser Shutdown, der dann zum Lockdown wurde, versprach eine spannende Zeit zu werden. Wie lässt sich Lehre ad hoc Online realisieren, wo Präsenzlehre schon ein hartes Brot ist. Online bedeutet, der eigentlich Wissenshungrige muss sich selbstorganisieren und einmal mehr als zuvor Fragen stellen. Doch der Mensch von heute stellt keine Fragen. Wer Fragen stellt, ist ein Bittsteller. Ist in seinen eigenen Augen ein Verlierer. Was ist da schief gelaufen? Also weiss der Suchende ohne zu wissen, befragt Wikipedia oder Youtube. Ich hoffe die Generation Corona muss nie lebensrelevante Dinge entwickeln. Davor habe ich Angst.

Das, wie es zum Shut- und/oder Lockdown kam, irritiert mich noch heute und bleibt für mich ein undemokratischer Akt. Vorher wurde über alles und nichts parlamentarisch ausschweifend diskutiert. Eine popelige wie unnütze Sommerzeitumstellung wird noch immer praktiziert, gegen den Willen Europas. Ein ganzes Land in Tiefschlaf versetzen, da genügt ein Kanzlerwort und paralysierte Landesfürsten. Und: Jeden Monat werden die Botschaften so dramatisiert, dass es auf ein open end hinausläuft. Abgerundet wird das Wirrwarr mit wechselnden Messlatten, die der ultimative wie finale Gradmesser sein soll. So spielen nur Gutmenschen Spiele, die nicht verlieren wollen und können. Sorry, doch ich höre im Kopf diesen Hinkefuss im Sportpalast schreien. Oder ich denke an „The Handmaid’s Tale“, nur mit Masken, Viren und Mutationen. Corona ist in meinen Augen eine Religion, eine Sekte und alle müssen wir uns danach richten.

Ich soll Zuhause rumhocken, aber es darf gereist werden. Kinder lassen sich zuerst in die Kindertagesstätte und Schule abschieben, da den Eltern die Dauerlast der eigenen Brut nicht zuzumuten ist. Das Haareschneiden ist fortan ein hohes Gut der hygienisch-reinen Deutschen, wie früher das Dichten und Denken. Kopfarbeit, nur außen statt Innen drin. Lang lebe die sinnreiche Verschärfung des AHA-Gebots zu den AHMH-Regeln: Abstand halten – Handhygiene – medizinische Maske tragen – Haareschneiden. Es ist viel Widersinniges geschehen und nicht alles lässt sich mit dem Druck der Ereignisse erklären. Vielleicht gibt es falsche Berater und es wurden definitiv nicht die einfachen Stimmen gehört. Mittlerweile ist der Mensch so verschreckt, dass er ohne Not, in Gottes freier Natur und irgendeinem Kontakt in seiner Nähe Maske trägt. Was habt ihr den Leuten ins Leitungswasser getan, dass Mensch so schräg abgeht?

Seit über einem Jahr heisst es nun warten. Auf die heilige Kuh, die mich erretten soll, kommt bald. Keiner weiss wann, aber sie kommt. Wie sich um das Warten die Bilder gleichen. Laut Bezugsschein für verbilligte FFP2-Masken gehöre ich zum Kader der Risikopersonen, dem Alter selbst nach eigentlich noch nicht. Leute, euer Papier mag so geduldig sein, ich bin es nicht. Das Jahr gibt es nicht auf einer göttlichen Bonuskarte zurück. Euer System Gutmensch hat versagt. Wenn Mensch an etwas denkt, dann an sich selbst und der nervige Rest kommt lange danach. Es werden Regeln für „Ganz Deutschland“ erdacht, die kaum ausgesprochen schon gebrochen oder zumindest aufgeweicht werden. Warten, das bedeutet auch jeden Tag eine Chance zu verspielen. Und wenn Mensch, weil satt vom Warten, dann doch von seiner Couch hochkommt und mit dem Fuss abstimmt, dann nutzt weder Vernunft, Verstand noch irgendeine Regel.

Meinereiner? Ich soll im Hausarrest auf die Erlösung warten und meine ohnehin spärlichen Kontakte weiter einschränken. Also vom spärlichen fast Null-Kontakt zu einem undefinierten Anteil Menschen im Negativkontakt. Wie der Negativzins. Wenn ich heute 1000 Euro leihe, zahle ich in einem Jahr 975 Euro zurück. Was für ein Irrsinn. Neulich wurde mir erst richtig bewusst, wie wichtig mir meine Hobbithöhle zum Überleben geworden ist. Damals, während der Krebstherapie, und heute in diesem Lockdown. Es war dieses rausgehen müssen und laufen können. Luft, Sonne, Regen und Schnee spüren. Die Möglichkeit sich in dieser Zeit ohne Nachzudenken abzulenken. Ohne das alles wäre ich heute bereits eingegangen. Innerlich wie äußerlich verwelkt.

Beinahe jeden Tag begehe ich eine Flucht und verletzte damit Regeln. Drei bis vier Stunden Dunkelheit, keine Medien, keine Propaganda. Alleinsein. Musik hören, einfach machen und erst am Ende sehen, was es gebracht hat. Doch so allein war ich in der ganzen Zeit nicht. Gefühlt haben sich die Kontakte in den Zeiten der aufgezwungenen sozialen Verarmung vervielfacht. Da, wo ich auf Kontakt gehofft habe, ist jetzt ein Finalpunkt gesetzt. Da wo ich das Mehr nicht erwartet habe, köchelt es vor sich hin. Also ein fast normales Leben, staatlich reguliert und absolut nicht regelkonform, könnte ich meinen. Leider fällt es mir mit jedem Tag schwerer mich zu motivieren. Mal mehr, mal weniger. Ich soll warten, wieder und wieder warten. Auf die richtige Inzidenz, den erlösenden Impfstoff und Entscheidungen derer, denen ich egal bin.

Ich reiche dir deine Hand.

Geb sie dir zurück.

Stellt dir vor, ihr spielt euer Spiel und ich spiele es nicht mehr mit. Es war nie mein Spiel, es hat nie zu mir gepasst. Ich konnte mich dafür nicht so begeistern, wie ich es für mich selbst vielleicht erwartet habe. Das kann vorkommen.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.