Fundstücke – Ein versuchter Ausweg

Ich bin auf der Suche nach einem Ausweg.

Ginge es nach meinem Inneren, ist ein gewisser Sättigungsgrad an Kreativität, Fotografie aber auch Enttäuschungen erreicht. Ich dachte, wer schon den Winke nach der Endlichkeit des Lebens gezeigt bekommen hat, der verzichtet auf das verlogene Pseudo-Gehabe und Scheininteresse. Nein, manch Zeitgenossen hat den Tritt gegen das Schienbein nicht verstanden. Irgendwo nervt diese Ignoranz, auch wenn es nicht direkt mein Leben ist: ‚Was soll ich machen, es war ja schon immer so. Und ich kann nicht allein sein!‘. Ich fühle mich arg in meiner Harmonie gestört, was sich zwangsläufig auf mein kreatives Handwerk auswirkt.

Ich fühle mich so, als stehe ich nur noch neben mir. Die Dinge des Lebens laufen mechanisch, ohne viel Freude, ohne viel Leid, ohne Lust und Liebe ab. Es keimt nichts, weder Hoffnung noch der Glaube an irgendetwas. Zumal es mir immer schwerer fällt einzuschätzen, welchen Stellenwert das alles einnimmt, was ich tue. Ich möchte mich nicht Kräftemessen, nur weil ein Zwergen-Ego meint etwas kompensieren und deshalb gebauchpinselt werden zu müssen. Selbst das Menschenfotografieren entzieht sich mir scheinbar jeder Freude. Oder meine Gedanken nehmen im Einzelfall absonderlicher Züge an, derer ich mich verweigere. Weil es nicht sein kann, weil es nicht sein darf.

So als ginge ich mit mir in Revision, entsteht ich mir so etwas wie Freude daran, Dinge umzuinterpretieren. Ich nehme die Handabzüge, die Modelle nicht abgeholt haben – auch so einen Enttäuschung – und lege noch einmal Hand an. ‚Ich bin der Farbige unter den Schwarzweißen‘, ich rebelliere! Nein, der Farbige unter den Schwarzweißen ist der von mir geschätzte Wolfgang Moersch. Ich bin eher ein ‚Bunter Hund‘, ein räudiger Streuner, der den Schwarzweißen in die Wade beißt, weil sie es verdient haben. Mir fehlt nur (me)ine Verbindung zu mir selbst. Ich kann nicht beschreiben was mich bewegt oder antreibt, weil Nichts und nichts Bewegtes in mir ist. So glaube ich. Was ich weiss, ich bin allein. Und will es irgendwie auch so sein.

In diesem emotionsfreien Frage-Antwort-Spiel (m)einer Seele fällt mir eine Schachtel alter Glasplatten (9×12 cm) in die Hände.

Die Schachtel fällt mir wieder in die Hände!

Diese hat mir jemand vor Jahren zu geschickt. Jemand aus dem Internet, ja es gibt auch positive Dinge aus dem Netz zu berichten. Ich hatte ihm versprochen, mit diesen Glasplatten etwas anzufangen. Irgendwann. Und nun halte ich sie in den Händen, gehe damit ins Atelier und fertige Kontaktabzüge an. 1912 steht auf der Tüte, säuberlich auch die Sonne, der Ort bis hin zum Entwickler alles notiert. Dieses Niveau habe ich mit meinen Notizen nicht erreicht. Blöd nur: Die Chemo-Suppe hat den Namen des Spenders aus mein Gedächtnis gelöscht.

Negativ No 426

Negativ-No. 426 – Angaben zum Ort, Belichtung und Entwicklung

Ich maße es mir an, die fotografische Arbeit eines Unbekannten zu interpretieren. Gut, derjenige kann sich wohl nicht mehr wehren. Ohnehin ist es fraglich, ob der Unbekannte jemals gefunden werden würde. Doch dieser Gedanke, er reizt mich und es kommt so etwas wie Spannung in mir auf. Diese Glut möchte ich befeuern, schaffe hier eine neue Kategorie – Fundstücke.

Altes Gemäuer auf Glasplatte - Unbekannter Fotograf

Lith-Rückentwicklung des Negativ-No. 426 auf Rollei Vintage (PE), harte Ausbelichtung

Zu meinen Digitalzeiten hatte ich der Welt angeboten, alte Fotos zu restaurieren. Darüber habe ich sogar – in der Foto Praxis(?) – geschrieben. Es kamen auch Anfragen, für umsonst nimmt man sogar mich und meine Gratis-Dienstleistung in Kauf. Ich glaube an so etwas wie ein Spirit mit dem Namen Gerechtigkeit. Was andere oder ich tue, findet einen Widerpart, ein ausgleichendes Moment. Wenn mir jemand Leid oder Böses zufügt, bekommt er/sie irgendwann im Leben die Quittung quittiert. Ich wollte nicht leben, zehn Jahre später kämpfe ich um selbiges. Ich habe für lau verloren geglaubtes zurückgeholt, bekomme etwas für lau zurück: Alte ORWO-Fotopapiere, die fast vierzig Jahre alt sind.

Ich revidiere meine harte Ausbelichtung. Das ist neumodischer Kram. Zur damaligen Zeit wurden Schwarzweiß-Bilder extra getont, da man diesen Schwarzweiß-Kontrast als ’schädlich‘ empfand. Irgendwie erinnert mich das an die Einführung des Farbfernsehens. Dort waren Gelehrte der Meinung, dass das Farbfernsehen nicht dem normalen Sehverhalten des Menschen entspricht und damit Farbfernsehen schädlich für uns ist. Heute wäre das eine Fake-News, alternatives Wissen. Das ORWO-Papier kann ich nur mit einer Lith-Entwicklung und vielleicht mit einem Spritzer Restrainer zum Leben rück-erwecken.

Lith-Entwicklung des Negativ-No. 426 auf 35 Jahre altem ORWO-Fotopapier mit Restrainer-Anteil

Ich fühle mich gefordert. Nicht nur alte Aufnahmen unbekannter Fotografen auf meine Weise zu interpretieren, dank des ORWO-Schatzes auch eigene Arbeiten zu überdenken. Und wenn sich die Gelegenheit ergibt, greife/schlage ich bei alten Negativen – zum Beispiel in der Bucht – zu. Oder ich bekomme sie – wegen meiner für ein kleines Handgeld – einfach so übergeben.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.