Irgendwo zwischen Wunsch und Realität

Ich hatte mal Wünsche. Zum Beispiel mit der Angetrauten zusammen alt werden und irgendwann im hohen Alter am Weißer See sitzen und Enten füttern. Weissensee, da habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht. Dann kam der Tag X und der Großmeister da oben holte seine fiese Nadel raus, ließ den Wunsch platzen. Ich habe keinen Bock mehr darauf. Mit einem Mal waren alle Ideale um die Traumfrau aufgebraucht.

Nach dem Studium fing ich mit dem Schreiben an. Und es lief gut, gleich mehrere Verlage konnte ich bedienen. Fast zweihundert Ausgaben Foto-Fachzeitschriften liegen hier im Büro und irgendetwas von mir steckt darin. Also warum nicht gleich in eine Redaktion wechseln. Zwei Angebote und dann platzt der Wunsch, weil der Hungerlohn weder eine Familie noch einen Zweitwohnsitz irgendwo in Deutschland finanziert.

Ein Buch schreiben. Na gut, es wurden vier. Es ist eben was anderes einen Artikel a 3000 Zeichen zu tippen. Folglich braucht das Buchschreiben etwas mehr Übung. Das letzte Werk, es war so ein tolles Projekt, einzigartig am deutschen Markt und später von anderen Verlagen kopiert. Ausnahmsweise waren die Rezensionen durchweg positiv. Doch dann taucht das Buch kurz nach Erscheinen als PDF im Internet auf, kostenlos und die Verkäufe brechen ein. Ich war maßlos enttäuscht. Ein Haufen Arbeit und kein Eurocent verdient.

Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Diesen Punkt zu erkennen ist schwer. Das Schreiben für Fotozeitschriften beendete Sauron. Zwangsweise. Beim Buchschreiben war der Punkt ohne Rückkehr mit dem letzten Projekt überschritten. Lediglich die positiven Erfahrungen beim Schreiben und Feedback lassen mich nicht verbittern. Und jetzt, im Hier und Heute: Das Leben funktioniert anders als die großen runden Augen vor mir denken. Ich dachte sie weiß es. Es bleibt nicht aus, dass ich von einem Fehler rede und dass das für Schnappatmung sorgt. Schon lange fühle ich mich so, das meine Sichtweise, Zufriedenheit keine Rolle mehr spielt. Was getan wird, tut es mir gut? Diese Frage wird nicht gestellt. Alles ist einer Vision unterstellt, die zu allem Überfluss absolut unrealistisch ist. Ich rechne mal meinen „Anteil“, meine Quote aus: 1 zu 0,03! Das ist der Wurmfortsatz des Lebens. Vielleicht subjektiv wichtig, ansonsten noch nicht einmal Wert Randerscheinung genannt zu werden. Spurenelement vielleicht, weil wegen wichtig sein und so. Doch als künftigen Lebensinhalt tendiere ich zum „Nein Danke“!

Diese unverhofften Dinge, die aus dem wahllosen Zusammenspiel mehrerer Gegebenheiten resultieren, sie sind schön, weil eben nicht geplant. Sie sind umso schöner, gebe ich mich ihnen gedankenlos hin. Der Zufall, er ist so tief in der Physik verankert. Bis zu dem Moment, in dem sich ein oder mehrere Wünsche in mir entspinnen, die kurzerhand auf die Realität treffen. Ich glaube an keine Bestimmung, denn die Richtung gebe ich letztlich selbst vor. Dann klingelt es im Kopf an der Tür. Ich mache auf und ein Gedanke tritt herein. Wenn ich diesen Gedanke zu fassen kriege, dann widerlege ich ihn mir auch gleich wieder selbst. In diesem Zwiespalt bin ich froh zu atmen und vergesse es nicht.

Mir braucht keiner erklären, wie toll doch alles ist, man nur aufstehen braucht und das Leben weitergeht. Wer den Mist erzählt, der lag noch nicht auf dem Boden und hat eine volle Ladung Sand in seiner Fresse. Heute sorgt ja schon ein Wort dafür, dass das Gegenüber sich mimosenhaft gemobbt und total übelst ausgegrenzt fühlt. Muschis! Ihr seid Muschis! Das Leben ist kein Ponyhof, da lässt sich nichts abwählen, Singen und Klatschen ist kein Hauptfach. Ich habe in dem Leben, das da geplant und finanziert wird, nichts zu suchen. Selbst das Spurenelement wird mir streitig gemacht. Ich lande in einer homöopathischen Suppe und muss dann zusehen, wie ich damit klarkomme.

Und wieder drängelt sich dieses Corona – COVID-19 – neuartiges Virus ins Leben. Warum hat noch niemand diesem Mikroterrorist einen anständigen Namen gegeben? Lars? Oder Heinz? Gern auch ein Frauenname, wenn das jetzt nicht frauenfeindlich ist und unbelehrbare Feministinnen hinter dem Busch vor meinem Atelier hervorgesprungen kommen, mich „Machonazi“ beschimpfen oder so. Die Politik erwartet Vernunft von den Bürgern. Vernunft? Von denen, die nach vier Wochen engsten Zusammenlebens als Familie psychisch am Boden gelegen haben, erst einmal einen Frisörtermin brauchen und dann zur Entspannung in den Urlaub fliegen müssen? Willkommen in der verfickten Realität wandelnder Fassaden.

Vernunft sieht für mich anders aus. Das kinderlose Partyvolk braucht seine Spaßindustrie, weil es sich nicht selbst zu beschäftigen weiß. Es hat nie gelernt nach Regeln zu leben, es kann nur diskutieren und parallel zur Entspannung Spass haben. Leben ist nur digital, verfeinert um positive Nutzererlebnisse wegretuschierter Nippel und abgedeckter primärer Geschlechtsmerkmale. Da hat dieser Heinz-Ingrid-Virus keinen Platz drin.

Wünsche. Habe ich noch Wünsche? Bisher haben sich meine Wünsche immer als Flop, als ein Fehler herausgestellt. Damals und heute. Das einzig Positive daran war die Erfahrung fürs Leben danach. Ich möchte keine Wünsche mehr haben. Die Realität ist mir zu anstrengend. Zu anstrengend geworden und ich bin selbst dran Schuld. Ich hätte nur früher standhaft Nein sagen müssen! In der Realität steckt zu viel Ich der anderen ohne mich zu fragen, ob ich da mitgehen kann. Die, die dürfen und ich eben nicht. Zur Not habe ich auch noch die Schuld. Kein Problem, ist bei mir all inclusive. Damit es dann auch richtig schmerzt, wird mit dem Messer voll Nutella kräftig gedrückt nachgeschmiert.

Der Versuch mir vorzustellen, jeden Wunsch bis zum Erbrechen weiterzuverfolgen, Hauptsache er geht für mich positiv aus, der Versuch scheitert. Das Scheitern ist das Ergebnis des Wunsches. Ich bin kein Redakteur geworden, hab das Autorenleben aufgegeben und du lebst deinen Plan ohne mich weiter. Irgendwo zwischen Wunsch und Realität, da bin ich angekommen und habe von beiden genug. Mein Interesse an Wünschen, geplatzte und erhoffte, es ist erloschen. Anstelle dessen tritt Gleichgültigkeit, es ist mir egal, die Achseln zucken. Dann eben ohne Wunsch aufs Zwergpony geschwungen und allein in den Gedanken durch die Prärie geritten. Alleinsein bedeutet nicht einsam sein.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.