Mag mich, pluse mich & folge mir!

Keine Sorge! Ich verhunze Marvin und seine fabulöse Webseite nicht mit dem Spam-Scam-Scheiss, der mir tagtäglich zu Teil wird. Auf Dauer ist das langweilig und zieht statt Kunstliebhaber neue Spam-Scam-Lords sowie deren Opfer an. Nein, gegen solche Botschaften gehe ich putziratz vor und setze auf rigoros-vollautomatisches Löschen. Stattdessen krame ich alte Stories aus Mausmalerei-Zeiten (hier aus 2011) hervor, deren Wahrheitsgehalt genauso unwahrscheinlich ist wie die Versprechungen aus den Spam-Scam-Botschaften.

Montag Morgen.

Ich sitze in der Tram und halte mobil Zeitungsschau. Keine gedruckte Zeitung, sondern via iPhone und App. Kostenlos, versteht sich. Einfach gucken, was während meines Schönheitsschlafes in der Welt so passiert ist. Neue Erkenntnis gewonnen: Ca. 10% aller Mausmalerei-Besucher sehen sie sich mobil an! Der Fakt – laut Statistik – ruft drei große Fragezeichen bei mir hervor. Gegen Trends ist eben kein Kraut, ausser die Totalverweigerung gewachsen.

Dann dieser Satz! Bundesinnenminister Friedrich ist überzeugt: Wer in einer Demokratie die Stimme erhebt, sollte das unter seinem weltlichen Namen tun, keinem Pseudonym. Anonyme Blogger hätten zur Radikalisierung des Attentäters von Norwegen geführt … Quelle: n-tv

Ich neige spontan zum zustimmenden Nicken. Dieses anonyme Alias-Unwesen hat nichts mit Demokratie zutun. Es geht hier um hochgradig gefährlichen Verbal-Anarchismus und dem nicht von der Hand zuweisenden Umstand, dass das was verbreitet wird oft zu unkritisch konsumiert wird. Und: Es durchzieht alle Lebensbereiche, ein virtuelles Rollenspiel so oft wie und wo man überall will.

Warum soll man in einer Demokratie nicht offen und unter Verwendung des Klarnamens die Wahrheit sagen können? Es gibt doch nur zwei mögliche Gründe: Entweder es ist keine Demokratie oder es ist nicht die Wahrheit! Den Gedankenansatz finde ich gut und plausibel. Im Tarnkappen-Modus, abgesichert mit einer kostenlosen E-Mail-Adresse von irgendwo am anderen Ende der Welt, kann ich die krudesten Gedanken weltweit publizieren, kann mich aufspielen, als hätte ich die Weisheit mit Löffeln gefressen. Unter dem eigenen Namen fehlt dazu fielen der Mut.

Alias-Kommunismus im Alleingang genügt nicht! Ich muss Gleichgesinnte ausfindig machen, mich sozial vernetzen. Alles virtuell, ganz frei und ohne jede Grenzen. Findet mich, mögt mich bei Facebook, addiert mich bei Google+ oder nehmt die Verfolgung bei Twitter auf. Erweitere aktiv wie passiv den Radius. Egal ob Dummheit, Wahrheit oder schnöder Kommerz: Freiheit ist der allererste Grundsatz, für alle und anonym. Wohltemperiert ergiesst sich die angerührte Suppe über unsere Erde, nährt so einen ganz neuen Geist, der das Wissen der Menschheit bewahrt und neu definiert!

“Ich bin Internet-Aktivist und freier Blog-Philosoph!”

Übersetzung: Ich hänge 24 Stunden am Tag vor dem Computer und habe zu Allem und Nichts eine Meinung. Warum soll eine solch herausragende Tätigkeit durch den Anonymisierungswahn nicht den Ruhm und die Ehre gebühren, der ihr in meinen Augen absolut zusteht? Warum sollen andere Datenstrom-Junkies nicht wissen, um wen es sich wirklich handelt? Wieso soll ich mein wahres Ich digital per Zweitnamen leugnen, wenn es keine analoge Möglichkeit dazu gibt? Also: Statt Alias verbreite deinen geistigen Dünnpfiff tapfer und wahrheitsfrei unter deinem echten Namen, du Held!

Warum neigt der Mensch immer zur Übertreibung, zum Leichtsinn, zur Schwarzweiß-Malerei? Wenn dies das geistige Erbe der Menschheit sein soll, dann wünsche ich mir, dass es keine Außerirdische gibt. Wenn doch, dann mögen die Aliens diese Parolen nie zu Gehör bekommen. Ich kann mich da einfach nur Fremdschämen!

Zeit für ein Outing: Ich bin ein Netzbeschmutzer! Mein Drang mich öffentlich zu produzieren führt dazu, jeden Tag ein Bildchen rauszuhauen und Texte zu posten, die eigentlich in den universellen Ausguss der schönen Mutter Erde gehören. Meine Fantasie kennt kaum eine Grenze. Andere Zeitgenossen sehen und lesen die Ergüsse, glauben vielleicht allen Ernstes daran. Na gut, in ein paar Sätzen steckt etwas Wahrheit, aber das auch nur im Promillebereich. Was mich an den Ausführungen des inneren Bundesminister sowie an den Reaktionen der Piraten beziehungsweise Sozialdemokraten stört, ist der propagandistische Missbrauch für die eigene Sache. Ich weiß: Das ist völlig normal und irgendwo auch legitim, ausgerechnet so zu argumentieren. Demokratie halt! Wenn aber der Form wegen immer auf einem Standpunkt mit dem Radius r = 0 beharrt wird, kommen wir nicht voran. Das wird jetzt schon seit Jahrzehnten so praktiziert und hat uns Mensch nicht wirklich weit gebracht.

Ich bin mir nicht zu schade und behaupte deshalb, dass ich nicht fähig und in der Lage bin, das Internet und seine Spielregeln zu verstehen. Meine Ratlosigkeit kennt keinen Grenzen, wenn der weltweite Netzkrieg ausgerufen wird. Das Töten von wehrlosen Bits und Bytes, nur weil es ein paar Eltern versäumt haben, dem pubertierenden Sprössling gelegentlich ein Ohr lang zuziehen. Oh, ich spüre bereits jetzt den gemeinen Wortschwall der Anti-Gewalt-Liga. Mit wehender Fahne schwinge ich mich auf die Barrikade und schreie es laut heraus: “Heroen! Zeigt mir eine Freiheit ohne Grenzen, ausgenommen unsere eigene Dummheit!” Kaum ist das letzte Ausrufezeichen ausgesprochen, mache ich mich schleunigst vom Acker. Für heute habe ich genug den Revoluzzer gemimt.

Eine E-Mail in doppelter Ausführung geht ein: “Wir vermissen Sie!”. Corel hat eine Weile nichts mehr von mir gehört und möchte mich mit 10% Rabatt auf ihre Top-Favoriten ködern. “Wir” vermisst nicht mich, sondern mein Geld. Wegen “Wir” lege ich mir keinen Windows-Rechner zu und Corel-Produkte habe ich auch nicht wirklich vermisst. Ich mache mir über die PR-Strategie von Corel echte Gedanken. Wäre es ein anonymes Angebot gewesen, hätte ich beide Nachrichten gleich dem Mülleimer-Icon übergeben.

Irgendwie beneide ich die Mitmenschen, die ihr Leben auch ohne einen Hauch Internet vollständig im Griff haben. Die keinen Like-, +1- oder Follow-Button zum glücklich sein brauchen. Die vielleicht gar nicht wissen, dass es so etwas wie ein zweites Leben gibt. Die ihre sozialen Kontakte ganz ordinär auf irgendeinen Platz im Zentrum eines Kuhkaffs pflegen. Die kein strahlungsarmes TFT-Retina-AdobeRGB-Display brauchen. Die einfach nur sie selbst sind. Beneidenswerte Kreaturen und ich muss jetzt umsteigen!

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.