oder: Wie ein Handgriff mein Leben ändern wird
Die besten Geschichten soll das Leben schreiben. Der Satz klingt verdammt positiv. Marschiert man bewusst durchs Leben, sieht nicht die Schuldfrage im Tun und Handeln der Anderen, dann relativiert sich dieser Positivismus. Unverklärt gesehen, scheint das Leben immer den Stinkefinger in der Hinterhand gehoben zu halten, um ihn blitzschnell im unpassendsten Moment zeigen zu können. Arrangiert man sich mit dieser Marotte, trifft einen der Tritt vor das Schienbein nicht ganz so überraschend. Es ist halt so, gehört zum Lauf des Lebens einfach dazu, irgendwo zwischen unserem Anfang und Ende.
Ende 2015 sorgt ein simpler Griff an den Hals für innere Aufruhr. Da ist etwas, was für mein Verständnis dort nicht hingehört. Noch nach Wochen ist es da, was mich dazu bewegt, den Arzt des Vertrauens aufzusuchen. Jetzt beginnt eine Prozedur, die viel von mir abverlangt: Geduld! Der deutsche Kassenpatient braucht so etwas. Lediglich der Umstand, dass die Verstärkung eines Praxisteams terminlich noch nicht voll ausgelastet ist, sorgt dafür, schneller als erwartet zur Audienz vorgelassen zu werden.
Nase rümpfen und konfuse Antworten deuten mir, dass irgendetwas im Busch ist. Eine Menge Papier wird bedruckt, andere Götter in Weiß sollen den Fall übernehmen. Der letzte Hinweis sagt alles: „Warten Sie nicht zulange!“. Ich handle, nahezu selbstgesteuert, was mich umgehend in die Mühlen der deutschen Bürokratie tappen lässt. Jeder bunte Schein hat seine Bedeutung, trägt er nicht die richtige Farbe und Aufschrift, habe ich ein Problem. Ich muss viele kleine Probleme lösen.
Ambulanter Einlass ins Krankenhaus. Ein wichtiger Schritt, eine Hürde, ein Meilenstein des Patienten. Die Zeit dazwischen beobachte ich mich derart intensiv, dass jedes Ziepen detektiert und gedanklich zur menschlichen Katastrophe hochstilisiert wird: Mein Tod wird der Kopf und nicht mein Körper sein! Vor ein paar Jahren habe ich für mich die Parole 75plus ausgegeben. Einfach so, ohne irgendeinen konkreten Grund: Man soll ja ein Ziel ins Auge fassen! Und jetzt kommt der Stinkefinger des Lebens, fuchtelt mir sich diebisch freuend vor der Nase herum, setzt zum Durchkreuzen meiner Planung an.
Heikles Thema Krankenhaus: Stätte der Verdammnis, Krankheitbekämpfungsfabrik. Der Eingewiesene muss Geduld haben, wofür man ihn in ein paar Quadratmeter liegend abstellt. Die Ärzteschaft spielt ihr Wissen aus, weshalb der Nichthypochonder ständig nachfragen muss. Visite im Sekundentakt. Ich kann nicht mehr folgen, verspüre nur den Wunsch, nicht länger als nötig hier zu sein. Dies bestimmt den Weißkitteln vermittelt, wandeln sie sich just in dem Moment zum Menschen! Einer pflichtet mir bei, es genauso wenig zu wollen, die andere zückt nach meinen Austritt aus dem Behandlungszimmer das Telefon und befragt den Oberarzt. Wo ich sonst Stunden hätte warten müssen, ist die Entscheidung in Minuten gefallen, halte den vorläufigen Arztbrief und die Aufenthaltsbescheinigung in meiner Hand. Trotz der Fabrik, dem Fließbandcharakter, menschelt es hier im Krankenhaus! Eine schöne Erfahrung.
Ein Verdacht mit erdrückender Tendenz. Ich muss mich der Tatsache stellen, wohl oder übel. Es sind Fakten, mehr und mehr belegt. Je eher ich mich damit abfinde, umso positiver kann ich mich dem Kommenden stellen. Ich vermeide Schlagworte, wie man sie mehrheitlich benutzt. Es bleibt bei den Dingern da im Hals, die irgendwie ausgetrieben werden müssen. Ich werde mich Jenen anvertrauen, die am Fließband stehen, weil sie – für mich – im entscheidenden Moment Menschen sind. Bis heute offen bleibt das Verschlagworten der Dinger und damit auch die Beantwortung der Frage, wie sie sich am besten vertreiben lassen. Und ganz düster gedacht- weil eben ein Fakt, scheitert das Ziel 75plus eben vorzeitig.
In dem bis hierhin geschilderten „Was bisher geschah“ entstanden diese eine Aufnahme, die ich in drei Variationen der Metastasia ausgearbeitet habe. Nichts war geplant, alles sind irgendwelche Versuche, getrieben von den zahllosen Gedanken in einer Zeit der Ungewissheit:
№ 0520 hat etwas naives, ähnlich meiner irren Annahme, dass die Dinger sich wohl von allein zurückziehen werden. № 0521 wird konkreter. Ja, sie sind da und weitaus mehr als in meinen kindlichen Gedanken überhaupt gedacht. № 0522 trägt die ganze Wut und Verzweiflung in mir. Zuerst landete das Machwerk in der Ecke. Tage später holte ich es wieder heraus und war von meiner Brutalität gegenüber einem Motiv und dem Fetzen PE-Papier erschrocken. Vielleicht wurde mir im Hinterkopf nun klar, dass es um etwas derart Ernstes geht, dass die Zeit des Schönredens vorbei ist und ich mich der unbestechlichen Tatsache, dem Fakt, stellen muss.
Update 04. Februar 2017
Fast ein Jahr ist es her, dass dieser Beitrag entstand. Und dann wieder verschwand. Nicht deswegen, weil über eine Krebserkrankung nicht geredet wird. Domainumzug, Namensänderung und in Bildern alles anders waren der wahre Grund.
Die ‚Dicken Dinger‘ haben sich als Hodgkin Lymphom herausgestellt. Wieder ab ins Krankenhaus und beginn der Chemotherapie: Das Hodgkin Lymphom soll die Rosine aus dem großen Scheißhaufen Krebs sein. Ein Professor räumt mir sehr sehr gute Chancen ein, erfolgreich therapiert zu werden.
Sieben Monate später, die Chemotherapie ist offiziell beendet und ein PET/CT findet keine aktiven Krebszellen. Nach Stunden des Verarbeitens bricht der Tränendamm, fällt eine unsichtbare Anspannung ab. Aber Achtung! Ich rede nicht davon den Krebs besiegt zu haben. Alles kann noch, nichts ist unendlich. Dichte Überwachung, regelmäßige Kontrolle und je länger man weiterhin nichts findet, kann man von einer ‚Heilung‘, die eher eine statistische Wahrscheinlichkeit ist, reden. Es liegt also noch ein weiter Weg vor mir.