Mit dem kannst du das machen

Vor einer Woche trudelt in der Nacht eine Anfrage in dem Stil ein, ob ich ein Motiv auf vier Abzügen habe oder darf ein Bild viermal reproduziert werden? Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, ich vertraue dem anfragenden Gegenüber. Auf die Frage, um welche Arbeit es sich handelt, bekomme zur Antwort, dass man sich noch nicht entschieden hat. Der gestrige Abend und es kommt die Nachricht, dass man eine schöne Nachricht für mich hat. Schön hasse ich gerade. Alles ist schön, wenn damit etwas Negatives verdeckt werden will.

Da das Telefonieren gerade nicht funktioniert, folgt eine Sprachnachricht. Kurz gefasst: In zwei Tagen Vernissage, acht Arbeiten von mir, man erwartet nicht dass ich acht Abzüge anfertige, wir nehmen was da ist und kopieren einfach. Vor einer Woche war von Reproduktion die Rede, morgen soll kopiert werden?! Ich fühle mich gerade wie ein Notnagel, weil auf die Schnelle nichts anderes greifbar ist. Warum war es vor einer Woche nicht möglich eine Entscheidung zu treffen? Sich festzulegen? Ich hätte bis heute Abzüge machen können, auch wenn es nach der Arbeit gewesen wäre. Ich verweigere mich dem Ansinnen und mache auf Künstler mit Bock. Besonders des Kopierens wegen.

Entscheidungen fällen. Mensch, was hast du für Probleme damit. Treffe ich dann die Entscheidung, ist das was ich mache auch nicht in Ordnung. Stattdessen soll ich mit auf Dauer unhaltbaren Scheinkompromissen leben müssen.

Am Sonntag überlege ich, meine Internetaktivitäten neu zu sortieren. Dabei möchte ich meine Pflege-Webseite aussortieren. Also kontaktiere ich den Besitzer und teile ihm meine Absicht mit. Helle Aufregung und ob ich keine Lust mehr habe sie zu pflegen. Also die Webseite. Kein Problem, mache ich ja, ist nur doof die Inhalte mir selbst zusammenzusammeln, weil keiner mir etwas sagt. Aber ich habe wenigstens brav die jährlich Domaingebühren bezahlt. Die Reaktion, absolut typisch: Man hat mich versucht zu kontaktieren, meine neue Nummer, man konnte mich nicht erreichen und und und. Moment! Als es mit dem Kontaktformular angeblich klemmte wusste er genau, wo und wie ich zu finden bin. Und eigentlich war es auch kein Fehler, nur eine Frage der falschen App-Bedienung. Aber egal. Wenn keine echten Probleme vorliegen, dann bin ich nicht auffindbar. Meine Mobilfunknummer ist nicht im Kontakt meiner beliebten Webseite oder für Freunde im Fratzenbuch sichtbar. Ein Argumentation die zeigt, welche Wertschätzung man mir entgegen bringt. Ich mache die Arbeit und dann ist gut.

Wir müssen telefonieren. Montag Nachmittag. Gegen Abend trudelt dann per Whatsapp die Nachricht ein, dass man den Telefontermin verpasst hat. Ich bin ja froh, dass derjenige meine neue Mobilfunknummer gefunden hat, die mittlerweile ein paar Jahre alt sein dürfte. War wohl nicht so schwer sie zu finden. Mit etwas mehr Liebe für die Sache ginge es auch schon viel früher. Man muss es nur wollen. Das Gespräch ist nun auf zwei Tage später verschoben und ich werde mich verweigern. Ich werde bockig, weil mir das zu blöd ist. Mir muss auf der Stirn stehen: „Mit dem kannst du das machen!“ Irgendwie wird mir meine anerzogene Engelsgeduld, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft als Schwäche ausgelegt. Bis zu einem gewissen Grad lasse ich die Dinge einfach laufen und geschehen. Werde ich zum Spielball, reisst mir dann der Geduldsfaden.

Es ist keine fünf Tage her und die COVID-Geschichte wiederholt sich. Diesmal steht eine junge Frau vor mir und flüstert mir ihr Leid. Zwar nur Kontakt zweiten Grades, ihr Mann ist als Schnittstelle zwischen Infizierten und ihr gestern getestet worden. Ich frage sie, warum sie hier ist, sich nicht per Mail mit derselben Begründung aus dem Verkehr nimmt solange nicht das Testergebnis ihres Mann vorliegt. Ausreden über Ausreden und alle drehen sich um das eigene Wohl. Irgendwie verständlich, doch ich erinnere die junge Dame, dass es da auch die Gruppe gibt. Im Fall, sie würde in der Folge auch positiv getestet werden, zieht man den Jahrgang aus dem Verkehr. Und das muss unter allen Umständen verhindert werden. Der Rückzug für ein paar Tage ist unkritisch, weil den wissbegierigen jungen Leuten aus dem gesamten pandemischen Chaos kein Nachteil entstehen darf. Wieder muss ich minutenlang diskutieren und argumentieren, dass die Abwesenheit und eine vorherige Meldung für alle Beteiligten der bessere Weg ist. Was fällt so schwer hier kurzentschlossen eine nachhaltige Entscheidung zu treffen? Wo ist das Problem, wenn garantiert keine Nachteile zu erwarten sind.

Die nächste Achterbahn. Diesmal der freie Fall. Ich mag es nicht Menschen ändern zu wollen. Das bringt nichts und führt nur dazu, das ein Beteiligter tot unglicklich ist. Entweder ich nehme den anderen so wie er ist oder ich lasse es bleiben. Mit der Zeit werden in mir die Zweifel immer größer. Es gibt Dinge und Wesenszüge, mit denen kann ich mich nicht oder nur sehr schwer arrangieren. Dazu kommen meine Eigenwilligkeiten. Doch was am meisten schmerzt ist der Umstand, dass die Kompromisse nie welche waren. An der Basis hat sich nichts geändert, es wurde nur ein bisschen neue Farbe aufgelegt und gut war. Eine Entscheidung war nicht möglich. Das verstehe ich, auf der anderen Seite kann man nicht alles haben. Wenn es im Gebälk der Achterbahn kracht, werden die zuckersüßen Watteworte herausgekramt und gut ist. So entwickelt sich alles zum Wohle eines Egotripps, während der andere mehr und mehr damit nicht klar kommt. Sanfte Warnhinweise werden ignoriert. Entscheidung nicht möglich, also entscheide ich. Es muss sein, diesmal als mein Egotripp, weil ich darin die Chance zurück zu ihrer Normalität sehe. In die passe ich nicht rein.

Meine Blase ist gerade zum Bersten angespannt und so hinterlasse ich eine Schleifspur durch den Scherbenhaufen. Dabei hat es nur an einfachen Dingen gefehlt. Mal über den eigenen Tellerrand schauen und fragen, was der andere dazu sagt. Sich mal etwas bemühen und suchen, oder andere fragen, ob sie beim Wiederfinden helfen können. Ein Blick über die Gesamtsituation werfen und eigene Interessen auch mal zurückstellen. Wirklich Taten statt Worte folgen lassen.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.