Rückblick, weil ja alle irgendwie zurückblicken

Das Jahr begann mit viel Hoffnung, der nur meine Ungeduld im Weg stand. Ab Februar vier Wochen Wiedereingliederung, ab März nach 10 Monaten Abwesenheit wieder vollwertig im Job zurück. 10 Monate Abstand hinterlassen ihre Spuren, schärfen das Ohr. Vieles wirkt für mich befremdlich, ich meine es wird wenig gefordert, zu schnell der Kopf in den Sand gesteckt, mangelnde Belastbarkeit und allein der gute Wille wie eine Großtat honoriert. Das erzeugt Aggressivität. Auf beiden Seiten.

Emotional könnte ich dazwischen gehen. Der Griff an die Ohren um selbige zur Bewusstseinserweiterung zu dehnen. Ich muss mich zügeln, kommen sonst zu viele Kompromissopfer auf meine Streichliste. Es ist meine Ungeduld. Zu schnell zu viel wollen, mir könnte Zeit verloren und ausgehen. Im April legt ‚Gandalf‘ meinen nächsten Besuchstermin auf das Ende des Jahres. Ich blicke ihn verdutzt an, laut Halbwissen Internet müsste ich alle Vierteljahr bei ihm aufschlagen. ‚Du kannst auch vorher vorbeikommen!‘. ‚Nein, nein. Es ist gut so.‘ Mein letzter Besuch viel mehr schwer. Der Geruch der Praxis erzeugt Übelkeit, ein so noch nie dagewesenes Unwohlsein. Also dann bis November 2017.

Kreativ befinde ich mich Anfangs in einer Blockade. Es geht soweit, dass ich das Schreiben für die PhotoKlassik aufgebe. Kein schwerer Entschluss, denn ohnehin hat mich deren Umgang mit den modernen Sklaven – Autoren genannt – mächtig gewurmt. So ist nach der Chemotherapie mein Comeback mit dem Porträt der Ausnahmekünstlerin Anna Malina auch mein Abschied. Was für eine Dramatik. Der PhotoKlassik ging meine Entscheidung am Arsch vorbei: Es gibt genug Sklaven, die die paar ranzigen Krumen dankbar fressen. Und dem Leser interessiert es sowieso nicht. Wenigstens gab es für die Macher eine Watschen: Per Kickstarter hat man zahlende Deppen für eine internationale Ausgabe gesucht. Das Finanzierungsziel von 150 TEuro hat man mit gesammelten 7208 Euro deutlich verfehlt. Manchmal ist das Leben doch gerecht und rammelt diesen Größenwahnsinnigen schmerzhaft den dicken Daumen in die Gesäßöffnung!

Meine kreative Schlauchphase überwinde ich damit, alte Arbeiten neu zu interpretieren. In meiner gefühlten Gefühlskälte ist das ein Lichtblick. Ich komme langsam voran, probiere neues wie das ‚Differenzkorn‘ aus und gewinne so langsam Lust etwas auszuprobieren. So greife ich auch auf Probeabzüge zurück, spiele mit Collagen und lerne mir Zeit zu lassen. Genau das ist mein Problem. Ich weiß nicht, wieviel Zeit mir bleibt. Was das Zeitinvestment Chemotherapie an mehr Lebenszeit herausgeschunden hat. Nur nutzt es nichts jetzt und hier schnell schnell zu machen. Dann lieber ein Ende in dem Gedanken, dass ich noch so viel schaffen wollte.

(M)Ein Engel entfernt sich von mir. Schade drum. Mehr möchte ich nicht dazu sagen.

Der Griff geht wieder öfter zur Kamera. Was bin ich froh. Das Sujet: Friedhöfe. Vor allem der Jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee. Alte Heimat. Und als ob es Zufälle wirklich gibt, meldet sich eine Bekanntschaft, ehemals Wohnnachbarn bei mir. Kurzer Kontakt, nette Intension und dann doch flüchtig wie so oft im Leben des Kunstfotografen. Dafür erweist sich ein anderer Kontakt als so etwas wie ein fotografischer Glücksgriff. Auch wenn es mir schwer fällt das Nachfolgende gar schriftlich niederzulegen: Das Leben kann schön sein. Muss aber nicht.

Das Aussortieren der Zeitdiebe ging übers Jahr weiter, wenn auch nicht mit der Entschlossenheit wie am Anfang. Es ist schon traurig zu sehen, dass sich selbst unter den Langzeitüberlebende Zeitdiebe tummeln. Sie müssten doch eigentlich dazugelernt haben und kein Interesse daran besitzen, ein wertvolles Gut zu verschwenden. Alte Bekannte tauchen wieder auf, kurzer Smalltalk und dann verschwinden sie wieder in ihre Leere. Da bleibt mir nur die Einsicht: Es ist nicht mehr unsere Zeit, es fehlen unsere Gemeinsamkeiten. Es wird über mein Verhäkeln von Wort und Bild gemotzt, ich wasche meine Hände dahingehend in Unschuld aus Instinkt gehandelt zu haben. Mit mehr Schmalz im Hirn läge der ‚Kritik‘ der Gedanke nun nahme, dass das eigene Verhalten, die eigene Erfahrung und das Selbsterlebte als Bauchgefühl Einzug in die Arbeit haben muss. Aber sei es drum, die Unendlichkeit der Dummheit des Menschen eben. Dann ist am Ende diese eine Hoffnung den erneuten Tod gestorben.

Mit einer gewissen Schadenfreude habe ich den Untergang des ‚renomiertesten‘ Braunschweiger Fotoversand-Imperiums zur Kenntnis genommen. Mit Tränen in den Augen, versteht sich. Vor Lachen, um ehrlich zu sein. War man doch dort mit dem Mund recht flott und wurde mir aus mehr als kompetenten Mund mangelnder Intellekt bescheinigt.

Das lautstarke Tamtam des Paargespanns in den sozialen Medien konnte nicht übertünchen, dass sich die Helden aus Leidenschaft mehr und mehr Unfreunde machten: Es war dieser Mix aus ’selbst nicht besser‘ und ‚wer im Glashaus sitzt und so weiter‘. Weil man woanders keine Ware mehr bekam, wurde man selbst zum Überalchemisten. Natürlich erfand man das Rad neu, dass runde eckige Rad versteht sich und die Vasallen bejubelten den Heldenmut. Wie gesagt, wer nicht in die Jubelhymnen der Macher mit einstimmte, der war intelektuelle unterbelichtet. Eben so wie ich. Solch menschliches Fehlverhalten ist heute in der großen Weltpolitik die vielgelobte ‚alternative Wahrheit‘.

Zurück zum Ex-Fotodealer meines Vertrauens: Man ging in Insolvenz (Google sei Dank lässt sich das nachzulesen), schob den Jüngstens als Chemiegenie auf den Thron des Nachfolgers, kläckerte nicht und eröffnete einen Gemischtwarenladen im Zentrum der Mega-Provinzstadt. Der Großenwahn rächte sich: Laden weg (natürlich hat – laut Facebook-Post – der Vermieter Schuld), dann Webseite weg und ein knappes Tschüß auf Facebook.

Lästern ist so Scheiße und ich schäme mich – vielleicht – dafür. Doch wer mit beiden Beinen so neben am Leben steht und nicht zum ersten Mal eine Pleite hinlegt, darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Fehler sind dazu da gemacht zu werden. Doch wer nichts daraus lernt, sie immer wieder neu begeht oder gar nicht mitbekommt, dass er selbst der Fehler ist, da kann ich mir einen fetten Feixer nicht verkneifen.

Willkommen in der Olympischen Ritter Sport-Gemeinschaft. Quadratisch, praktisch gut bei höher, schneller, weiter. Ich sehe elitäre Künstlerkolonien, denen der Wettbewerb um das technisch Machbare über die Kunst im Bild geht. Zugang nur mit Einladung, Wettbewerbssiege als Visitenkarte. Je mehr vorzuweisen sind, je mehr Goldrand und Lorbeer abgedruckt, umso weiter öffnen sich die Tore der perfekten Hölle. Ein guter Fotograf ist, der diesen Beruf erlernt, feststellt ihn nur mit Verstand statt mit Herz und Geduld auszuüben und deshalb den erlernten Beruf an den Nagel hängt. Ehrlicher kann man nicht sein. Realität technisch perfekt abzubilden, dafür braucht es heute kaum noch Handwerk. Das erledigt die Technik und eine App von selbst. Ein Bild vom Moment bis zum analogen Handgut durchdacht, darin liegt eine Kunst. Dazwischen kann und muss heute Digital sein. Doch wir Menschen leben davon, etwas anfassen zu können, berühren zu dürfen. Das macht Spaß, befriedigt auch in einer gewissen Weise.

2017 war mein Kampf zurück ins Leben. Neben dem realen Mensch einer funktionierenden Arbeitswelt gibt es da den Freigeist, der wie ein neunmal kluges Balg gerne mit bildgebenden Techniken jongliert. Und es musste dieser ‚Lichtbildprophet‘ her, um ein verbales Ventil wider dem Gehabe und allerlei ‚Orden um Nichts‘ lautstark betätigen zu dürfen. Was sich alles beliebt, bekannt und von ausgezeichneter Qualität um mich tummelt sind überwiegend kurzlebige Langweiler. Es ist ein Pseudo-Getue als wäre da etwas Großes am Kochen. Oh nein, ich jammere nicht. Das ist nur Seufzen, mehr nicht. Denn wenn von euch Heroen wieder irgendetwas Geniales geschaffen wird, was die Welt bisher unter anderem Vornamen schon zig mal gesehen hat und nicht braucht, dann bringe ich gerne die Geduld auf, euren Niedergang mitzuerleben. 2017 sind abgestürzte Erfolgsstories aufgelaufen, echte Schenkelklopfer, das berühmte Tamtam um Nichts.

Mit jeder Woche Geduld kommt mehr und mehr in mir zurück. Ich glaube die Zeit danach, nach Diagnose und Therapie, ist schwerer als das davor. Der bewusste Fingerzeig der Endlichkeit setzt viele Gedanken und vor allem Ängste frei. Das blockiert. Leider. Doch es darf – für mich als Mensch und Individualist – nicht geschehen. Und so kaufe ich mir sogar eine Kamera. Eigentlich ein unnötiger Luxus, aber ich tue es. Ich möchte mir den spielerisch-kindlichen Aspekt meiner Kunst bewahren, möchte ihn mir zurückholen. Das muss sein. Denn je ernsthafter ich über alles nachgedacht habe, um so schwieriger wurde für mich die Situation. Aus der selbstgeschaufelten Grube musste ich mich in den zurückliegenden Monaten selbst befreien. Ohne Heerscharen psychologisch geschulter Mitmenschen in Weiß. Nur aus meinem eigenen Antrieb heraus.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.