Spaziergang in einem Albtraum

Die letzten Tage waren wettermäßig so schön, dass ich trotz weniger Grad über Null allein zur inneren Erbauung losziehe und die Lomo mit einem uralt Svema Foto 250 ausführe. Im Vorfeld finde ich wenig bis gar nichts zum Entwickeln dieses Films aus dem Jahre 1989. Standardsuppe. Was ist Standardsuppe? Auch ein fotografiebegeisterter Kollege haut mir den Begriff „Standardsuppe“ verbal um die Ohren. Ich gebe mir keine Blöße und mime gerne den Unwissenden: „Was für eine Standardsuppe? Ich kenne keine Standardsuppe.“ Die Antwort bleibt mir mein Gegenüber schuldig. Wer ist der Unwissende von uns beiden?

Mein Standard sind 1 + 25 Rodinal und der MakkerRony-Move. Aber außer mir wird Letztgenannter keiner kennen und doch ist es Standard, mein Standard. Und ich bin eine beachtenswerte individuelle Persönlichkeit, die es nach Gutmenschrecht bis zum Sankt Nimmerleinstag zu pampern gilt.

Ich versuche aus den Werten zum Svema Foto 100 und 400 eine Linie zum 250 zu ziehen. Da die Lomo LCA ohnehin nur eine Empfindlichkeitseinstellung in ganzen Schritten erlaubt, wird der Svema Foto 250 als EI 200 belichtet. Eine etwas längere Belichtung sollte wenigstens zu einem Teil alterungsbedingte Schwächeerscheinungen kompensieren. Den Rest muss die Entwicklung bringen. Nur welche Zeit? Auf der Packung stehen 9 Minuten Entwicklungszeit, das kriege ich mit meinen Russischkenntnissen noch hin. Nur welcher Entwickler ist gemeint? Bestimmt eine Standardsuppe, die sich mir nicht erschließt.

Eine Entscheidung muss her. Ich nehme 7 Minuten im 1 + 25 Rodinal-Ansatz. Ein paar Minuten später und ich weiss, es hätten zwei bis drei Minuten mehr sein können. Also doch neun Minuten und ist vielleicht Rodinal 1 + 20 so etwas wie die Standardsuppe des Ostblocks? Jedenfalls finde ich diesen Ansatz in den alten DDR-Fotofachbücher wieder. Wie weiter mit dem dünnen Negativ. Negativ chemisch verstärken. Allein, dass ich negativ schreibe, sorgt für einen kalten Schauer in mir. Es durchzieht meinen Körper wie ein Schwall Pollen, die in irgendeiner Nase ein neues Zuhause suchen. Negativ ist bei mir gerade negativ besetzt. Ich möchte handfest Positives lesen und hören.

Mein erster Gedanke ist mit Selen als Verstärker in einem stärkenden Tonungsbad zu arbeiten. Nachdem die Entwicklung mit dem Fixieren abgeschlossen ist, kann ich nur mit dem Silber im Filmstreifen arbeiten, das in der Emulsion vorhanden ist. Durch das Negativ geschaut ist das Sujet erkennbar, nur nicht kräftig genug ausgebaut und das Kräftigen soll der Selentoner übernehmen. Und da ist der gern von mir benutzte Leitsatz: Was im Positiv funktioniert, funktioniert auch im Negativ, nur in anderen Dimensionen. Bevor es ins chemische Badebecken geht, versuche ich mein Glück mit Abzügen. Im Selbstbau-Vergrößerer, versteht sich. Es genügen drei Sekunden, wo ich sonst um die zwanzig Sekunden belichte. Das Lith-Bad ist auch nicht taufrisch und wird durch ein wärmendes Wasserbad am entwickeln gehalten. Heraus kommt ein Bildausdruck, der mich an den Piktorialismus erinnert. Eine Wanderung, ein Spaziergang in einem Albtraum, was nicht auf den Ort, den jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee bezogen ist. Es ist einfach die Stimmung, ohne jene Übertreibung, wie sie heute zuhauf in digitalen Effektorgien hervorgebracht werden. Sollte ich die Negative so lassen und meinen Gedanken an ein Selenbad begraben? Allein dieses Bildausdrucks wegen?

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.

4 Gedanken zu „Spaziergang in einem Albtraum“

  1. @ ZweifelnHochZwei: Mhh … ich schau mal. Erst versuche ich es weiter wie bisher und wenn es mir zu albern wird, darf der Selentoner ran. Viel zur Stimmung trägt mein Selbstbau-Belichter bei 🤓

  2. Ich würde die Negative erstmal so lassen, denn die Stimmung ist echt der Hammer👍🏻.
    Das Selenbad rennt nicht weg, du kannst es immer tun,wenn du möchtest, aber allein schon wegen dieser tollen Stimmung würde ich erstmal noch warten und einige Abzüge machen und dann entscheiden.😉

Kommentare sind geschlossen.