Stellvertretend

Gedanken zu einem Lichtbild

Wo soll ich anfangen?

Ich sehe den Abzug in der Schale und denke so bei mir: „Das sind wir!“
Tage später. Es liegen die letzten Abzüge eines Shootings mit zwei Modellen im Wasserbad und da ist wieder so ein Abzug, wo ich mir sage, dass das wir sind. Nur eben von zwei Frauen in Szene gesetzt. Stellvertretend für uns. Dem Alter nach Mutter und Tochter. Wie ist es, wenn Frau und Mann nicht Geliebte und Geliebter, sondern dem Alter nach auch Vater und Tochter sein könnten?

Flapsig habe ich vor Jahrzehnten gesagt, dass die Angetraute mit vierzig Lebensjahren gegen zwei Zwanzigjährige ausgetauscht wird. Irgendwann war mir der Gedanke dann doch zu viel. Jede der beiden möchte ihre Aufmerksamkeit, die der anderen zugebilligt wird. Das wird kompliziert und kompliziert mag ich nicht. Gerade im Leben. Folglich wurde der Gedanke Frauentausch begraben. Doch wenn es im Leben geschieht, was dann? Ich gehe mal lieber von einer jungen Geliebten aus, weil ich befürchte, dass es nicht weniger kompliziert sein würde. Denn wohl möglich sind beide irgendwie liiert und die Liebe zum eigentlichen Lebenspartner vielleicht gar ungebrochen? Ich denke gerade zu viel und plustere vielleicht eine simple Affäre zur Polyamorie auf. Es ist doch vollkommen klar: Ein Geliebter, der der Vater sein kann, da stimmt etwas nicht. Sie hat einen Vaterkomplex. Oder sie hält sich einen Sugardaddy, der sie als Gegenleistung für ihre Dienste materiell aushält. Bliebe für die Allgemeinheit zur Argumentation gegen diese scheinbare Abnormität noch die Midlife-Crisis des älteren Herren.

Auf der Suche nach einer Antwort lese ich, dass junge Frauen nichts von einem älteren Mann haben. Es besteht die grausame Gefahr, dass die junge Frau ihren alten Lebenspartner recht bald pflegen muss. Außerdem wird sie früher Witwe als mit einem annähernd gleichaltrigen Mann. Klingt ungemein logisch und ziemlich egoistisch. In meiner altmodischen Weltanschauung gehe ich einfach mal davon aus, dass ich eine Beziehung – egal mit wem – aus Liebe eingehe.

An den Altersunterschied habe ich anfänglich nie gedacht und doch waren einige Gedanken präsent. Was gibt mir menschlich eine Geliebte, eine deutlich jüngere Geliebte? Ich frage mich aber auch, was ich ihr geben kann. Es soll keine Einbahnstrasse sein, eben kein Sugar-Midlife-Dingens. Und ja, mein Verfallsdatum läuft deutlich früher ab als ihres. Kann unter diesem Vorzeichen eine dauerhafte Liebe entstehen, zumal mir „Sauron“ bereits die Endlichkeit des eigenen Lebens aufgezeigt hat. Was ist dann? Tag X. Wie geht ihr Leben weiter, ohne dass sie auf ewig todunglücklich ist? Es ist schwer zu erkennen, dass eine Ende auch ein Anfang sein kann. Und sie leidet, das weiß ich, bei jedem kleinen und großen Ende.

Es ist für mich schwer zu verstehen, dass sich eine junge Frau in einen Mann verlieben kann, der zumindest dem Alter nach ihr Vater sein könnte. Was macht diesen Mann attraktiv? Ich glaube nicht, dass sich allein der grauen Haare wegen ein Frauenherz in ein Liebesabenteuer stürzt. Es muss mehr sein. Liebe. Klar. Keine Abhängigkeit voneinander. Jeder für sich stark und selbstbewusst ohne zerstörerisch zu sein. Da ist das Gefühl der Verbundenheit, der Wunsch nach Nähe und füreinander da zu sein. Nur, wie fühlt es sich an, wenn meine Blase einen direkten emotionalen Bezug nicht zulässt? Von früher kenne ich Schmetterlinge im Bauch und das Herzklopfen. Ich glaube fast, heute würde ich nicht mehr erkennen, stünde eine neue Liebe vor mir. Es sei denn, wir kennen uns aus der Zeit vor der Chemotherapie und es sind irgendwelche Gefühle in mir für sie überliefert.

Mir fällt eine Szene ein.
Sie ist einige Jahre her.

Mit der Kamera bewaffnet war ich im Berliner Zoo unterwegs. Auf einer breiten Säule saß ein Paar, sie deutlich jünger als er. Beide zeigten ihre Liebe, ohne dass das, was sie taten, unanständig oder obszön war. All die anderen „normalen“ Paare, die gaffend daran vorbeizogen, hätten sich eher ein Beispiel nehmen sollen. Es war eine schöne liebevolle und einander zugewandte Szene. Nur fehlte mir der Mut, beide in Bildern festzuhalten. Jetzt habe ich diese Bilder. Zwei Frauen, dem Alter nach möglicherweise Mutter und Tochter. Stellvertretend. Symbolisch. Mann, Frau und eine Liebe. Und irgendwie lassen mich diese Gedanken nicht los. Weil es einfach nicht so einfach ist.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.

3 Gedanken zu „Stellvertretend“

  1. @ Lichtbildprophet: Ich hab zwar keine Erfahrung damit, aber das denke ich auch. Ich stelle mir das manchmal nicht einfach vor, aber mit Respekt und Verständnis und aufeinander zugehen und vor allem Liebe, schafft man auch solche Hürden denke ich.

  2. @ Lichtbildperle: Danke 🤓 Entscheidend ist, wie man miteinander umgeht, wie man gemeinsam die Stärken und Schwächen des jeweiligen Alters in die Beziehung einbringt.

  3. Ein interessanter Beitrag. Unabhängig davon, ob du in dieser Situation steckst oder nicht, regt dieses Thema zum Nachdenken an, ich frage mich warum für viele Menschen der Altersunterschied so eine große Rolle spielt … ich sehe oft Paare mit einem gewissen Altersunterschied und sie sehen glücklich aus, was mich für sie freut und auch zu sehen, dass es sie nicht schert was die anderen denken.
    Schön geschrieben🥰

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