Ich stöbere durch Taschen’s Neuerscheinungen: Laurent Benaïm. Dian Hanson Worte über ihn lesen sich interessant. Phasenweise fühle ich mich an meine Langweile erinnert, werde ich mit dem modernen hdr-infizierten Fotorealismus konfrontiert. Ich kann damit nichts anfangen. Diese Klarheit auf der einen, die Scheineffekte auf der anderen Seite sind wie Schmirgelpapier an meine visuellen Rezeptoren. Vielleicht hat der weiße black out, die gelegentlich auftretende Helligkeitsstörung während der Chemo, zum Sichtwechsel beigetragen. Ich bestürme jedenfalls Amazon und ordere Hanson’s Buch ‚Laurent Benaïm‘ vor.
Muse-Stunde: ‚Schau doch mal, ob dieser Benaïm eine Webseite hat‘ spreche ich zu mir. Ausnahmsweise. Gesagt, getan. Im Interesse des Taschen Verlag’s hätte ich es nicht tun sollen. Denn nachdem ich die 32 Galerie-Seiten durchblätterte, wollte ich das Buch nicht mehr. Es war mir zu viel Fotorealismus, zuviel der Effekthascherei. Ich bekomme in seiner Bildsprache vorgekaut, was ich zu sehen habe. Meine Fantasie ist während der Reise durch Benaïm’s erotische Welt eingeschlafen. Ich fühle mich bedrängt, als müsste ich mich mit jedem seiner Modelle öffentlich verpaaren. Wenigstens ist meine Fantasie nicht ins Koma gefallen oder gar verstorben. Was für ein Glück.
Oh, das klingt im Ohr des Gutmenschen wie dissen. Schließlich ist ein emotionales ‚… kotzt mich an‘ in Gutmensch’s Pussywelt böses beleidigen. Oder ich bin nur neidisch auf den Erfolg Laurent Benaïm’s. Er darf einen Bildband bei Taschen veröffentlichen, hat ein großes schmuckes Atelier und kann die Leute beim Rammeln fotografieren.
Sorry, so ist es leider nicht.
Sehe ich seine Arbeiten in der Concorde Art Gallery. Hier fühle ich mich schon etwas wohler. In Summe ist mir immer noch zu viel realer Schwanz und Muschi zu sehen. Diese Teile mehr oder minder im Nebel des Unscharfen untergehend, meine Euphorie für Laurent Benaïm würde keine Grenzen kennen. Es wäre ähnlich der Entdeckung der Arbeiten Miroslav Tichý. Das semiprofessionelle Urteil wird mir als fotografischer Dilettant und Autodidakt doch zugestanden sein, denke ich. Vielleicht tue ich Laurent Benaïm, Dian Hanson und dem Taschen Verlag unrecht. Nur was ich über den Inhalt des Buches sehen kann und was mir Laurent Benaïm auf seiner Webseite zeigt, überzeugt mich nicht, 40 Euronen auszugeben. Trotz aller Liebe zu Bildbänden, insbesondere erotische Bildbände.
Verträgt unsere Gesellschaft überhaupt noch Verlierer oder Zweifel an irgendetwas? Menschen lassen sich auf ein Spiel ein: Sie gehen in eine Model-Singsang-Kuppel-Show. Auch wenn sie vielleicht nicht gewinnen, es soll DER Karriereschub werden. Also wird mit allen Mitteln dafür gesorgt, dass der Schein des rechten Lichtes immer auf die scheinbar größte Leuchte auf der Torte Massenmedium zeigt. Wenn das – wie nicht anders zu erwarten – einfach zu naiv gedacht ist, beginnt die Opferphase: Die ganze Welt kann das unerkannte Genie nicht leiden, neidet den Erfolg und Mann/Frau/Etwas fühlt sich so gemobbt. In meinem Kopf schrillen Alarmglocken: Moment mal, du wolltest da mitmachen. Du konntest in den Vorgängerstaffeln sehen, was dich in etwa erwartet. Und nur weil deine Family dich für ein Mega-Talent hält, bist du noch lange nicht talentiert. Mutterliebe ist die Heimstatt der rosaroten Brille.
Dieses Verhaltensmuster begegnet mir tagtäglich im realen Leben. Große Klappe voran und voller Euphorie wird etwas begonnen. Dann wird bemerkt, dass etwas dafür getan werden muss. Ein Erfolg stellt sich nicht – wie doof – aus dem Stand ein und schwupp sind alle anderen Schuld, ist man urplötzlich DAS Mobbing- oder gar Missbrauchs-Opfer.
Sarkasmus-Modus an
In dem Wahn, dass Motivation sich nur durch Erfolg definiert und einstellen kann, gibt es kein Versagen. Denn der, der gescheitert ist, der hat sich zumindest bemüht. Und das ist doch ein feiernswerter Erfolg.
Sarkasmus-Modus aus
Ich mag so etwas nicht glauben. Misserfolg, Verlust, Versagen, die Niederlage – all das trägt zur persönlichen Erfahrung des Menschen bei. Sie prägt das Leben und bildet die Grundlage für das weitere Leben. Woher kommt denn wohl meine Altersgelassenheit? Nicht weil ich so nett und ein Berliner bin! Ich räume den Unwissenden ein, dass sie irgendwie auf den Pfad der Erkenntnis kommen müssen. Ganz von selbst, durch Erfolg und Misserfolg. Und erst wenn dieser Punkt erreicht ist, dann macht es Sinn weiterzugehen. Deswegen bleibe ich aber nicht stehen. Das erhöht allerdings die Gefahr, dass sich nahe stehende Bindungen über das ‚Auseinanderleben‘ lösen. Ich mache nicht mehr jeden Blödsinn mit, das ist für mich Lebenszeitverschwendung.
Zurück zu Laurent Benaïm. Ich sollte festhalten, dass ich keine Tantiemen für seine Erwähnung oder die Nennung des Verlags beziehungsweise des Buches bekomme. Was ich schreibe tue ich freiwillig und aus eigenem Antrieb. Immerhin sind 40 Euro für ein Buch 80 Deutschmark!
Die Superhändler – RTL’s Antwort auf Horst Lichter, dem Verbal-Vater des Depressionismus. In der RTLschen Interpretation eines Erfolgsformates ist auch ein gewisser Antoine Richard vertreten. Er ist einer der gewissen Superhändler, was auch immer Superhändler sind. Aber RTL kann auch ‚übelst‘, wie einst Göbbels schon ‚totaler‘ konnte. In einer der Supersendung sagt Superhändler Antoine Richard, dass er nichts mit Realismus anfangen kann, dass Realismus nicht seine Fantasie beflügelt. Die Aussage bauchpinselt mein geschundenes Künstlerherz.
Sicherlich ist Antoine Richard’s Aussage nicht mit meiner Realismus-Abneigung gleichzusetzen, aber allein der Gedankengang – der Weg sozusagen – ist da. Immer wieder begegnen mir Gedankenkorsett’s, geht es um die Kreativität. Dieser Starre der politischen Mitte mit einem ideologischen Radius gleich Null darf sich nicht in der Kunst widerspiegeln. Die Gedanken sollen und dürfen frei sein. Und Realismus hat dabei nichts zu suchen. Realismus ist – für mich – etwas für faule und bequeme Zeitgenossen, für Smombies und digital natives.
Nur wie komme ich auf diesen trichter? Meine Classics Digital zeigen doch, dass ich unendlich scharf und digital auch richtig toll fand. Es war ein schleichender Prozess. Irgendwann war das Scharfe, die harte Kante und das gepimpte Digitale langweilig. Es fiel mir schwer, im Digitalen irgendwie weiche Übergänge zu erzeugen, die meinem ‚Sehverhalten‘ entsprechen. Das war mit rechner- und kameragestützten Mitteln fast nicht möglich. Immer funkt die Berechnung der Bildpunkte dazwischen. Ihr Ziel ist es scharfe, farblich und im Kontrast überzogene Bilder zu generieren. Digitalkameras sind wie Photoshop Elements Effektfilter: Die pure Übertreibung. Außerdem hat die digitale Welt das große Manko, dass sie keine Zufälle kennt. Das ist sehr schade. Der armselige Homo digitalis funktioniert, weil die Maschine es so will. Und was die Maschine nicht kennt, das gibt es nicht.
Aus meiner Röhre blickend sehe ich nur Gewinner. Jeder hat den anderen, der unterlegen und im Fall der Fälle an allem Schuld ist. Wir feiern das Nichts und glauben an den, der in der Suche als Erster erscheint. Ich gebe keine 40 Euro für ein Buch aus, in dass ich nicht blättern darf. Um einen Fehlkauf und der Langeweile vorzubeugen. Statt ‚Bares für Rares‘ müssen wir übelst superhandeln, weil den RTL-Machern nichts besseres eingefallen ist. Und Lernen und das Leben allgemein ist so anstrengend. Wie die Kunst. Da muss man was tun und das geht gar nicht. Bei dem Lichterglanz, der mich umgibt, erkläre ich mich gern zum Loser: Ich tausche Bilder, gebe sogar gern zwei Arbeiten und stelle fest, dass es eine Einbahnstraße ist. Weil … ich habe keine Ahnung warum.