Zwei mal drei Traktat – Bildgestaltung *

* Der Bildungsfotograf schreibt Essays, die – Gott sei Dank – keiner wissenschaftlichen Methodik unterliegen müssen. Es stellt sich eine sonderbare Parallelität zu seinem technischen Halbwissen ein, auf der es sich – zumindest für das eigene Ego – intellektuell anspruchsvoll agieren lässt. Den Anfang meines verbalen Niveaulimbos macht ein Traktat loser wie auch wirrer Gedanken zur Bildgestaltung.

1 mal 1
Der Sinn der Mehrzahl vieler Fotografien liegt allein darin, die Reproduktion dessen zu sein, was dem Betrachter ohnehin bekannt beziehungsweise bewusst ist. Unterstützt vom hohen technischen Aufwand moderner Kameras und der Automatisierung des Belichtungsprozesses liegt der Schluss nahe, dass die Reproduktion sich einem objektivem Perfektionsgrad nähert, der keinen individuellen Einfluss auf das Ergebnis erkennen lässt. Der Mensch verkommt zum Auslöser des Reproduktionsmoments, das Ergebnis ist unabhängig von seiner Leistung.

1 mal 2
In gewisser Weise hat die reine Reproduktion durchaus ihre Daseinsberechtigung. Im Glauben an die Technik und Automation des Belichtungsprozesses werden jene Fehler begangen, die das sklavische Vorgehen des Menschen belegen. Mag er sich am Anfang über den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und der abgebildeten Wahrheit wundern, in der Schwierigkeit die technisch perfekte Reproduktion ingenieurwissenschaftlich zu verstehen entwickelt er jene Ablehnung, die sehr schnell in ein blindes Vertrauen an die Technologie mündet.

1 mal 3
Aus den bisherigen Ausführungen lassen sich hinreichend Ansätze der notorischen Langeweile und ausgeprägten Sterilität ableiten. Beispiele finden sich überall dort, wo sich „Fotografen“ versammeln und ihre Werke im obligatorischen Schwanzlängenvergleich präsentieren. Selbst jene Heroen, die sich von der Masse des unerträglichen Durchschnitts abheben bestechen durch ihr unsagbares Können, eine gewisse Reproduktionsvariation derart exzessiv zu praktizieren, dass die eigentliche Innovation durch stete Wiederholung Langeweile erzeugt. Denn das Merkmal der modernen, am technischen Stand orientierten Fotografie ist die Perfektion der Langeweile!

2 mal 1
Ausgehend vom hohen Niveau der Lichtbild schaffenden Reproduktionstechnik sind sich die Hersteller und Anbieter dieser Technik beziehungsweise Technologie durchaus bewusst, im Sinne der menschlich-künstlerischen Kreativität kontraproduktiv zu agieren. Folglich werden Prozedere programmiert, die eine Verbindung zu althergebrachten Techniken und Methoden herstellen sollen. Die Skrupellosigkeit geht soweit, dass innerhalb eines Systems Perfektionsmechanismen eingeführt und diese sich durch den Anwender oder Automaten wieder aushebeln lassen. Alle digitalen Vintage- und Retro-Effekte beruhen nach diesem Prinzip.

2 mal 2
Während die sogenannte Natur Millionen Jahre benötigt hat, die Erde in heutigen Zustand zu versetzen, ist der selbstherrlich agierende Mensch der Meinung, mittels Programmzeilen eine heile Welt zu schaffen, die kaum einer menschlichen Anstrengung bedarf. Im Vordergrund seines Handelns steht der Spaßfaktor, folglich die programmierte Bequemlichkeit. Sich dem Mühen, sich Fordern oder gar zu einem Ziel hinzu quälen, darf im Sinne einer abzulehnenden Erfolglosigkeit nicht ansatzweise Gegenstand jeder Überlegung sein. Allein die Tatsache Interesse an Irgendetwas bekundet oder gar gezeigt zu haben erzwingt einen sofortigen Erfolgsbonus, einschließlich der bekannten Belohnungsrituale in sozialen Netzwerken.

2 mal 3
Ein letzter, der sechste Abschnitt. Sie sind hinreichend zu finden, die Rebellen, Querdenker und Teilzeitrevolutionäre. Mit dem schnellen Wort voran, bedienen sie sich derselben Waffen ihrer Gegner. Es ist ein einfacher und bequemer Krieg um die Bildgestaltung. Ich meine: Akzeptiert und lebt zunächst einmal das Unmögliche, das Endliche. Erst daraus entstehen Gedanken und Visionen um das Schöne, das ewig Lebende, welches wir als Ideal nacheifern. Wir sollen unsere Götzen haben dürfen, nur nicht um dem Preis des geringsten Widerstands. In dem Sinne sind mir die fotografischen Technokraten näher – Meiner eigenen Bequemlichkeit wegen!

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.