027_2016

no 0538

Nr. 0538
Unikat: Bei Kaufinteresse Größe und Medium bitte erfragen
Druck : Größe: 30 x 40cm, Hahnemühle Photo Rag
(c) 2016 Lichtbildprophet

Wa(h)re Mauer überwinden
Es ist wohl fast zehn Jahre her: Ich bat eine – damalig – befreundete Malerin statt meiner die Rede zu einer Ausstellungseröffnung zu halten. Eine Galerie in Berlin-Pankow, primär der Malerei zugetan, hatte mich eingeladen. Bis heute ist die Größe dieser Ausstellung unerreicht. In diesem Kontext meinte besagte Malerin, dass die Fotografie eines alten abgestorbenen Baumes sinnbildlich für mich als Künstler und Person steht. Noch heute kann ich mich weder mit der Aussage der Malerin noch über diese Aufnahme identifizieren. Die Fotografie war, sicherlich auch wegen der Größe des Leinwanddrucks und der exponierten Lage in den Ausstellungsräumen, das zentrale Werk der Ausstellung. Die gesteigerte Symbolkraft über meine Person spreche ich ihr ab.

Müsste ich heute aus meinem Archiv eine Arbeit wählen, die im erweiterten Sinn über alle anderen Arbeiten von mir steht und der ich eine gewisse Seelenverwandtschaft zu meiner Person zusprechen möchte, dann ist es die Ausarbeitung einer Aufnahme mit der Nr. 0538.

Die Aufnahme zeigt einen winzigen Ausschnitt der Berliner Mauer, genau gesagt des Baudenkmal Berliner Mauer der Topographie des Terrors (Niederkirchnerstrasse in Berlin). Was mich bewegt hat, diese Aufnahme zu machen, war zum einen die sichtbar gewordene Verklärung einer Trennungslinie durch eine Stadt, als auch die Tatsache, dass durch diese Mauer sofort wieder Zäune zu sehen sind! Etwas Technik: Für das Festhalten des Moments benutze ich eine Certophot und einen passenden Rollfilm.

Warum rede ich von Verklärung? Ich wurde zwei Jahre nach dem Mauerbau in Ostberlin geboren. Berlin und die Mauer – Ich kenne die Stadt nicht anders. Wenn ich einen Blick auf die zementierten Grenzanlagen werfen konnte, dann sah ich weiße Betonfläche. Dieses Stück Mauer in der Gedenkstätte Topographie des Terrors sieht ganz anders aus: Es sind Tags zu sehen und die Mauerspechte haben soweit gute Arbeit geleistet, dass die Unnahbare löchrig ist. Die Mauer wird durch die – zeitgeschichtlichen – Veränderungen nah- und überwindbar. Eine ketzerische Frage sei erlaubt: Konnte es da Mauertote und einen Schießbefehl geben? Glücklicherweise ist das Grenzregime gut dokumentiert und hat man viel Wider dem Vergessen getan. Insofern sind meine pseudo-autistischen Gedanken wohl zu lateral gedacht: Die Berliner Mauer war kein Freizeitpark mitten in der Stadt!

Weitaus mehr Nachdenken rief der Zaun nach den Rudimenten der Berliner Mauer in mir hervor. Das Überwinden der Mauer, inklusive der Gefahren, wird als Akt des gesteigerten Freiheitswillens assoziiert. Dort, wo ich meine in Freiheit leben und handeln zu können, treffe ich wieder auf Zäune! Womöglich auch auf Mauern? Darf ich das Dahinter überhaupt Freiheit nennen? Wer zeigt mir, wo dort die Grenzen sind? Geht diese Einengung auch mit Waffen gegen mich vor, wenn ich den Schutzwall des Staates überwinden will? Gibt es überhaupt eine Freiheit ohne Grenzen?

Der Schnitt der Aufnahme ist bewusst an die Form des Sofortbildes angelegt. Ich setze keine harte gerade Kante, die den weißen Rand vom Bild trennt. Das Loch der Öffnung ist mittig des Bildes gewählt, erst der Rand zieht es leicht außer die Mitte. Die Schärfe liegt dezent auf die wenige Armierung der Mauer, zum Rand hin wirkt das Bild unscharf. Ein leichter Braunton überlagert den Beton, was durch die Öffnung in der Mauer zu sehen ist, weicht um wenige Nuancen davon ab: Vor der Mauer unterscheidet sich nur wenig von dem hinter der Mauer!

Ersetze ich das gesellschaftliche Thema Ost und West beziehungsweise Kapitalismus und Sozialismus durch eine Verallgemeinerung, die sich dann auf Themen wie Kunst und Fotografie anwenden lässt, komme ich in meine eigene Gedankenwelt. Ich werde mit Grenzen konfrontiert, die ich überwinden möchte, weil ich dahinter eine grenzenlose Freiheit vermute. Gelingt es mir, Öffnungen in die Gedankenkrusten zu schlagen und einen Blick dahinter werfen zu können, so muss ich feststellen, neue Mauern anzutreffen. Es scheint so, als befinde sich die Freiheit im unüberwindbaren Teufelskreis. Als ist sie in heiliger Geist, ein Götzbild einer Macht, die mich mit Sehnsucht zu scheinbar neuen Zielen treiben möchte.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.