Linhof Kardan Color 9×12

Sie sah ich um 1995 herum zum ersten Mal: Ein neuer Kollege verstärkte unser Team und in seinem Büro stand dieses nette Teil: Drei lange Beine, eine Querstange, ein schwarzer Balgen und zwei Standarten. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch der digitalen Fotografie verfallen, dennoch beeindruckte mich das Teil. Der Kollege schwärmte in den höchsten Tönen von seiner Linhof Kardan Color 9×12. Sie war ein Mitbringsel von seiner alten Firma, wurde dort ausgemustert und ging in seinen Besitz über. Sie war die Zierde des Büros und erzeugte – trotz meines Hangs zum Digitalen – immer wieder Neid in mir.

2006 ging der Kollege in den Ruhestand und überließ mir dieses Schmuckstück. Ich musste sie, wenn auch im Trockenlauf (also ohne Filmplatte), ausprobieren. Die kurzen Verschlusszeiten liefen, bei den längeren Zeiten versagt das Hemmwerk seinen akkuraten Dienst. Doch allein das Einstellen der Standarten, das Huldigen des Herrn Scheimpflug und Tilt & Shift in Reinkultur waren ein Genuss auch ohne Festhalten des Moments in einem Bild. Zu der Zeit bröselte mein digitales Weltbild gewaltig. Die Fotografengeneration Bit & Bytes glaube an elektronische Wunder, die es so nicht geben kann. Eine Großformatkamera sein Eigen nennen zu dürfen ist da schon ein klares Statement.

Ich muss gestehen, dass es dann doch noch einmal fast zehn Jahre dauerte, bis die Kamera auch zu fotografischen Ehren gekommen ist. Diese Zeit war auch nötig. Innerlich musste ich mich zunächst von der heute üblichen Schnellschnall-Fotografie a la digital, Kleinbild und Rollfilm verabschieden. Weitaus wichtiger war, dass ich ab 2014 25 Quadratmeter mein Atelier nennen darf, indem mir auch Wasser und die vollständige Verdunklung des Raumes zur Verfügung steht. So schoss ich erste Aufnahmen auf 9 x 12 cm und konnte dem pensionierten Kollegen zeigen, dass seine Großformatkamera bei mir in guten Händen ist.

Ende 2017 erreicht mich die Nachricht, dass der Kollege überraschend verstorben ist. Ich habe auf meine Art und gemeinsam mit der Linhof Kardan Color 9×12 von ihm Abschied genommen. Eine Blumenvase, in der ein vertrockneter Strauß Blumen steckt, nehme ich mit seiner tollen Kamera auf Direct Positive Paper auf. Es ist ein Unikat, wie dieser bescheidene und immer höfliche Mensch einzigartig war. Das Original unterziehe ich – obwohl vorher noch nie auf DPP ausprobiert – einer Lith-Rückentwicklung. Es entsteht eine Farbigkeit mit einem leicht metallischen Glanz, den ich so vorher noch nicht gesehen habe.

Ich sollte öfter auf diese Weise arbeiten. Meine Fundstücke zeigen: Da wo Bilder einzeln und nicht am Band auf Film entstehen, geben sich die Fotografen und Lichtbildner mehr Mühe. Mag das Sujet und die Umgebung nicht zueinander passen, dennoch ist die Liebe und die volle Aufmerksamkeit spürbar. Sowie durch das Weiterspulen des Films die Chance auf einen zweiten Versuch besteht, neigen die Knipser zur Verschwendung und Gleichgültigkeit. Ich möchte nicht verschwenderisch und gleichgültig sein.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.