Es sind wieder sechs Monate rum.
Ich muss zu Gandalf den Weißen.
Theoretisch, obwohl praktisch kein Zwang besteht.
Weil ich bin ja frei.
Und ich muss die richtigen Fragen stellen.
Wenn ich erzählen, besser berichten möchte, kann ich nicht bis zu meinem Gedankenende reden.
Denn eigentlich müsste alles anders sein, quasi fertig und keine Nachwirkungen.
‚Ist denn das noch nicht vorbei. Das ist doch nun schon so lange her‘.
Irgendwie dachte ich es auch.
Doch Ende November stelle ich fest, dass es erst mein dritter dritter Geburt-Tag ist.
Gesetzt den Fall, es wäre wieder was: Bekäme ich mittlerweile wieder volles Krankengeld?
Nein, es ist noch nicht vorbei.
Hin und wieder sucht mich der eine oder andere Schabernack wieder heim.
Es gibt das eine oder andere Problem, aber darüber reden möchte ich nicht.
Erst recht nicht in einer Kloppirunde anderer Betroffener.
Das ist Abgrenzung, quasi eine Gegeninklusion.
Ich brauche nicht mehr Leid, ich brauche handfeste Ideen, mich aus der selbstgewählten Isolation zu befreien.
Wobei:
Manchmal ist es gut von anderen deren Geschichte zu hören.
Siehe da, es gibt Parallelen.
Ja, es kann alles länger dauern und es kommt zu verfremdeten Schmerzerscheinungen.
Was erzählt mir dann Gandalf?
Warum macht er mich zu einem seiner Normteile?
Nach dem letzten Besuch hatte ich nicht mehr vor zu ihm zu gehen.
Mir bin es leid diese Diskussionen zu führen, mich erklären zu müssen und nicht ausreden zu können.
‚Dann such dir einen anderen Onkologen!‘
Was für ein Mörderbrüller.
Allein die Suche nach einem Hausarzt OHNE mit dem ICE reisen zu müssen: Ein Krampf!
Psychologen? In den Monaten Wartezeit, um überhaupt als Patient aufgenommen zu werden, habe ich mir zum zweiten oder gar dritten Mal das Leben genommen.
Neurologen? Erst durch familiäre Beziehung gibt es einen Termin in sechs Monaten, inklusive kleiner Weltreise.
Bitte fragt mich mal einer, weshalb die Leute lieber in die Notaufnahme eines Krankenhauses rammeln als die Hausarzt-Schleife zu durchlaufen? Ich hätte eine Antwort.
Zugegeben: Im Fall der Entdeckung, Bestätigung und Bekämpfung meines Hodgkin Lymphoms lief es erstaunlich glatt.
Alles dauerte kein Vierteljahr.
Aber auch nur, weil die – eher unsympathische – HNO-Ärztin neu in der Praxis war und keine Stammpatienten ihr Kapital waren.
Ich bin ihr wahnsinnig dankbar.
Sie sagte, ich solle mir nicht so viel Zeit lassen.
Meine Frage nach der Zeit beantwortete sie mit sechs Monate.
Ohne diesen Hinweis wäre ich an der Patientenabwehr resigniert.
Und heute wohl tot.
Ich fühle mich derangiert, hochgradig derangiert.
Wer Realist ist weiß, dass es keine Heilung gibt, dass neue Risiken mit höherer Wahrscheinlichkeit dazugekommen sind.
Und wenn Gandalf als Onkologe noch nicht einmal in der Lage sein darf, Blutwerte zu bestimmen, die nur der Hausarzt bestimmen darf, dem wiederum meine Person völlig egal ist, dann fühle ich mich einfach falsch hier.
Hauptsache die Schwestern des Hausarztes können ihre Lieblingsmusik hören, dabei tanzen und lästige Patienten abwehren.
Was für eine Freiheit.
Letztlich greife ich doch zum Telefon, lasse mir einen Termin geben.
Der lästige Port müsste mal wieder gespült werden.
Es sei denn, eine Schwester stellt sich wieder über die Anordnung des Arztes und hat einfach keine Lust ihren Job zu tun.
Stell dir das Geschrei vor, der Pilot im Urlaubsflieger hat dieselbe lieblose Einstellung zu seiner Arbeit.
Euer Geschrei wäre groß.
Warum geht ihr dann mit mir so um?
Systemischer Fehler.
Was zählt ist die Ablenkung durch die Bedeutungslosigkeit.
Das Ideal in Form des süßen Augenleckerlies.
Andere Werte, ach kümmere dich selbst darum.
Kein Selbstmitleid, eher ‚Das wird ja nicht bezahlt‘.