Ein Schlüsselerlebnis

Ich komme irgendwie auf Christina Z. Anderson. Na gut, ganz so zufällig ist meine Suche nicht. Ich suche einen ersten Handlungsfaden für eine mir unbekannte Dunkelkammertechnologie und lande bei Anderson’s Chemigrammen. Sie erinnern mich an meine Aleatogramme. Hier und da fallen mir ihre Farben auf, weil ich sie aus meinen Versuchen in der Dunkelkammer kenne.

Das, wonach ich suche, finde ich nicht auf deutsch. Alles ist in ausländisch gehalten. Warum nur begeistert sich niemand in meiner Muttersprache für ‚Chromo‘? Je weiter ich mich durchs Englisch wühle, umso mehr wird mir klar, weshalb sich der Deutsche nicht in das Becken dieser Techhnik wagt:

Schaue ich mir Fotografien guter deutscher Fotografen an, dann durchzieht die meisten Arbeiten ein unangenehm kühler und vor allem distanzierter Schauer. Selbst in der schmutzigsten Barfuss-Szene muss das Sujet steril und strukturiert sein. Ich frage mich, ob ein ganzes Land bei Bernd und Hilla Becher abgeschaut hat? Wo ist die Zuneigung und Liebe in euch, selbst einen stinkenden Scheißhaufen auf der Straße so zu inszenieren, dass er im Bild gefällig zu betrachten daher kommt? Liebe. Euch fehlt es an Liebe und damit meine ich nicht Sex und Besitz. Wo steckt in euch das Kind im Manne oder der Frau? Ihr verzieht lieber eure Brut statt Wissen und Erfahrung zu vermitteln, züchtet lieber großmäulige Besserwisser und Klugscheißer heran. Kein Wunder, dass für ein sauberes und bequemes Weltbild alles schön gerade, scharf und ohne nachdenken sichtbar sein muss. Ich meine zu wissen, wo euer Problem liegt: Ihr wollt erstens schnell ans Ziel kommen und zweitens nichts dem Zufall überlassen.

Befrage ich die deutsche Fotografenszene nach experimenteller Fotografie, dann beginnt das Spektrum bei der manuellen Belichtungssteuerung über verwegene Langzeitbelichtung aus freier Hand und endet in der Erwähnung der Lochkamera. Da aber die neusten und teuersten CaNikNon-Objektive keine so kleinen Blenden ohne Linse können, bleibt die älteste Art der Fotografie nur ein feuchter Traum. Schließlich geht Pinhole ja nur analog, doch analog, ich zitiere jetzt den Chefideologen der emotionalen Wettbewerbsfotografie Detlev Motz, stinkt! Sein verbaler Dummfug Gott sei Dank auch. Ginge es den Klugscheißern und Besserwissern wirklich um ein Bild, wäre ihnen jedes Mittel recht ans fotografische Ziel zu kommen.

Christina Z. Anderson hat in mir nicht den WOW-Effekt erzeugt wie die Arbeiten Miroslav Tichy’s. Tichy war wie das visuelle Reden mit Gott, so als sagte er mir ein paar kühle Sprüche und ich notierte sie mir sofort in meiner Notizzettel-App. Seit dem Tag der Offenbarung klebt dieser Gedanke in und an mir, dass Bilder nicht klar und scharf umrissen sein müssen, damit der Betrachter im Kopf seine eigene Geschichte entwickeln kann. Ich schreibe Betrachter und nicht der Blinde, der sich mit schnellen Fingerbewegungen durch seine manipulierte Instagram-Zeitschiene wischt. Anderson ist für mich eher die Erkenntnis, nicht allein mit einigen kreativen Gedanken zu sein. Ihre Arbeiten haben für mich zuviel ‚weibliches Auge‘, ein großes Harmoniebedürfnis und nicht genug echten Zufall als Fingerzeig der Technologie. Das soll keine Abwertung sein, im Gegenteil. Im Sinne eines Bildes sind – meine ‚Kritik‘ – wichtige Gestaltungsaspekte, die Anderson in ihrem Kreativprozess einfließen lässt. Und Anderson stellt sich breit kreativ auf. Ich liebe solche Menschen, deren Leben offenbar nicht durch ach so viele (un)wichtige Termine sondern durch ihren neugierigen Durst nach Kreativität bestimmt wird.

Ich sehe im deutschsprachigen Raum eine Durststrecke. Was für ein Wortspiel. Ja, es gibt ein paar kreativ-witzige Köpfe. Doch sie treten nicht in Erscheinung, entweder aus Bescheidenheit oder weil sie es leid sind, gegen die guten Normen der sauberen Fotografie a la DFV, DGPh & Co. anzustinken. Während ich vieles zur ’normalen‘ Fotografie und Dunkelkammer aus den alten (deutschsprachigen) Büchern ziehe, muss ich mich in Sachen kreativer Spielwiese im englischsprachigen Raum umsehen. Und selbst da ist die gute Literatur mindestens ein Jahrzehnt alt. Werke neueren Datums scheinen in USA & Co. das Opfer des Homo digitalis und seiner Bequemlichkeit zu sein:

Wer will sich mühen und dann auch noch womöglich nicht Reproduzierbares produzieren?

Das geht ja überhaupt nicht!

Dabei verstehe ich es nicht.
Es geht nur um etwas Fantasie, beim ‚Herstellen‘ und bei der Betrachtung.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.