Das große Aufräumen geht weiter. Schamlos nutze ich das Aus- und Fernbleiben jedweder Emotionen, Gegenstände nüchtern-sachlich in die Hand zu nehmen und ihnen eine Zukunft mit oder ohne mich zu prognostizieren. So füllen sich Kisten, Kartons und Tüten mit Dingen, die – weitestgehend – fachmännisch entsorgt werden. Das Wenige was übrig bleibt, bildet die Grundlage für Neues.
Irgendwie ist es zum Heulen, dass sich da in mir nichts gefühlsmäßig regen möchte. Ohne die Lebens- und Emotionserfahrungen aus den Leben zuvor wüsste ich nichts mit mir anzufangen. Außer Zorn und Wut über Fragen, die der Fragende sich mit Nachdenken und eigener Willenskraft selbst beantworten könnte, meine ich lediglich einen Hohlkörper mit mir herumzuschleppen. Laut Waage kann das nicht sein. Ich schinde mich zur Erschöpfung. So kann ich ohne Medikamente, Alkohol oder soziale Gleitmittel bis zum nächsten Morgen durchschlafen.
Ich stelle fest, dass viele Dinge seit Jahren nur so rumliegen. Erstes sicheres Zeichen ist eine dicke Staubschicht. In einem Schub versteckt bezeugt das Kaufdatum, die abgelaufene Garantie oder dass das Gerät nicht mehr existent, wie hinfällig eine weitere Aufbewahrung geworden ist. Weg damit, ohne Reue oder einer Träne im Auge. Selbst Abzüge aus dem Fotolabor und meiner rein digitalen Phase wandern in den Kreislauf der Recyclingwirtschaft. Es bleibt bei keiner inneren Regung!
Mir fallen alte Dokumente in die Hände. Vielleicht sind sie zehn Jahre jünger als ich, hergestellt mit dem damaligen Stand der DDR-Technik. Dementsprechend haptisch alt und visuell gealtert sind die Papierbögen. Es fällt das Schlagwort ‚Ormig‘. Vom ersten Moment setzt er sich in meinem Kopf fest, gesellt sich zum Upcycling. Die Idee: Beim ersten Modell beginnend haben sich die Tütenbilder mehr und mehr zum künstlerischen Upcycling-Objekt entwickelt. Zwischen Rücken und Bildebene gelangte sogar der Originaltext einer Eröffnungsrede zu einer Ausstellung.
Ich drucke die Vorlagen der umgesetzten Tütenbilder auf das alte benutzte Kopierpapier. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Bild und dem Inhalt der Seite. Das alte bräunliche Papier bekommt statt der Entsorgung eine neue Aufgabe zugewiesen, ohne die ursprüngliche Funktion zu verlieren. Vielleicht entwickeln sich daraus Collagen und so weiter und so fort. Für alles bin ich offen.
Ormig? Ich befrage Google. Lange Rede, kurzer Sinn. Wer mir den Begriff zuwarf, der hat sich getäuscht. Bei meinem Papier handelt es sich um so genannte Lichtpausen. Bildungsbürger und Klugscheisser sprechen auch von der Diazotypie. Ich denke da eher an die Cyanotypie, weil beide ein Kontaktkopie-Verfahren sind. Aber egal. Nach den Papiertütenbildern wird wohl demnächst weitere Upcycling-Fotokunst entstehen, eher mechanisch nüchtern als emotional geprägt.
Wird die Lichtpause-Reihe eine NeverEnding-Story? Wie schon bei den Tütenbildern und den BetrachtSteinen habe ich dafür gesorgt, dass das Ausgangsmaterial begrenzt ist. Alles, BetrachtSteine, Lichtpause-basierte Arbeiten und Tütenbilder bedingen einander, sind ein evolutionärer Schritt. Sie sind die nächste Interpretation eines Originals, damit vielmehr eine – nächste – Reproduktion. Daraus etwas Unendliches zu machen, widerspricht absolut meiner Neugier! Und das allerletzte Wort hat der Füllstand in der Toner-Kartusche meines Laserdruckers.