‚Ey Alter, was soll die Nazi-Typ Nummer?‘
Ja, so herzlich und liebevoll werde ich gerne begrüßt. Vor allem, wenn wir uns ein paar Wochen zuvor nicht gesehen haben.
‚Wovon sprichst du‘ erwidere ich.
‚Na von dem Nazi-Bild in deinem Blog!‘
Ihre Stimme wird immer lauter, meine Verwirrung nimmt immer mehr zu. Sie verschwindet nach oben, in ‚ihr‘ Zimmer. Vorsichtig trabe ich die Treppen nach oben. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, als könne zur Abwehr meiner Person ein Gegenstand heruntergeflogen kommen. Soviel zum Thema Gewalt in einer Beziehung.
‚Hier. Komm her. Ist das dein Blog? Und ist das ein Nazi!‘
‚Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das ein SA-Mann in seiner Uniform. Vor einem weißen Tuch posend. Lächerlich, oder?‘
‚Das ist ein Nazi. Ein Faschistenschwein.‘
‚So würde ich es nicht nennen wollen.‘
‚Was bist du denn für einer? Wählen wir jetzt AfD, Alter? Und mit so etwas habe ich geschlafen.‘
Jetzt wird es langsam persönlich.
Es gibt Menschen, die Alles und Nichts miteinander verbinden können.
Es gibt Menschen, die haben mich vor ihr gewarnt. Wegen ihrer impulsiven Art und Ader. Und dem Altersunterschied. Das brauche ich, quasi als Koffeinersatz. Und was eine Heidi Klum kann, also mit einem Boy im Altersunterschied als sei es ihr erstes Kind eine Beziehung führen, kann ich als Mann erst Recht.
Sie zetert weiter herum. Versucht dabei Ordnung in ihr Zimmer zu schaffen und bringt doch nur noch mehr Chaos hinein:
‚Scheiße! Wegen dir blöden Typen bin ich auf meine Haarbürste getreten!‘
‚Hast du die nicht letztens gesucht?‘
‚Lenk nicht ab‘ schreit sie mir hinterher.
Eigentlich habe ich keinen Bock mich mit ihr weiter über das Thema auseinanderzusetzen. Wenn ich ein Projekt historischen Negativen widme, dann muss ich damit rechnen, dass auch das eine oder andere Bild dabei ist, das Menschen in entsprechenden Uniformen zeigt. Soll ich so etwas in meinen Betrachtungen ausklammern? So tun, als gab es diese Zeit nicht? Nur damit sie Ruhe gibt?
‚Nimm das Bild raus. Ich will so etwas nie wieder sehen oder du bist mich sofort los.‘
‚Warum, wenn ich fragen darf?‘
‚Darfst du nicht. Du bist doch ein bisschen älter als ich und solltest bestens Bescheid wissen.‘
‚Hase, so alt bin ich nun auch wieder nicht. Jahrgang 63. Das bedeutet 18 Jahre nach Kriegsende geboren. Und bei uns in der DDR soll es ja keine Nazis mehr gegeben haben. Die waren bei euch, im Westen, wo du ja herkommst.‘
‚Hör auf mit der Klugscheißer-Nummer. Dein sarkastischer Unterton ist zum Kotzen.‘
‚Hast du deine Tage?‘
‚Raus‘ brüllt sie.
Ich gehe wieder die Treppe runter und mache den Fernseher an. ZDFinfo und wie passend läuft eine Doku über das dritte Reich.
‚Ah, da ist er ja, dein Führer‘ sagt sie zu mir.
Wie ist sie so schnell und vor allem leise die Treppe heruntergekommen?
Ich ziehe es vor zu schweigen. Dritte Reich hin oder her, es ist Teil der Geschichte. Nicht nur der deutschen Geschichte, sondern der Weltgeschichte insgesamt. Wir können unser Gewissen nicht dadurch erleichtern, dass wir Literatur, Symbole und was weiß ich alles verbieten, den Opfern halbherzig Denkmäler widmen und dann meinen, die Sache sei damit erledigt.
Ich nehme mal das ‚Unlesbare Buch‘. Dass es solange in Deutschland verboten wird, halte ich für einen gravierenden Fehler der Geschichte. Dieses schlecht geschriebene Buch des Österreichers hätte viel früher, wegen meiner auch kommentiert, veröffentlicht werden müssen. Da es Otto Normalverbraucher – offiziell – nicht kaufen und damit lesen durfte, wurde von allen Seiten – Historiker bis Naziszene – ein Kultstatus aufgebaut, der der Geschichte und Verantwortung nicht gerecht wird. Wir haben ’nur‘ das Glück, dass in der heutigen Zeit Lesen nicht sonderlich beliebt ist. Und der ‚Kampf‘ ist ein wahrer Krampf.
Was ihre kruden Nazi-Faschisten-Wortsalven angeht, ist sie im Moment und in meinen Augen nicht viel besser als Hitlers Ariervolk. Sie macht genauso Propaganda, feuert Worthülsen ab und bleibt eine Begründung schuldig. Ja, es ist ein Mann in SA-Uniform. Er scheint ziemlich stolz dazustehen. Doch der Rest der Umgebung ist ziemlich armselig. Jedenfalls für eine Herrenrasse.
‚Du verstehst das nicht‘ sagt sie, geht an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
So ähnliche Diskussionen hatten wir bereits über Neger, Zigeuner, Eskimo, Inuit und so weiter. Ich bin dieser Diskussion überdrüßig. Nur einmal, als sie meinen aktuellen Wohnstandort Marzahn als Ghetto bezeichnet hat. Ursprünglich kommt sie aus einer ’noblen‘ Gegend Berlins, ohne selbst nobel zu erscheinen. Also mehr Schein als Sein.
Ich machte sie auf die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Wortes aufmerksam. Dasselbe war bei Neger der Fall. Doch es hat sie nicht interessiert. Marzahn mit einem abgegrenzten jüdischen Viertel zu bezeichnen ist OK, den Neger im Sinne der ursprünglichen Bezeichnung für die Hautfarbe zu benutzen ist böse und absolut nicht OK. Das nur, und es gilt für beide Fälle, weil sich der Sinn des Wortes im Laufe der Zeit und Geschichte geändert hat. Also sage ich nicht mehr Ghetto und/oder Neger und die Welt ist gleich viel besser geworden.
‚Zum letzten Mal. Hast du das Bild rausgenommen?‘ sie steht plötzlich vor mir. Ihre sonst so süßen Augen sind voller Wut.
Aber warum?
‚Nein, warum sollte ich?‘ erwidere ich.
‚Weil das Nazischeiße ist. Das ist Diktatur, Unterdrückung, Völkermord. Wenn du so etwas zeigst, das ist so, als würde ich mit einem Fascho zusammenleben und das geht nicht. Never.‘
‚Reg dich bitte nicht auf, erst Recht nicht wegen eines kleines Bildes, auf dem noch nicht einmal die Armbinde ordentlich zu erkennen ist. Darauf haben die nicht geachtet. Diese Aufnahme ist von der Pose über den Hintergrund bis zum Fehlen ihrer symbolträchtigen Reliquie eine Posse.‘
‚Posse nennst du das, mein lieber? Jetzt reicht’s. Ich bin bei Lea und du kannst mich mal.‘
Es ist nicht das erste Mal, dass Lea unsere Streitigkeiten in Form ihrer Kurzzeitübernachtungen ertragen muss. Ich stehe auf, gehe in die Küche um mir etwas zu Trinken zu holen und um ihr hinterher zu schauen. Da stiefelt sie los, zieht einen Koffer hinter sich her. ‚Jetzt übertreibt sie es‘ denke ich so bei mir.
Ich schaue auf den Küchentisch.
Es dauert einen Moment bis ich registriere, dass da etwas fehlt.
Die Schale mit den Schoko-Riegeln ist nicht mehr da!
Ich schaue wieder durch das Küchenfenster. Sie ist nicht mehr zu sehen. Und ich weiß, sie kommt nicht mehr zurück. Wegen meinem Nazi-Mann und weil sie alle Schoko-Riegel mitgenommen hat.