Altes Zeug für neue Lichtbilder

In den letzten Wochen habe ich damit begonnen, auch beim Knipsen mit altem Filmmaterial zu arbeiten. Aktuell bedeutet das, dass gut abgelagerter Kodak Tri-X und ORWO NP22 im Atelier zum Einsatz kommen. Für draußen sind noch ein paar ORWO NP20 da, die sich in der Lomo LCA vergnügen dürfen. Beim Fotopapier ist es wie gehabt das ORWO Fotopapier und der Lith-Prozess. Auf einigen Verpackungen war ein Datum mit der Jahreszahl 1975 aufgestempelt. Fast ein halbes Jahrhundert altes Fotomaterial übt seinen kreativen Dienst in meiner Dunkelkammer aus.

Beim Zukauf von Filmmaterial bin ich ehrlich gesagt etwas vorsichtig. Trotz meines Hang zur Imperfektion sollten die Negative gut brauchbar sein. Ist das nicht der Fall, mache ich das Negativ zum Positiv und decke kurzerhand die Rückseite weiß ab. OK, bei Kleinbildmaterial lohnt sich das „PosaNeg“ allein aufgrund der Größe nicht, doch ich habe noch ORWO FU5 in der Größe 18 x 24 cm, was ich genauso wie beschrieben als Positiv verarbeite. Auch hier wieder die Lith-Entwicklung. Da das Entwicklen des Positivs auf dem Negativ nicht ganz so trivial wie beim Fotopapier ist, fällt das Ergebnis meist etwas kräftiger aus. Der Farbigkeit wegen hilft folgender Trick: Das PosaNeg ein paar Minuten in Selentoner baden, nach dem Wässern im Farmerschen Abschwächer die Vorlage solange baden, bis das gewünschte Ergebnis gegen Weiß als Hintergrund entstanden ist.

Ohne ihre Streifzüge durch die Bucht, bei der sich das eine oder andere Schnäppchen auftat, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, derart altes Schwarzweiß-Material einzusetzen. Eigentlich gab es keinen Grund einen Zweifel zu haben, dass es nicht seine Arbeit macht. Es sind eher die Verkäufer, die angeben alles sei in Ordnung und dann hat man das Kuckucksei im Netz. Glücklicherweise sind alle bisher aufgetretenen verdeckten „Mängel“ handelbar, sorgen sogar für Highlights der Imperfektion. Was Entwicklungszeiten für die alten ORWO Filmmaterialien angeht, hilft die alte DDR-Fachliteratur weiter. Dabei behandle ich den NP22 beim Belichten wie einen ISO 100-Film und gebe statt der fünf Minuten im Rodinal 1 + 25 zwei Minuten drauf. Den NP20 behandle ich wie einen ISO 50-Film, der an die 9 Minuten im 1 + 25-Rodinal entwickelt wird. Die Erfahrungswerte erweisen sich bei mir als brauchbar.

Beim Abzug auf altem abgelaufenen Fotopapier kann ich direkt beim Lithen gut auf die Eigenheiten des Materials reagieren. Was bei der einen Packung Fotopapier funktioniert, läuft beim anderen, scheinbar gleichen Fotopapier ganz anders. Und so ist jeder Abzug nahezu individuell. So kann ich beim abgelaufenen Film nicht herangehen. Hier muss ich vorsichtig agieren und möglichst nur einen Parameter ändern. Anderenfalls ist der Film und damit ein Shooting Ausschuss. Auch das blieb mir bisher erspart. Die Abzüge lasse ich an der Luft trocknen. Wenn ich beim Versuch, das Fotopapier an der Kante zu glätten, ein leichtes Knacken höre, dann wird die Bildseite mit einem Alkohol-Glyceringemisch (4 + 1) behandelt. Nach einer Trockenzeit ist die Gelatineschicht wieder etwas geschmeidiger und bricht nicht so schnell. Es ist halt Fotopapier, was über 30 Jahre und mehr irgendwo im Keller oder auf dem Dachboden lag.

Ein „frischer“ alter ORWO NP20 … was nun?

Im Laufe der letzten Jahre haben sich ein paar alte ORWO Fotofilme angesammelt, die endlich mal belichtet werden wollen. Den Anfang soll der NP20 machen, stilecht in der Lomo LCA verknipst. Erst wollte ich meine geliebte Exa 1b reaktivieren, doch war ich einfach zur separaten Belichtungsmessung zu faul. Gut, dem NP20 liegt ein Mini-Belichtungsratgeber bei, doch das anvisierte Sujet ist vom Licht her etwas komplizierter als die drei Vorgaben des Beipackzettel.

Ich packe den Film aus und beim Versuch, die Kunststoffhülle um die Filmpatrone zu entfernen, breche ich mir fast die Finger. Das Gefühl hatte ich schon damals, als es die DDR noch gab und ich mit der Beirette oder Exa 1b geknipst habe. Auf alle Fälle ist der Film gut verpackt, so als hätte ORWO damit gerechnet, dass der Film erst nach über dreissig Jahre in die Kamera gelegt wird.

In alten ORWO-Rezepten* nachgelesen, soll der NP20 bei 1 + 40 ganze neun bis elf Minuten in R09 baden. Darkroom Solutions gibt bei 1 + 20 fünf Minuten an. Die Zeiten erinnern mich an den Rollei Retro 80s. Ihn belichte ich statt mit einer ISO 80 mit einem EI 50 und entwickle ihn dann wie folgt:

Erste Minute kippen, dreißig Sekunden warten und dann wieder dreißig Sekunden kippen. Die Dose ruhen lassen. Dritte und vierte Minute Dose zweimal kurz kippen. Dose ruhen lassen. Sechste Minute zweimal kippen und Dose bis zur achten Minute stehen lassen. Fertig und den verbrauchten Entwickler ausgießen.

Diesen Entwicklungsrhythmus nenne ich heldenmäßig den MakkerRony Move. Bei der Papierentwicklung ist mir aufgefallen, dass die Bewegung des Fotopapiers im Entwickler am Anfang mehr Einfluss auf die Entwicklung des Bildes als das Schwenken am Ende der Entwicklung. Den ORWO NP20 als EI50 zu behandeln rührt einfach aus meiner Erfahrung heraus, dass derart alte Negativfilme bis zu einem Lichtwert mehr Licht vertragen können.

Voraussetzung, dass der ORWO NP20 trotz seines Alters noch halbwegs ordentlich funktioniert, ist eine halbwegs vernünftige Lagerung. Das kann natürlich niemand garantieren …

* Entwickeln, Norbert Göpel, VEB Fotokinoverlag Leipzig, 1976