Über meine Gutschlecht-Stärke im Bild und Wort

… oder: Wie der Gedanke, sich experimentell dem Lichtbild zuzuwenden mein Leben verändert hat, ich sogar zum Lichtbildpropheten wurde!

Mythos, Hörensagen oder was auch immer: Zwei Dinge geistern mir beim Bruch mit der modernen Fotografie im Kopf herum. Da ist zuerst die schmerzliche Erkenntnis, wie fehlbar und hochgradig unvollkommen der Mensch ist. All sein Beteuern von Stärke, Liebe, Treue und auf Immer und Ewig ist so etwas vom Arsch. Was Mensch kann ist ein perfektionistischer Egoist sein, genauso wie seine Fähigkeit, den idealen Terrorzwerg zu geben, geht es um seine Sicht auf die Welt. Das Mensch, der unangefochtene Führer, dem jedes Mittel Recht ist. Meine Konsequenz: Ich möchte in meinen Bildern düster und unpräzise sein. Die Digitalfotografie macht es mir schwer. Gutunscharf fotografiert werden will gekonnt sein. Doch wie soll ich es anstellen, wird die mir verkaufte Technik vom Fanatismus höchster Schärfe getrieben.

Das ganze Umfeld hat mich angekotzt, ich meine dieses ganze Ismen-Zeug, was mein Leben nur heute so lebenswert und einzigartig machen soll:

– Informationskommunismus,
– Gratis-Faschismus,
– Bespassungsimperialismus und
– Teamterrorismus!

Ein paar Jahre später hat sich die Sache fast erledigt. Die orangefarbenen Urväter des freien Wissens sind nur solange tolerant, wie es nicht um ihr Wissen und entgangenes Honorar geht. Geht es im ihre Existenz, kennen auch sie Anwälte und lehnen alles Gratis ab. Piraten und ihre Ideen waren Schlechtnaiv, die Enkel-Generation der 68er, denen der Sinn des Lebens sowie die Grenzen der Freiheit abhanden gekommen sind. Arrogant-verlautes Gesabbel darf man nicht mit Gutbesserwissen verwechseln.

Seelenklempner im Nordosten Berlins zu finden ist so einfach wie den Menschen davon zu überzeugen, dass sein Verstand für mehr nutze ist als ihn mit Regentenbräu oder allerlei sozialen Gleitmitteln weg zu ballern. Also muss ich mir eine andere Therapiemöglichkeit suchen: Ich schreibe Buchwerke. Sie sind in der Umsetzung schon etwas anders, lassen mehr Spielraum als ein- bis mehrseitige Artikel. Es gibt nur ein Problem und das sitzt ausgerechnet im Verlag.

Ich weiss, wofür Manager da sind. Sie treiben mich zur Arbeit auf Hungerlohnbasis an, haben vom Thema keine Ahnung und stehen unter Dauerdamfdruck ihrer Chefetage. Jedes Werk muss, egal wie Scheiße der Autor ist, ein Erfolg werden. Folglich greift man schon im Vorfeld auf allerlei Mittel der potentiellen Kundenakquise zurück, egal ob der Autor das möchte oder nicht. Das wurde eben schon immer so gemacht und ich soll es genauso tun.

Jetzt schlägt die Stunde der Unwissenheit zu. Die schöne digitale Welt ist so zauberhaft digital, dass das Analoge einfach vergessen werden kann. Eine wundersame Elektronik und tolle Software macht den Fotografen zum Houdini der Neuzeit, zaubert Effekte am Fließband. Höre ich solch Bullshit fallen mir die Haare aus, inklusive Intimbehaarung. Nun gebe ich mir Mühe Halbwissen nicht gegen belegtes Wissen auszuspielen und versuche über sanfte Argumentation Phasen des Nachdenkens zu bewirken. Doch wenn die Dummheit immer dreister wird, dann gibt es kein Halten für mich. Hopfen und Malz sind verloren, doof bleibt doof, da helfen auch keine Pillen. Wozu sind Verträge da? Richtig, man kann sie kündigen. Schlechtwissen soll gut im Bett sein, so jedenfalls spricht man unter Männern.

Nach diesem intellektuellem Tiefschlag war jede Hoffnung auf das Gute da draußen in mir weggeknallt. Diese Unwissenheit war und ist latent da, in den Onlinegemeinschaften Halbwissender, die sich zum gegenseitigen Scharfrichter aufschwingen und meinen Weisheit mit Kellen geschöpft zu haben. Nicht, weil sie Belesen an hervorragender Fachliteratur sind. Sie haben für viel Geld ihr Wissen mit der digitalen Technologie erkauft und sind somit absolut im Recht, kommt ein Wurm mit kleinerer oder gar antiquierter Technik daher. Wider besseren Wissen gehen die Gefühlsrabauken soweit von sich zu behaupten, mit Leidenschaft und Anspruch ans Werk zu gehen.

Über die Langeweile, die mich bei modernen Bildprodukten digitaler Fotografie ergreift, habe ich mich bereits in meinen Bildgestaltungstraktaten ausgelassen. Etwas mehr Liebe und Vermenschlichung, eben das Einspielen der Unvollkommenheit in das perfekte Digitalbild, macht selbst solche Aufnahmen etwas sympathisch. Bei mir war es das B.I.G. HL-Objektiv, welches für den Übergang vom Digitalen zur Analogfotografie verantwortlich zeichnet.

Nun ist die analoge Szene nicht viel besser. Auch hier ist für die Mehrzahl die Präzision das oberste Gebot, bestimmt die Technologie die einzig wahre Qualität. Solche Spinner, genauso lauter als der Rest, kann man getrost ignorieren. Im Analogen ist die Gemeinschaft kleiner, eine Nische halt, und das Schreien der Puppen fällt nach der gespielten Empörung des Meisters auffällig auf. Stets auf frischer Tat: Lord Spacko und seine Vasallen.

Und doch ist die Szene etwas anders: Sie neigt mehr zu Experimenten. Gerade die eigene Dunkelkammer macht es leicht dem Spieltrieb in Frau und Mann freien Lauf zu lassen, selbst wenn man nicht weiß, was man gerade tut. Diese Spielfreude fehlt mir in den Pixelboliden a la Photoshop & Co.. Pixelprinzen sind Schlechtquadrat, sie überspannen den Bogen, immer und immer wieder. Sie kennen keine Variantenvielfalt, leben von der eingeschränkten Kreativität ihrer Programmierer und den stets zu knappen Systemressourcen.

Es wäre für mich an der Zeit sich einen Strick zu nehmen, wäre ich nicht auf Miroslav Tichy gestossen. Meine Gedanken bekommen so etwas wie einen roten Faden, ohne dass ich Tichy kopieren möchte. Es ist das Gutschlecht-Sein, das er für mich verkörpert. Kein Ausreizen der Technik und Technologie, keine Präzision, keine künstliche Verlängerung, eher Spiel und bewusstes Arbeiten mit dem Verfall. Egal wie lange ich jetzt mit Tichy innerlich schwanger gehe, ich falle immer wieder auf ihn zurück.

Zwangsläufig geht es damit auch um die Rolle des Aussenseiter. Wer Schönheitsideal liefert wird geliebt, ist gefragt, erst Recht zum Nulltarif. Hauptsache schnell und so am Computer entstellt, dass sich Fragen nach einer moralischen Verantwortung nicht stellen, weil der oder die Abgelichtete gar nicht zu erkennen ist. Schönheit ist Durchschnitt, ich sehe (m)ein Ideal eher in dem Individuellen, das sich einprägt und vom Leben Zeichen trägt. Innerlich wie Äußerlich.

Gutschlecht, ich denke ich kann es, weil alt genug und Regeln für mich nicht zählen, ist meine Art mit den Schwächen umzugehen. Gäbe es irgendetwas, was der Perfektion entspricht, die Erde und das darauf praktizierte Leben hätte die Daseinsberechtigung verwirkt. Es bedarf des Kampfes zwischen Gut und Böse, Arm und Reich und eben Gut und Schlecht. Gäbe es das Spiel um Actio est Reactio, der Mensch würde es – wider seiner allgemeinen Bequemlichkeit – erfinden. Er braucht etwas zum Unterbuttern, Niedermachen, Plattwalzen und sich herzhaft Belustigen auf Kosten anderer. Das alles ist mir nicht fremd, bin ja selbst ein Mensch und verdammt gutschlecht darin mich auf dieser Welle treiben zu lassen!

Propheten haben zur Zeit in einem begrenzten Erdenraum Hochkonjunktur, sind dafür in dem Rest der Welt gar nicht so gefragt. Sich ausgerechnet jetzt hinzustellen und zu postulieren Ich bin ein Lichtbildprophet ist wie in einem SM-Studio nicht nach Haue zu betteln. Mein Verhalten beunruhigt mich nicht. Es fehlt das Korn Übermut, der Hauch Größenwahn. Trüge ich das in mir, täte ich behaupten der Lichtbildprophet zu sein. Soweit bin ich noch nicht. Ich sehe mich noch immer im Disput mit den Fotografen dieser Welt, die Schokoladen in ihren Knusperfarben haben, meinen besonders gefühlsintensiv und anspruchsvoll zu sein oder einfach nur Weiber flachlegen wollen und diese dann auch noch ficken müssen. Erst wenn ich diesen Kampf verloren habe, dann erhebe ich mich zum einzig wahren Propheten und führe mein totales Kunstbashing!

Epilog
Was bis hierhin geschrieben steht klingt düster, manisch depressiv? Man muss mir unbedingt helfen? Mich gar retten? Willkommen im Spiel um den Alias, der den Namen für den Künstler gibt: Marvin, ein manisch-depressiver Roboter aus einer science fiction-Komödie. Zugegeben, ein Teil der Rahmenhandlung ist autobiografisch und hat ihre Spuren hinterlassen. Doch hinter jedem Negativ steckt jenes Positiv, aus dem sich Lehren ziehen und leben lassen. Folglich ist all das Ganze nur halb so wild zu beurteilen, quasi eine jammernde Realsatire auf hohem Mitleidsniveau.

Die Zukunft zeigt garantiert: Der nächste Stein liegt im Weg, die nächste Enttäuschung bahnt sich ihren Weg und einen ordentlich mit Schmackes raufgehauen geht immer. Des Weiteren gilt noch immer mein alter Leitsatz: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Man sollte vielmehr lachen, vor allem über sich selbst. Außerdem ist heute der Elfte November, was Grund genug für die Dauerspaßvögel ist, heute noch lustiger zu sein. Als Berliner habe ich so etwas nicht nötig. Ich bin immer gut drauf und fröhlich, fast jedenfalls.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.