So ein daher gelaufener fotografischer Halbgott meint zu mir, ich solle meine Fundstücke vergrößern. Derart klein im Kontakt kopiert, ist es für das Genie viel zu anstrengend, sich die historischen Miniaturen anzusehen. Man könne ja diese Bilder gar nicht richtig genießen. Es ist immer wieder beeindruckend, wie es dem Unwissenden gelingt, seine Blödheit unter Beweis zu stellen. Den Blick stocksteif auf die moderne Fotografie fixiert, gesteht sich der Spinner Ratschläge zu, die völlig daneben sind. Etwas mehr Sinn fürs Historische und er hätte sich den Kommentar sparen können.
Gehe ich davon aus, dass die Jahre um 1840 als das Erfindungsjahrzehnt der Fotografie gelten, hat es etwa bis Anfang des 20. Jahrhundert (also ab 1900) gedauert, bis ein Objektiv patentiert wurde, welches sich auch für den Vergrößerungsprozess eignet. Es fehlen jetzt nur noch geeignete Lichtquellen. Bis dahin und noch weit darüber hinaus werden Aufnahmen auf Glasplatte und später auf Zelluloid als Filmträger angefertigt, davon im Kontaktverfahren Abzüge erstellt. Das heißt: Wer große Abzüge haben möchte, der muss dementsprechend große Negative anfertigen. Heute reden wir von der Großformatfotografie. Selbst das deutlich kleinere Mittelformat (zum Beispiel 6 x 6 oder 6 x 9 cm) liefert am Anfang seines Aufkommens ausschließlich Negative für Kontaktkopien. Sowohl auf Glas als auch auf Zelluloid.
Man erinnere sich bitte an die ganz alten Fotoalben der Großeltern. Aufnahmen im Postkarten-Format (10 x 15 cm) waren darin selten bis überhaupt nicht zu sehen. Mir hat sich in dem Zusammenhang der Gedanke an quadratische Abzüge, weißer Rand und Büttenschnitt im Denkkasten festgebrannt. Ich musste in diese Minibildchen reinkriechen, um Details erkennen – besser erahnen – zu können. Auf der anderen Seite, was für diese fotografischen Miniaturen spricht: Zum Betrachten der Bilder habe ich mir auch Zeit genommen.
Wenn Bilder (Positive) nur durch Kontaktkopien erstellt werden, dann ist nicht die allerbeste Kameraoptik, feinste Emulsion und Entwicklungsbad notwendig. Auf Glasplatten und Zelluloid wird dick aufgetragen. Erst nach dem Krieg wechselt man zur heute üblichen Dünnschicht auf Filmmaterialien. Diesen Entwicklungsschritt muss ich mir immer wieder vor Augen führen, lese ich in antiken Werken Belichtungs- und Entwicklungsvorschriften. Selbst die Kombination zweier Entwicklersubstanzen und die Ausnutzung der Superadditivität war damals bei Meister Josef Maria Eder noch nicht Standard.
Wie und wann ist der gängige fotografische Prozess aus Kleinbild – Vergrößerer – Abzug zeitlich einzuordnen? Die Ur-Leica als die Mutter der heute üblichen Kleinbildfotografie entstand um 1920. Das Format ist dem Kinofilm entlehnt. Den Durchbruch würde ich in der Einführung des Dünnschichtfilms nebst feinster Entwickler sehen, da mit ihnen die entsprechenden Qualitäten für das stehende Bild erreicht werden konnten. Ich erinnere an Helmut Stapf und seine ‚Fotografische Praxis‘, die um 1955 von diesem Dünnfilm und seine Bedeutung spricht, darauf aber nicht weiter eingeht. Leider verstarb der Autor bei einem Autounfall viel zu früh. Ansonsten spielen – zu der Zeit des Entstehen des Buches – vor allem Mittelformat, weniger das Kleinbild die erste Geige. Um zu dem heutigen Perfektions- und Präzisionswahn zu kommen, mussten entsprechende Emulsionen, schonungslos scharfe Optiken und entsprechend präzise Papiere – vor allem für den Massenmarkt – geschaffen werden.
Bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bestand beim Großformatmaterial vielleicht der Wunsch nach Vergrößerungen, die Umsetzung war wohl eher ein kostspieliges Unterfangen. Alles was im Dickschichtfilm auf Glas oder Zelluloid festgehalten wurde, kam primär durch die schnelle Kontaktkopie zum Bild. Erst mittels ‚Edeldruckverfahren‘, später durch das ‚Wiederholen‘ der Negativentwicklung, nur diesmal auf lichtempfindlichen Papier. An der Stelle erinnere ich mich an eine andere Dummheit sogenannter Wissender: In einem Kommentar zu einem Fachbuch wurde bemängelt, dass der Positivprozess im Buch ungenügend behandelt wird. Zugegeben, Fotopapier braucht nicht die feinsten Entwickler, ansonsten handelt es sich um die Wiederholung des Negativprozesses einschließlich der Aufnahmen mit Farbfiltern. Was soll also diese unqualifizierte Kritik?
Apropos: Was wir heute als Edeldruckverfahren bezeichnen, war vor dem Siegeszug des Negativ-Positivverfahrens bei der Vervielfältigung Gang und Gebe. Insbesondere der Albumindruck war der Favorit für Kopien im Kabinettformat. Anfangs war man gar der Meinung, dass das Schwarzweiß für den Menschen und sein Betrachtungsverhalten nicht so positiv ist. Ich fühle mich an die Einführung des Farbfernsehens erinnert. Auch hier war man zutiefst wissenschaftlich der Meinung, dass das Farbesehen nicht der menschlichen Sehgewohnheit entspricht. Ja, solch Dummheit war auch damals, ganz ohne Wikipedia und Internet, möglich geäußert zu werden.
Ich bleibe dabei, historische Negative in Kontaktkopie zu reproduzieren. Es entstehen kleine Bilder und ich muss förmlich in sie hineinkriechen, um irgendetwas zu erkennen. Diese Aufnahmen sind, vom Moment bis eben hin zur Technik, nicht für Vergrößerungen gemacht. Wer heute eine alte Boxkamera auf dem Trödelmarkt schießt, einen Rollfilm einlegt und den entwickelten Film digitalisiert, der darf keinen Schärferausch erwarten. Wer das will, dann sollte Der- oder Diejenige auf einen Youngster der Analogfotografie zurückgreifen oder lieber gleich digital fotografieren.
Das besagte Halbgenie vom Anfang des Beitrages setzte seiner unüberlegten Äußerung das Sahnehäubchen auf, indem er sein Smartphone herausholt um mir – auf etwas mehr als 5 Zoll-Diagonale – seine tollen Bilder zu zeigen. Ich setze mir sogar meine Lesebrille auf um festzustellen, dass ich nur wenig erkannt habe.