Wache über mich, wenn du kannst – UPDATE

So ein Digitalverweigerer wie ich ihn genußvoll im Lichtbildprophet-Blog mime bin ich in Wirklichkeit nicht. Ich bin auch vieles andere nicht, was man aus diesem Block eventuell schließen könnte. Aber das soll so sein. Pure Absicht und dem lieben Image wegen. Viele Zeitgenossen, die mich ganz in Echt kennen, wissen von mir, dass ich ein viel größeres Arschloch als hier dargestellt bin. Genug des Eigenlobes. Nachdem ich jahrzehntelang mechanische Selbstaufziehuhren getragen habe, stoße ich an und mit meinem linken Handgelenk nunmehr das digitale Zeitalter auf. Ich sage nur Smartwatch. Und weil ich seit dem ersten iMac den angeknabberten Apfel verehre, muss es der elitären Seite wegen eine Apple Watch sein.

Bisher hat mich die direkte Verzahnung der Apple Watch mit dem iPhone davon abgehalten, schon früher den Schritt ins raffinierte Digitaluhr-Zeitalter zu wagen. Eigentlich wollte ich ja mal das Mobiltelefon gänzlich abschaffen, doch smsTAN, Zwei-Faktor-Authentifizierung und simple Registrierprozedere gehen heute nicht mehr ohne Smartphone und Co. Statt seinem ersten Persos sollte der deutsche Jungbürger ein subventioniertes Smartphone erhalten und es stets und ständig bei sich tragen müssen. Kein Chip unter die menschliche Haut einpflanzen oder so. Nein, ein Smartphone für alle und alles soll es sein.

OK, ich muss also Smartphone. Dann soll es aber auch wieder ein iPhone sein. Und wenn Apple schon eine Einsteiger-Smartwatch auf den Markt haut, dann kurble ich den COVID-geschwächten Markt an und leiste mir die Apple Watch SE. Gedanken, die Apple Watch SE mit dem iPad Pro zu koppeln, begrabe ich Dank Recherche im Vorfeld. Cupertino wird zig sinnlose Argumente haben, warum die Apple Watch das iPhone braucht und ein iPad mit Mobilfunk übelst unbrauchbar ist. Die Argumentation wird mich bestimmt an Microsoft und den Internet Explorer erinnern, der ja auch ganz doll systemrelevant und damit tief in Windows vergraben sein musste.

Das Einrichten geht ziemlich schnell und doch bringt mich die Digitaluhr zur Weißglut. Ich sage nur: Aktivität. Warum muss das Leben eine Challenge in Dauerschleife sein? Hat das was mit unserer Abstammung vom Affen zu tun? Dass wir uns wegen der besten Nahrung und dem heißesten Weibchen ständig batteln müssen? Es gibt keine simplen Spiele mehr, ohne dass ich Krieg gegen mir unbekannte Zeitgenossen führen muss oder erbarmungslos Regatten ausfechten soll. Einfach nur Zeitvertreib im Solobetrieb spielen, ich glaube das gibt es heute nur noch beim Onanieren. Oder wegen dem ganzen Hochleistungssex auch nicht mehr?

Ich möchte keine Tagesziele definieren und Ringe schließen. Ich lasse mir von einer blöden Elektronik und so ein bisschen doofer Software nicht vorschreiben, wie viele Schritte ich gehen muss oder ob ich noch eine Weile zu stehen habe. Geräusche überwacht meine Umwelt? Ich brauche keine App um festzustellen, dass das da draußen viel zu laut für mich ist. Für mich sind diese Apps, die sich um meine „Gesundheit“ sorgen nur ein Werkzeug mich auszuspionieren. Mein wirkliches Problem hätte die fürsorglichste Smartwatch nie entdeckt. Diese Teile bieten für ein Haufen Kohle eine trügerische Sicherheit. Eben das, was der Homo digitalis gern hören möchte. Blanker Positivismus, so richtig hart am Leben vorbei.

Die Apple Watch ist sich nicht zu schade mich ans Händewaschen zu erinnern. Soweit kommt es noch. Das entscheide ich immer noch selbst und ganz alleine. Ein paar Mal zottelt das Teil an meinem Unterarm und erinnert mich zu atmen. Was mache ich die ganze Zeit du blödes Elektronikvieh? Das Smartphone gezückt und der Digitaluhr verboten, mich ans Atmen zu erinnern. Atmen ist total überbewertet. Mich erinnert die Situation an einen typischen Krankenhaus-Check am Morgen während der Chemo-Startphase: „Entweder sind sie tot Herr Capybara oder mein Gerät ist kaputt!“ Wenn die Digitaluhr mit Internetanschluss etwas überwachen möchte, dann gerne meinen Puls. Alles andere ist in meinen Augen Hokuspokus. Entspannt durch den Tag zu kommen ist auch ohne die Apple Watch Battle genug für mich. Da bleibt keine Zeit für irgendwelche sinnlosen Trainings.

Was mir total gefällt ist die Möglichkeit, nach Lust und Laune Zifferblätter zu wechseln. Das Standard-Armband vermiest die Freude. Der Kunststoffriemen liegt in zwei Größen bei und damit passt die Watch SE auch an meinen plüschigen Unterarm. Trotzdem ist es grausam die Uhr mit dieser Verschlußmimik anzulegen. Ich weiß, warum das Teil Sportarmband heißt: Das Anlegen der Uhr ist eine sportliche Challenge. Ich habe keinen Bock darauf und ordere ein klassisches Uhrenarmband mit Schließe für einen eingefleischten Grobmotoriker.

Bis jetzt klingt alles Niedergeschriebene meganegativ. Warum habe ich mir das Teil dann gekauft? Ich hatte das Geld dafür und ich wollte mir was gönnen. Außerdem informiert mich die Apple Watch, dass ich neue Nachrichten habe. Ich muss nicht das iPad heraus kramen. Stiller Alarm versteht sich, ich hasse nerviges Geplinge. Zwar werde ich selten angerufen, nur bekomme ich es jetzt am Handgelenk zu spüren und kann zum iPhone spurten. Ich habe am Handgelenk Zugang zu meinem Kalender. Gerne würde ich iTunes (heute Musik) auf meinem iPad Pro mit der Apple Watch steuern, doch auf die Idee einer Unterstützung kommen die Boys & Girls vom Tech-Giganten Apple nicht … wofür sie garantiert tausend dämliche Argumente haben. Und während ich mich über das taube Verhalten Apple’s künstlich aufrege, wechsle ich das Zifferblatt meiner kühl-schmucken Apple Watch.

UPDATE
So eine Scheisse, meine Apple Watch SE muss kaputt sein!
Jetzt habe ich sie stundenlang mit der Digital Crown aufgezogen, an hier gelauscht, doch sie will und will nicht ticken.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.