Drohgepose: Der Gutenberg kommt!

‚Alter, wo bist du zur Schule gegangen? Baumschule? Das heißt der Held!‘

Ja, jeden Tag ergießt sich über mich füllhornweise der Intellekt des Homo digitalis. Da hat ein geistiger Tiefflieger die Grundschule im dritten Anlauf erfolgreich absolviert, schon hält sich das Genie für den legitimen Nachfolger des Reich-Ranicki und macht mit erhobenen Zeigefinger einen auf Roger Willemsen. Also ich mag Roger Willemsen und sicherlich wird ihm oben auf seiner Wolke kotzübel, wenn sich ein Scheingenie Seiner zu bemächtigen versucht.

Ich möchte Menschen glücklicher zurücklassen als ich sie vorgefunden habe.
Roger Willemsen

Vielleicht ist Roger Willemsen gar nicht an Krebs gestorben. Vielleicht hat ihm vielmehr die Talentfreiheit der Masse und Öffentlichkeit zu schaffen gemacht. Da die Förderung der Talentfreiheit ganz oben auf der Agenda der Gutmenschen steht, hat es ihn einfach umgehauen. Auf Dauer ist die seelische Belastung, derart von Flachzangen umgeben zu sein, nicht ohne körperlichen Schaden auszuhalten.

Jetzt ist DER nächste Schwachsinn im Anmarsch: ‚Gutenberg‘! ‚Gutenberg‘ ist eine Form des Homo digitalis-Gepose, dass es eigentlich DAS Schwachsinn heißen müsste. Nein, ich meine nicht den Karl-Theodor, Ex-Doktor und Ex-Bundesminister. Der hieße auch nachnamentlich Guttenberg. Ich meine den neuen Editor in WordPress, ‚Gutenberg‘ genannt. Alles muss ja einen Code-Namen haben, damit auch der größte Blödsinn einen Anflug von Bedeutung bekommt. Also WordPress, das sogenannte CMS im Hintergrund dieses intellektgeladenen Blogs, soll einen neuen Editor bekommen. Das haben die Entwickler so gewollt, ich persönlich nicht.

Ich bin mit der klassischen Variante ganz gut zurecht gekommen und das, obwohl ich Codefetzen überhaupt nicht mag. Verschlimmbessern durch Auf und Ab-Grades (das war ein hochintellektuelles Wortspiel) mag ich generell nicht. Wenn etwas funktioniert so wie es ist, dann sollte Gut sein. Stattdessen popelt der gelangweilte Entwickler im Code herum und ich als User muss mit der Plage leben. Ich nehm mal Musik aus iOS: Apple hat das so verschlimmbessert, dass die Scheiß-App im Hintergrund Musikdaten lädt, die ich irgendwann mal gekauft aber jetzt nicht auf dem Gerät haben möchte. Ich verbiete Musik das Laden der Daten, aber es tut es trotzdem. Apple ist unanständigerweise eine Billion US-Dollar Wert, das sollte aber nicht diesen Bockmist rechtfertigen dürfen. Diese ‚Friss oder Stirb‘-Mentalität ist eine digitale Unsitte.

Aber die Generation Teletubbies unter den Homo digitalis will ständig Etwas verändern. Da kann man eine Sache eben nicht so weiterlaufen lassen wie sie bisher gelaufen ist. Turbokapitalismus und Turbofortschritt sind zwar völlig überbewertet und gehören eigentlich verboten, doch der Mensch lässt sich gern bis an den Rand der Selbstzerstörung treiben. Weil das heute einfach so ist, würde bestimmt mein lauter Nachbarn sagen. WordPress macht und Heerscharen sozialverkrüppelter Influencer haben endlich wieder was zum Dauer-Dummlabern, angefangen beim Urknall und bis zum völligen Ende der Welt. Wie das am Besten geht? Guckst du alles ‚cool und tolle Sache‘ Fredrik Vogt und sein nervenzehrendes WPerfolg. Eine Frage habe ich da: Hat von seinem ganzen sinnfreien Gequatsche der Kaktus im Hintergrund überhaupt noch Stacheln?

Die Zwangseinführung von ‚Gutenberg‘ wird alles bestimmt einfacher machen, so die social media-Recken. Was sage ich: Viel viel einfacher. Total tinkywinki, Lala, in den Po oder so. Wo bisher Millionen und dem klassischen Editor einen Blog betreiben konnten, muss der bis dato erfolgreiche Blogautor vollkommen verblödet werden. Ich hatte schon nicht den tollen WYSIWYG-Editor genommen, weil er sich eselhaft störrisch gibt und überhaupt nicht das liefert, was ich beim Schreiben meiner anspruchsvollen Artikel gesehen habe. ‚Gutenberg‘ wird mein Schreib- und Nutzererlebnis steigern, oder auch nicht. Aber das ist den WordPress-Machern egal sein. Hauptsache sie sind beim Ausmerzen von programmierten Unwägbarkeiten auf Jahre beschäftigt. Lang lebe die Beschäftigungstherapie!

Ich meine zu glauben, dass der ‚Gutenberg‘-Editor bewusst dazu benutzt wird, um die WordPress-Autoren dieser Erde zu verwirren, den arbeitsscheuen Influencer und untalentierten Hilfeblogger eine sinnlose Beschäftigung im Tutorial reden zu geben, weil sie sonst alle nichts zu tun hätten. Dabei zeigen regelmäßige Updates, dass es genug am Unterbau zu tun gibt. Nein: Der Nutzer soll wie die unterbeschäftigten Macher leiden. Spaßeshalber habe ich das werbende Datenorakel nach ‚Gutenberg‘ und ‚Erfahrungen‘ befragt. Ein Fehler, weil pure Lebenszeitverschwendung. 99% Labersülz auf verbalem Dünnpfiff, egal ob als Artikel oder Youtube-Video. Alle reden, wirklich produktiv mit ‚Gutenberg‘ gearbeitet hat offensichtlich kaum jemand, ich höre immer nur denselben Quatsch.

Gibt es noch diese ganz normalen, eher spartanischen Webseiten? Text, ein paar Bilder dazu und mehr nicht? Ohne diesen Gypsy Bling Bling und Sondra Celli, alles zum Wohl der Netzbetreiber? Klar sollte so eine Seite wie diese hier etwas fürs wählerische Auge sein, aber was da gemacht wird ist pures Gepose auf Kosten des Traffics und der Performance. Größenwahn wohin das trübe alte Auge blickt. Bescheidenheit, die falsche Zier. Wie wahr. Alles ist Luftpumpe, aufgeblasen mit Chemie oder Schönheits-OP, obwohl es eine Beleidigung für’s Auge ist und bleibt. Ich gebe weiterhin dem klassischen Editor den Vortritt. Da waren die Macher von WordPress so spendabel und lassen altgediente WordPressler nicht am langen Arm des ‚Gutenberg‘ verhungern! Danke, ihr Helden, danke!

Ach so: Es muss ‚das Held‘ heißen! Allein der zahllosen Genies, notorischen Nörgler und derer, ‚die in den Keller zum Lachen gehen‘ wegen. Es ist mein Held, der das Held! Wie ‚das Held(enepos)‘, zum Beispiel.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.