Das treibt mir die Tränen in die Augen

Zugegeben, es ist Sommerloch und da gehen den Schreiberlingen der Qualitätsmedien nicht nur temperaturbedingt die Themen aus. Unsere Mutti Frau Kanzlerin wurde seit Wochen nicht mehr gesichtet, die SPD scheint es noch zu geben und Sahra Wagenknecht macht auf Macron. Da ist Luft in den Spalten und genügend Platz für eine andere Sarah, die vor einem ganzganz bösen und gemeinen Mietnomaden warnt!

Die letztgenannte Sarah hat im vorherigen Jahr geheiratet und wollte, sich auf nur neun Monate andauernde Flitterwochen befindend, ihre schmucke Eigentumswohnung nicht allein und unbeaufsichtigt lassen. Also hat sie nebst Gemahl einen Kurzzeitmieter und zahlenden Wohnungswart gesucht. Angesichts der aktuellen Wohnungsknappheit natürlich wohl auch schnell gefunden. Für läppische 1400 Euro pro Monat durfte der Gefundene (angeblich Betäbungsspezialist mit Kostenübernahmegarantie seines Arbeitgebers) die Wohnung benutzen. So zumindest die Vereinbarung. Doch Kaution und Mietzahlungen blieben – wie blöd auch – aus.

Jetzt, wohl leicht zornig ausgeflittert, post die junge – leicht bockig angehauchte – Dame vor der Kamera, Schmollmund und Arme verschränkt und warnt Berlin vor einen fies-gemeinen Mietnomaden. Erst der abgemeldete Strom und kein Internet vertrieb den Ganoven, der blöderweise Schimmel im Kühlschrank und der Spülmaschine hinterließ. Drei Kisten Leergut musste das verliebte und ausgeflitterte Paar mit entweihter Eigentumswohnung zum Kaufmannsladen um die Ecke bringen, wo außerdem eine Rechnung über 238 Euro auf das Pärchen wartete.

Wie grausam ist diese Welt? Wann geschieht endlich etwas gegen diesen Wahnsinn? Man kann nicht einmal mehr beruhigt auf einem Internetportal Wachhunde für seine Eigentumswohnung suchen, die auch noch für den Job bezahlen. Schließlich ist so ein Hüteauftrag auch eine Vertrauenssache, während das verliebte Glück ein dreiviertel Jahr in der Welt rum düst. Wohl niemand in der Familie wollte sich auf diesen Megasuper-Deal einlassen. Wenn die Gier eben größer als die eigenen Augen sind. Da bleibt keine Zeit vorab die vorgelegten Zeugnisse zu prüfen, man vertraut einfach blind. Was im Internet steht, das stimmt ja auch alles. Bei 1400 Euro, eine kleine Kaution und drei Kisten Leergut, da geht man doch kein Risiko ein.

Der Mensch ist von Hause aus eine total ehrliche Haut!

Wie? Was? Ich bin nur neidisch auf das junge Glück und deren Reichtum? Ich bin nur ein armer kleiner mieser Schlucker, der im Betonpalast und nicht in einem hippen Szenebezirk wohnt? Ich habe wohl keine Spülmaschine oder einen Eisschrank? Ich kann mir kein Flaschenpfand leisten? Oder ich will auch mal so eingeschnappt in einem professionellen Foto glänzen? Na gut: Der Reiseblog der Dame zeigt, wo der Hammer hängt. Voll Zweitjob-Influencer mit Neidfaktor-Generierung und hoffen auf den großen Durchbruch. Ja, da werde ich neidisch. So eine Reise-Querfinanzierung mit der Eigentumswohnung, die vielleicht noch gar nicht abgezahlt ist, das macht mich schon horny. Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht. Denn alles macht den Eindruck der schnellen heißen Stricknadel, so als herrsche zum Beispiel Langeweile statt purer Liebeslust.

Sie liebt es um die Welt zu reisen, unberührte St(r)ände zu suchen und tolle Erfahrungen zu sammeln. Ja was rennt sie dann zum Berliner Kurier und jammert rum? Um die Erfahrung des Mietnomaden in der eigenen Eigentumswohnung – um die Erfahrung beneidet sich keiner! Das ist doch toll, genau was die Dame laut Eigenbeschreibung im Reiseblog wollte. Ich kann mir doch nicht nur die tollsten Erfahrungen an unberührten Stränden wünschen. Das Standbad Weißensee tut es doch auch, auch wenn es etwas mehr berührt ist. Wer A sagt, der muss auch B sagen: Sie hat die Nummer so begonnen und muss letztendlich auch mit der unangenehmen Konsequenz leben. Das Leben funktioniert leider nur so, liebe Sarah.

Vielleicht ist die gute Sarah auch nur ein Opfer der Qualitätsmedien, welches nicht nur völlig unvorteilhaft sondern auch noch falsch rezitiert wird? Gerne wird auf der Jagd nach Schlagzeilen, Likes und verbalen Entgleisungen der Leser die wortgewaltige Keule herausgeholt und kräftig damit geschwungen. Neid ist in der Gutmensch-Epoche das beste Mittel, nach Sexthemen versteht sich. Aber man möchte moralisch total anständig sein, also wird mit Neid agiert: Da bekommen die Angestellten der öffentlichen Verwaltung Hitzefrei! Na so was Feines aber auch. Mit Hawaii-Hemd und Badeschlappen ins Büro, genüsslich die Eier von links nach rechts geschaukelt und dann Punkt 14 Uhr – ab an den Strand – den Füller aus der Hand gleiten lassen. Das Leben im Öffentlichen Dienst ist so geil, Wahnsinn!

ÄHM: Wenn mich nicht alles täuscht, dann wurde lediglich die Kernarbeitszeit (10 bis 14 Uhr) aufgehoben. Das bedeutet, ich muss nicht zwischen 10 und 14 Uhr meinen Dienst im Büro ohne Klimaanlage, unter dem Dach, ab Mittag tolle Sonne und fürsorgliches Warmwasser aus dem elektronischen Hahn verrichten. Mitleid-Modus aus: Es gibt eine dufte Außen-Jalousie! Theoretisch mag es für den Bildungslegastheniker nach kühlen Hitzefrei klingen, für den Mitarbeiter bedeutet die ‚Öffnung‘ dennoch vor Ort zu sein. Irgendwie muss die Arbeit erledigt werden und ‚Heimarbeit‘ geht auch nicht so ohne Weiteres. Eigentlich ist die Aufhebung der Kernarbeitszeit reine Augenwischerei, denn ich darf weder früher (also vor 6:30 Uhr) mit dem Dienst beginnen oder länger (nach 19:30 Uhr) im Dienst sein. Tolle Schlagzeile, jede Menge erzürnter Wutbürger auf Facebook, die wiederum hart an der Hartz IV-Basis schuften müssen. Wieder ist ein weißer Fleck in den sonst leeren Spalten der Gazetten gefüllt. Qualität will gemacht und verdient sein.

Autor: makkerrony

Makkerrony, der Macher des Lichtbildprophet, ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben. Ein Mensch behauptete mal, Makkerrony sei ein guter Fotograf, hat allerdings einen denkwürdigen Geschmack. Jemand anderes meinte, Makkerrony könne einen Haufen Hundescheisse fotografieren und es sehe gut aus. Ein Model lehnte die Arbeit mit dem Lichtbildprophet ab, weil seine Bilder so aussehen, als müsse sich das Model anstrengen.