Ich befinde mich im Jahr Drei nach einer Diagnose ‚Hodgkin Lymphom‘.
Vor drei Jahren freute ich mich wie hulle: Drei der sechs Zyklen sind fast geschafft, ‚Gandalf der Weiße‘ und die gesamte Praxis macht 14 Tage Sommerurlaub. Ich nehme mir in dem Mehr an Erholungszeit vor wieder zur Kamera zu greifen. Doch es kommt alles anders. Eine Gürtelrose verhagelt mir das Bergfest und parallel kollabieren die Geschmacksnerven. Bis auf ein paar längere Spaziergänge und grottig schlechte Aufnahmen kriege ich nichts gebacken. Die Nervenschmerzen begleiten mich noch heute, ein Mal, das wohl nicht weichen will.
Ich falle in Erinnerungen zurück, suche die Blogs, die über ihre Erfahrungen mit Hodgkin und BEACOPP eskaliert berichtet haben. Sie sind fast alle weg. Ich denke nicht, dass es die Betroffenen nicht geschafft haben. Immerhin waren es junge Menschen, was man von mir nicht behaupten kann. Vielmehr glaube ich, dass es das fehlende Interesse der Hobbyjournalisten/-autoren ist ihre – wichtige – Geschichte eines Hodgkin-Patienten nach der Chemotherapie weiter zu schreiben. Wo vorher die Ungewissheit und Unsicherheit zur Verarbeitung durch Schreiben motiviert hat, bekommt man heute für die ‚Probleme danach‘ nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Oder verschiebt die eigenen Prioritäten. Schließlich hat man es doch geschafft, darf weiterleben und hat gefälligst mit dem Jammern aufzuhören. Ich halte dagegen:
Der eigentliche Kampf gegen die Erkrankung mit dem Hodgkin Lymphom hat nach dem Abschluß der Chemotherapie und dem negativen PET/CT begonnen!
So ist jedenfalls meine Erfahrung.
Diesen Satz verstehen die wenigsten. Ich erinnere an meine Lieblingshasskappe ‚Lebensqualität‘. Was wandt sich der Oberarzt den Begriff ‚Heilung‘ und ‚Genesung‘ in den Mund zu nehmen, griff stattdessen immer wieder auf die verbesserte ‚Lebensqualität‘ nach der Therapie zurück. Wie recht er hat: Sei es das plötzliche Stechen irgendwo am Körper. Da ist das Taubheitsgefühl in den Fingern und Füssen. Wochenlang weg und plötzlich wieder da. Geschmacksverirrungen, womit ich die Essensaufnahme meine. Es ist für mich schwer etwas zu finden, was ich gerne Essen würde. Zucker sorgt für Übelkeit, Salz brennt in der Mundhöhle und das eine oder andere schmeckt wie verdorben. Neuerdings ’spüre‘ ich in den Füßen Kälteschmerzen und das bei dem Klimawandel-Hochsommer himself.
Die Kämpfer von einst sind verschwunden, benötigen keine Aufmerksamkeit und/oder kein Mitleid mehr und können die, die den Kampf jetzt durchstehen müssen beruhigt hängen lassen. Dieses gespielte Kurzzeit-Phänomen trifft alle Themenbereiche im Internet und unterscheidet die aufmerksamkeitsdefizitären Homo digitalis vom echten Medienprofi. Internetprojekte kommen und gehen, beständig ist nur deren Unbeständigkeit.
Aus kreativer Sicht war das erste Jahr ein Desaster. Ich wollte viel, trampelte auf einer Stelle herum und was ich fertig brachte war einfach nur schlecht. Erst am Ende des zweiten Jahres stellte sich so etwas wie Zufriedenheit ein. Voraus ging die Erkenntnis, dass ich mir, trotz möglicherweise wenig Zeit, Zeit lassen muss. Es erstaunt mich, wieviel Wissen nach der Chemokeule mir noch gegeben ist, welches ich beinahe frei von jeder Emotion abrufe.
Mein Problem von heute ist emotionslos, gnadenlos und gefühlskalt.
Ich freue mich darauf allein Zeit zu verbringen, Dinge zu tun, die ich nicht erklären muss. Alles andere interessiert euch doch auch nicht. Sollen sich andere mit sich selbst im Kreis drehen und dafür bewundert oder gehasst werden, stundenlang das Display begaffen und darauf rum tatschen. Das ist nicht meine Welt. Und je mehr ich mich davon entferne, umso weniger wird das, was bei mir ‚herauskommt‘ inkompatibel zu dem Leben, das heute gelebt werden soll.
Aufgrund der körperlichen Narben und Einschränkungen wird mir tagtäglich die Endlichkeit des Lebens gezeigt. Jeden Tag Hals, jeden Tag das spontane Brennen der Haut und neuerdings eben das Gefühl, als hätte ich Kälteschmerzen in den Füßen. Jeden Tag Erinnerung, wie sollen da ’seelische‘ Wunden heilen können. Sollte ich doch mehr den Leidenden geben, auf männliche Pussy machen, die sich nicht wohl fühlt?
Irgendwie muss ich dem Unverständnis um meine ‚Lebensqualität‘ begegnen. Nein, ich bleib im realen damit allein und heule mich in der virtuellen Welt darüber aus. Versteckt zwischen den Zeilen, in den Lichtmalereien, die ich – wenigstens – mit viel Liebe und Geduld auf Film und Papier bringe.
Es ist wieder Bewegung in ‚meiner Handschrift‘, ‚meinem Stil‘.
Er distanziert sich immer mehr von der Massen-Fotografie, wie sie heute überall zu finden ist.
Deshalb benutze ich mittlerweile nur noch ungern den Begriff ‚Fotografie‘, male lieber mit dem Licht und spiele mit den Mitteln der Fotoalchemie. Diese Art der Distanzierung muss sein. Viele Fotos werden für Blinde mit Denkfäule gemacht. Das schafft durchaus einen großen Kreis der Bewunderer und selbstverständlich auch der Neider, doch zum Preis eines Nullouvert für Konsument und Macher. Viel Arbeit, kein Lohn und Anerkennung, ich werde nur gekannt und benutzt, weil es umsonst ist.
Was ist das für eine Wertigkeit? Wenn ich Zeit für meine Lichtbilder opfere, dann möchte ich in jedem Stadium ihres Entstehens einen Mehrwert für mich genießen. Lichtbildmalerei und Fotoalchemie, getragen von einem hohen Maß unkontrollierbarer Imperfektion. Wenn das Leben schön sein sollte, dann weil es so imperfekt ist. Diese Ergebnisse gebe ich gern und absolut zufrieden weiter. An Gandalf den Weißen, Modelle und andere Interessierte die höflich Fragen stellen können oder sich via Mail bei mir melden. Das ‚Gesamtpaket‘ um den ‚Lichtbildprophet und seine Jünger‘ bereitet mir Freude, viel Freude.
Auf das nächste Lebensjahr, du eigensinniger Brummbär!