Der Stein

Wir waren unterwegs. Du wolltest ein paar Locations ausfindig machen, wo wir fotografieren wollen. Und so trieb es uns an diesen kleinen Fluss, wo sich deiner Aussage nach ein Wasserfall befinden soll. Es war nur eine kleine Stufe, die ich nicht als Fall bezeichnen würde. Etwas enttäuscht darüber, dass du die Wochen bis zu meiner Reise zu dir nicht wirklich genutzt hast, fand ich diesen Stein unter vielen anderen. Er sprach mich an und sagte zu mir, ich solle ihn mitnehmen …

Auch wenn das Führen eines Blogs Arbeit ist, hin und wieder ergeben sich über diese digitale Visitenkarte interessante Kontakte und Projekte. So verschlug es mich in die Schweiz. Erst ein gebuchtes Shooting für eine Firmenhomepage, später dann zwei … drei Shootings einfach so, weil uns danach war. Die Tour war zwar zeitlich wie auch finanziell ziemlich aufwendig, aber es hatte sich immer gelohnt: Wir waren mit Spaß dabei, haben viel rumgealbert, waren locker und entspannt drauf.

Bei meiner letzten grossen Reise zu ihr war der Wurm drin. Wurm in Form eines neuen Lovers, dem unsere fotografischen Aktivitäten missfallen. Solch Einstellung ist mir nicht unbekannt. Nenne ich es Eifersucht? Oder einfach nur falsche Vorstellungen, zuviel Fantasie? Manch Übereifriger hat mir Anweisungen gegeben, wie ich mich standesgemäß zu verhalten habe oder hat mein Tun betont fachmännisch-kritisch bewertet. Da ist es nur verständlich, dass ich natürlich vollkommen versagt habe. Eine andere Variante ist, meine Existenz seitens des Modells zu leugnen oder zu verheimlichen. Frei nach dem Motto: Ich war jung, wusste nicht was ich tat oder brauchte das Geld. Nun war ich aber im Fall des geplanten Shootings da und er konnte mich nicht ignorieren.

Irgendwann, ich war mittlerweile wieder in meiner Heimat zurück und hatte Abzüge vom Shooting gemacht, bekam ich mit, dass die eine Beziehung gegen eine andere ausgetauscht wurde. Dann geschah das, was ich am meisten „hasse“: Mir wurde eine rührselige Story präsentiert verbunden mit der Bitte, doch alle Bilder aus dem Blog zu nehmen. Das Spielchen kenne ich. Erst kürzlich wieder: Geschieden und ich darf mir ungefragt anhören, was man alles für den Mann getan und jetzt verloren hat, aber nun wird sich nicht mehr für einen Typen so verbogen! Ein paar Wochen später dann ein neuer Hengst, er soll ja nichts von allem wissen und des lieben Friedens Willen soll ich doch auf Veröffentlichungen verzichten.

Tagtäglich soll Frau emanzipiert und gleichgestellt sein und dann das? Kaum betritt ein neuer Besorger und potentieller Versorger die Bühne, schlüpft das Weibchen in die Unschuld-Hilflos-Rolle. Ich soll dann stillhalten und darf alles zurückziehen? Worüber reden wir lang und breit vor dem ersten Shooting? Und warum darf Frau vor dem neuen Beglücker nicht ihr eigenes Leben gelebt haben? Egal wie und was sie tat?

Ich lehne das Entfernen der Bilder ab. Unsere Kollaboration lief über ein paar Jahre und sie kann nicht mit dem Totschlagargument kommen, dass sie nicht wusste was ich tue. Ich verzichte zukünftig darauf Bilder, auf denen sie zuerkennen ist, zu veröffentlichen. Sie nannte mich mal einen besonderen Freund und sah unsere Shootings immer als eine Art Therapie für ihr Selbstwertgefühl. Ich fühlte mich geschmeichelt. Doch zukünftig wollte ich nicht mehr der besondere Freund sein, der für eine schnelllebige Beziehung geopfert wird.

Was bleibt ist dieser Stein. Einst ein Ziegelstein. Von der Zeit und tausenden Liter Wasser geformt. So wie Technik den Stein geschaffen und die Natur derart geformt hat, ist er ein Kunstwerk. Ein Stück aus Handarbeit und Zufällen. Vor einiger Zeit fand ich auf einem alten Bauernhof einen ausgebrannten Ziegelstein. Seine Oberflächenstruktur und die überbrannte Aussenschicht lagen unter Sand versteckt. Gereinigt offenbart er mit einer Schutzschicht versiegelt eine sonderbare Schönheit, die keines weiteren Handgriffes bedarf. Mit dem Stein aus dem kleinen Fluss irgendwo in der Schweiz will ich es auch so handhaben und überwiegend die positiven Erlebnisse bewahren.

Autor: makkerrony

Der Macher des Lichtbildprophet ist ein bekennender Autodidakt, lebt in Berlin und geht seit mehr als zwanzig Jahren dem Hobby (Analog-)Fotografie nach. Sein Dilettantismus hat gereicht, in fünfzehn Jahre ca. 150 Artikel für Fotofachzeitschriften und vier Bücher, alles auf Papier gedruckt erschienen, zu schreiben.